Wie geht es weiter für den regierenden African National Congress (ANC), für die Mandela-Familie und für 52 Millionen Südafrikaner?
Im Juni hatte Präsidialminister Trevor Manuel bei einem Staatsbesuch in London versichert, Investoren müssten sich keine Sorgen machen, wenn der Tag X einmal da sei. Zuvor war die Angst gewachsen, im ANC würden radikale Elemente die Oberhand gewinnen, die meinen, Mandela hätte Weißen nach 1994 zu viele Rechte eingeräumt. Vorgestern holte auch Mandelas Wegbegleiter, Erzbischof Desmond Tutu, gegen jene Kritiker aus, die nach Mandelas Tod einen politischen Kollaps befürchteten. „Die Idee, Südafrika gehe in Flammen auf, bringt unsere Bürger in Verruf. Die Sonne wird morgen aufgehen und am nächsten Tag und auch danach. Sie wird nicht mehr so hell scheinen wie früher – aber das Leben geht weiter.“
Das vorhergesagte Chaos blieb aus. Wie Mandelas Tod in den kommenden Monaten die Politik beeinflusst, ist noch unklar. Der ANC gilt schon länger nicht mehr als die Partei, die „Tata Madiba“ einst in die Freiheit führte. Weitreichende Korruption und eine schwarze Elite treiben zunehmend einen Keil zwischen das Volk und die Partei. „Der ANC wurde zusammengehalten von Nelson Mandela und wird ohne ihn zerfallen“, sagt Grainger van Heerden in Kapstadt. Seine Meinung teilen zwar nur wenige, dennoch gerät die einstige Freiheitsbewegung in Bedrängnis. In den letzten Monaten entstanden mit Agang SA, den Economic Freedom Fighters (EFF) und der Workers and Socialist Party (WASP) drei neue Oppositionsparteien. Bei den Wahlen im kommenden Jahr werden sie Druck auf den ANC üben. Einige ANC-Funktionäre schlossen sich in den letzten Monaten bereits der Opposition an. Der bekannteste unter ihnen war Mandelas Cousin, Buyelekhaya Dalindyebo, der kritisierte: „Die Dominanz des ANC gleicht einem Einparteienstaat.“ Politexperten schätzen, dass der ANC 2014 erneut die absolute Mehrheit gewinnt, die Stimmen jedoch ein historisches Rekordtief erreichen.
Vermarktung
Neue Brisanz erhält in den kommenden Monaten vermutlich auch die Vermarktung des Freiheitshelden. Die Mandela-Familie hatte sich bereits vor dessen Tod einen erbitterten Kampf um seine Unternehmen und seine Kunstsammlung geliefert. Seine Enkel vertreiben weltweit den ‚Mandela-Wein’ und gründeten das Mode-Label ‚466/64’, dessen Namen auf seine Gefangenennummer auf der Gefängnisinsel Robben Island zurückgeht. Ein weiterer Enkel, Mandla Mandela, soll für umgerechnet 30.000 Euro die TV-Rechte an seiner Beerdigung verkauft haben. Zu Beginn des Jahres hatte auch die oppositionelle Democratic Alliance (DA) die Marke Mandela entdeckt, als sie sein Konterfei auf ihren Werbeplakaten druckte, und gestern erst bezeichnete die EFF Mandela als einen von ihnen.
Bis zuletzt war Mandela an Afrikas Südspitze eine moralische Bastion. Für die Südafrikaner gilt es künftig, Mandelas ideelles Erbe fortzuführen. „Die Bildung einer Nation stand in seinem Fokus und daran hat er uns jeden Tag erinnert“, so Minister Manuel. Südafrika besitzt viele Ressourcen, doch um diese zu nutzen, gilt es erst, die sozialen Missstände auszulöschen: Immer noch leben 11,5 Millionen Südafrikaner unter der Armutsgrenze, vielerorts fehlt Fließwasser und in den Armenvierteln grassiert die Gewalt. Laut Manuel könne die Regierung diese Probleme nicht allein tilgen, es brauche künftig die Beteiligung aller Bürger: „Jeder von uns muss ein Mandela sein.“