Soll die SVP diskussionslos Maurer beerben? In vitalen Fragen ist diese Partei zu Diskussionen und Kompromissen nicht bereit.
Viel Lob hat Ueli Maurer nach seinem Rücktritt erhalten; mir scheint, es gebe mehrerer Gründe, zurückhaltend zu sein. Wiederholt hat er sich nicht um die Konkordanz gekümmert, ja er hat sich sogar in einem Trychlerhemd fotografieren lassen, er sympathisierte also mit den Querdenkern. Der Finanzminister, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt, war stets emsig bemüht, die Steuern der Reichen und der Konzerne zu senken. Er schützte auch Superreiche, die von der Pauschalsteuer profitieren. Als ein Milliardär sich beim Finanzminister beklagte, dass der Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle Informationen zu seinem Steuerdossier verlangte, drohte Ueli Maurer dem Chefbeamten des Bundes mit einem Disziplinverfahren. Man hätte hingegen vom Finanzminister erwarten dürfen, dass er sich erkundigte, ob die Pauschalsteuer in diesem Fall in korrekter Weise gehandhabt werde.
In der Pandemie rasch geholfen
Einen Verdienst hat sich Maurer jedoch erworben: In der Folge der Pandemie hat er unverzüglich die Unterstützung der Unternehmen in Schwierigkeiten veranlasst und die Kurzarbeit erlaubt und mitfinanziert. Hingegen hat er sich nicht darum bemüht, die zusätzlichen Schulden von rund 30 Milliarden Franken auszugleichen. Er hat keine vorübergehende Sondersteuer vorgeschlagen, welche bereits ab etwa zwei Millionen Franken steuerbares Vermögen einen bescheidenen Beitrag erbracht hätte; für Personen mit Dutzenden Millionen Vermögen wäre eine Abgabe zu einem höheren Prozentsatz angebracht gewesen. Diese Solidaritätssteuer hätte erlaubt, jenen Personen grosszügiger zu helfen, die heute kaum in der Lage sind, die steigenden Preise infolge des brutalen Aggressionskriegs Russlands gegen die Ukraine zu bezahlen sowie die dauernd steigenden Krankenkassenpräminen. Die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich in der Schweiz, die heute auch manchen Ökonomen und Politikern Sorgen bereiten, scheint Maurer nicht zu kümmern. Das ist deshalb überraschend, da ein guter Teil der Wählerinnen und Wähler seiner Partei zu den wenig Begüterten gehören.
Mit Nein kommen wir nicht weiter
Anscheinend sind sich alle einig, dass die SVP Anspruch hat auf zwei Sitze im Bundesrat. Gibt es da nicht ein Hindernis? Die Blocher-Partei ist nicht bereit zu Diskussionen und zu Kompromissen in vier grundsätzlichen Fragen. Es handelt sich um die Beziehungen zur EU, zur Europäischen Union (hier ist auch der Bundesrat nicht bloss uneinig, sondern unfähig die Realität zu erfassen), die Klimaerwärmung, die Energiewende und die Migration. Diese vier Themen sind entscheidend für die Zukunft unserer Schweiz; es ist notwendig, dass der Bundesrat sich einigt, um Parlament und Volk tragfähige Vorschläge zu unterbreiten.
Für eine lebenswerte Zukunft
Nicht allein die Regierung muss sich bewegen: Die Gewerkschaften sollten zur Kenntnis nehmen, dass die EU mit Bezug auf den Lohnschutz Fortschritte gemacht hat. Weiter sollten die FDP und die Mitte nicht ignorieren, dass ein Viertel der Bevölkerung zwar Steuern bezahlt, aber nicht mitentscheiden kann; in einzelnen Kantonen und Gemeinden ist der Anteil der «Stimmlosen» noch deutlich höher. Das bedeutet, dass wir eine nicht perfekte, eine hinkende Demokratie haben. Zudem übergehen wir viele Menschen, die unser politisches Leben stimulieren könnten. Weshalb wagen wir nicht eine Schweiz ohne Denkverbote und suchen vorurteilslos nach Lösungen für eine bessere Zukunft? Die Kinder von heute würden uns an der Schwelle des 22. Jahrhunderts dankbar sein.