Was dies konkret bedeutet, muss man bei "Niqash" (1) nachlesen, einer sehr informativen Website, die irakische Journalisten seit 2005 betreiben. Einer der Journalisten, Khaled Jumah, hat sich von einem Gewährsmann aus Mosul erzählen lassen, was genau geschah.
Den Mund zugehalten, damit sie nicht schreie
Die Liste mit 2070 Namen wurde an den Aussenwänden bestimmter Polizeiposten in Mosul angeschlagen. Schwer bewaffnete Wächter standen dabei. Sie beobachteten genau, wie die sich die Personen verhielten, als sie die Liste lasen.
Der Augenzeuge sagt, er wohne nahe bei einem der Polizeiposten. Er habe eine Frau und einen Mann gesehen, die die Liste lasen. Der Mann habe der Frau den Mund zugehalten, damit sie nicht schreie oder gegen die „Islamischen Staat“ aufbegehre. Es sei verboten gewesen, die Liste mit Handys zu fotografieren.
Die Wächter hätten den Leuten Identitätspapiere und Telefone abgenommen, bevor sie die Liste lesen durften. Offenbar wollte der „Islamische Staat“ so erfahren, wer die Angehörigen der Opfer sind.
Namen, aber keine Leichen
Der Gewährsmann sagt auch, es habe Namen gegeben, aber keine Leichen. Diese seien vom IS "entsorgt" worden, anfänglich in einem Höhlen-Labyrinth, das in Mosul unter dem Namen al-Khafsa bekannt sei. Später wurden Leichen auch an andern Orten deponiert oder verbrannt.
Die meisten Personen, die auf der Liste aufgeführt sind, waren in den ersten vier Monaten der Herrschaft des „Islamischen Staats“ verschwunden. Dabei handelt es sich um einflussreiche Menschen, wie Politiker, Kandidaten für politische Posten sowie Mitglieder der regionalen und lokalen Räte. Auch Staatsbeamte und Journalisten sollen aufgeführt sein, ebenso gemässigte Geistliche, die sich der extremistischen Ideologie des „Islamischen Staats“ widersetzen.
Bald eine neue Liste
Nach Angaben des Gewährsmannes seien wohl wesentlich mehr Menschen als die aufgeführten 2070 verschwunden und umgebracht worden. Möglicherweise wird bald eine weitere Liste mit den Namen von über 500 Personen veröffentlicht.
Das Vorgehen ist bezeichnend für die Methoden des angeblichen Kalifats. Die Strategie und Taktik wird von "Fachleuten" bestimmt, die einst als Geheimdienstoffiziere für Saddam Hussein gearbeitet haben. (2)
Machtabsicherung
Es geht nicht nur darum, der Bevölkerung Angst einzujagen. Ziel der IS-Schergen ist es auch, die Kritiker und Gegner ihres Machtapparats ausfindig zu machen. Zum gegebenen Zeitpunkt lassen sie sie dann verschwinden.
Bereits vor der Machtergreifung des IS wurden Informationen über Gegner der Djihadisten gesammelt. Dies kann nachgewiesen werden. So konnte der „Islamische Staat“, als er an die Macht gelangte, sofort zuschlagen, Widerstandszentren eliminieren und Persönlichkeiten verschwinden lassen, von denen erwartet wurde, dass sie zum Widerstand aufrufen würden. Diese Arbeit ist typisch für das Vorgehen von Geheimdiensten. Sie wird auch nach der Machtübernahme des „Islamischen Staats“ zur Machtabsicherung weitergeführt.
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1) Niqash: Missing, Believed Murdered:
Extremists in Mosul Release First Public 'Death List' of 2,070 Victims
2) Christoph Reuter: Die schwarze Macht. Der «Islamische Staat» und die Strategie des Terrors. Ein Spiegel-Buch, DVA Sachbuch, April 2015, ISBN: 978-3-421-04694-9. Besprochen in Journal21 am 29. April 2015