Als Fussballfan wünscht man sich natürlich nichts sehnlicher, als dass die Schweiz zumindest die Gruppenphase übersteht. Die Chancen stehen nicht schlecht. Die Schweiz verfügt über das wohl ausgeprägteste Regenbogenteam von Secondos aller teilnehmenden Nationalmannschaften.
Mit dem in der Qualifikationsphase bewährten eidgenössischen Mix von kosovarischer und albanischer Spielgestaltung, türkischer Schiessgewalt, spanischer Abwehrmauer, schweizerischen Präzisionspässen und deutscher Gesamtleitung könnten unsere Rotweissen recht weit kommen.
Mit dem Erreichen zumindest der Achtelfinals würden ‘wir’ auch in der zweiten Hälfte der WM im Gespräch bleiben. Unserer Nati ist dies zu wünschen, der anderen Fussballschweiz aber nicht. Jener Fussballschweiz, welche durch den Hauptsitz der FIFA in Zürich - ein transnationales Grossunternehmen mit Milliardenumsatz - und durch den ‘emperor of football’, Sepp Blatter, repräsentiert wird.
20 Jahre Fussballkaiser
Unmittelbar vor der der WM steht in Sao Paulo noch die (Wieder)wahl des FIFA-Präsidenten an. Blatter will sich ein fünftes Mal küren lassen, womit er beim Ablauf dieser 4-jährigen Amtszeit 82 Jahre alt, und 20 Jahre ‘Fussballkaiser’ gewesen wäre.
Dem Vernehmen nach wird es ihm noch einmal reichen, wenn auch mit verminderter Unterstützung aus Asien. In Europa wird er kaum Stimmen sammeln. Eigentlich wäre ihm zu wünschen, dass er es nicht schafft; noch besser wäre es gewesen, hätte er sich mit halbwegs intaktem Renommee zurückgezogen.
Immer inkompetenter und korrupter
Dieses wird weiter Schaden nehmen, allein schon weil er höchster Verantwortlicher einer Organisation ist, und wohl beibt, welche als immer inkompetenter und korrupter angesehen wird. Inkompetent weil die als fast sicher geltenden organisatorischen Unzulänglichkeiten in Brasilien auch auf die FIFA einen schweren Schatten werfen werden. Blatter selbst hat diese WM im Vorfeld als die bislang ‘wohl am schlechtesten vorbereitete Weltmeisterschaft’ bezeichnet.
Korrupt, weil nun auch öffentlich aktenkundig wird, dass der FIFA-Kongress vom Dezember 2010, als ungewöhnlicherweise die Austragungsorte für 2018 (Russland) und 2022 (Katar) vergeben wurden, der böseste seiner Art war: Stimmenschieberei, Stimmenkauf und Schlimmeres führten zu einem Resultat, das von allen jenen, welche das winzige Wüstenemirat kennen als schlicht unmöglich bezeichnet worden war. Für eine Fussball-WM, eines der grössten globalen Massenevents, ist Katar zu heiss, zu klein, zu sozial konservativ und zu wenig an Fussball interessiert. (Siehe: ’Der Fehlentscheid für Katar’, J-21 vom 29.11.13).
Nichts gewusst?
Aktenkundig via Dokumente, welche klar zeigen, dass einzelne FIFA-Delegierte durch einen ‘slush-fund’ des damaligen katarischen Vertreters unmittelbar gekauft worden sind. Dass das offizielle Katar sich heute von diesem in Ungnade gefallenen Mittelsmann distanziert, ist unerheblich. ‘Qatar Inc.’ ist so angelegt, dass alle Politik, zumal ein nationales Ziel von der finanziellen Tragweite und politischen Bedeutung eine WM, zentral und von oberster Stelle gelenkt wird; dass die höchsten Verantwortlichen davon nichts gewusst hätten, ist schwer vorstellbar.
Glücklickerweise wird während des bevorstehenden Turniers das Spiel auf dem Rasen im Mittelpunkt stehen. Sollte das Heimteam gewinnen, wird dies voraussichtlich auch die tiefe soziale Unruhe im Schwellenland Brasilien etwas überstrahlen.
Wiederholung der Abstimmung?
Sehr schnell wird aber Katar wieder im Vordergrund stehen. Zu erwarten ist auch, dass den ersten handgreiflichen Beweisen von Korruption weitere folgen werden. Wie im erwähnten Artikel vom 29.11. dargelegt, dürften diese, wenn der erste Damm einmal einmal gebrochen ist, einen noch viel tiefergründigen Korruptionssumpf offenbaren.
Bereits haben sich schwergewichtige europäische Stimmen (UK, Deutschland) für eine Wiederholung der Abstimmung zur Vergabe der WM 2022, zweifelsohne unter Ausschluss von Katar, vernehmen lassen. Dies wäre durchaus machbar. Geeignete Kandidaten stehen bereit. Je schneller, desto besser, weil in Katar die Arbeiten für zahlreiche neue Stadien noch nicht wirklich begonnen haben. Somit wäre auch der Rechtsfall mit Bezug auf Schadenersatz weniger offensichtlicher.
Leibeigenschaftsähnliches System
Ausgeprägt wird indessen der Gesichtsverlust der Katari, aber auch jener der FIFA, und damit von Blatter sein. Die katarische Emirsfamilie wird diese ‘Abwahl’ überleben. Ihr herkömmlicher autoritärer Regierungsstil ist nur ein Teil eines Ganzen, welches auch die gesamte Arbeits- und Immigrationspolitik und vieles andere in diesem, aber auch in den anderen Ölkönigreichen (Saudi-Arabien, Bahrein) rsp. Ölemiraten (Kuwait, Katar, UAE) am Golf nachhaltig prägt.
Noch wenn Katar wollte, könnte es seine, im Hinblick auf die WM 2022 viel kritisierte Kefala-Bestimmungen (leibeigenschaftsähnliches System von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung von Ausländern via einen einheimischen Sponsor) nicht im nationalen Alleingang änden. Weil das dann die erwähnten Anderen auch machen müssten, mit für alle Machthaber am Golf undenkbaren Folgen.
Blatter - ein unrühmliches Ende
FIFA und Blatter werden nicht nur das Gesicht verlieren. Die Rufe nach einer nachhaltigen Entwässerung des Korruptionssumpfes werden lauter ertönen, die Rücktrittsforderungen an hohe, inklusive den höchsten Verantwortlichen werden lauter. Für Blatter ein unrühmliches Ende, welches er, weil persönlich wohl nicht korrupt, kaum so verdient haben wird. Den Vorwurf, die alles zerfressende Macht des grossen Geldes zu wenig Ernst genommen zu haben kann ihm aber bereits heute nicht erspart werden.
Dies sollten eigentlich Verantwortliche, aber auch die Stimmbürger in der Schweiz besser wissen. Bei vielen der schweizerischen Staatskrisen der jüngeren Vergangenheit ging es letzlich meist um Geld. Um viel Geld, wie bei den nachrichtenlosen Vermögen, dem Bankgeheimnis, der Steuerprivilegierung. Mit dem voraussehbaren Abgang der FIFA-Führung um Blatter werden Fragen auch in einem grösseren Zusammenhang gestellt werden. Wer und wo müsste allenfalls strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden? Ist eine Sonderbehandlung für den Sitz internationaler Sportorganisationen, wie sie in der Schweiz routinehaft gehandhabt wird, bei deren kommerziellem Charakter und deren Wirtschaftskraft überhaupt noch vertretbar? Spätestens dann wird ‘Katargate’ sowohl internationales wie auch schweizerisches Politikum werden.