Das Ende der Crédit Suisse als eigenständige Bank warf ein Schlaglicht auf die Verflechtung eines wichtigen Teils der schweizerischen Wirtschaft mit dem Mittleren Osten. Eine Notiz aus Saudi-Arabien in den sozialen Medien des Inhalts, die Zukunft der Bank sei keineswegs gesichert, hatte genügt, um global Zweifel an der Solidität der schweizerischen Bank zu säen.
Kaum war bekannt geworden, dass UBS die CS schlucken musste, wollten auch schon die Investoren aus Qatar die in ihre Hotels in der Schweiz (Bürgenstock, Schweizerhof Bern, Savoy Lausanne) investierten Gelder loswerden. Fehlte nur noch, dass die Finanzjongleure aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sich wieder von ihren Verpflichtungen im Atlantis Hotel in Zürich trennen möchten – übernommen hatten sie das Atlantis von den Qatarern, die schon vor einiger Zeit offenbar kalte Füsse bekommen oder die Lust an einer unsicheren Investition verloren hatten.
Investiert bleibt Qatar aber, was die Schweiz betrifft, im Konzern Glencore. Da warf die qatarische QIA Holding LLC zwar im Frühling 2022 knapp einen Sechstel ihrer Anteile auf den Markt (und kassierte damit einen Gewinn von mindestens einer Milliarde Dollar), aber der Investor aus dem kleinen Golfstaat bleibt weiterhin einer der wichtigeren Beteiligten am Rohstoffkonzern mit Geschäftssitz in Zug.
Profesionelle Fachleute
Bankiers, Financiers, «Scheichs», sie alle, in der ganzen Golfregion, haben sich als hoch professionelle Fachleute erwiesen – und sie sind sich nicht nur der Volatilität einiger westlicher Wirtschafts- und Finanzbereiche bewusst und steigen dann, wenn die Bedingungen nicht mehr stimmen, aus ihren Engagements aus, sondern sie erkennen auch genau die Verletzlichkeit ihrer eigenen Volkswirtschaften. Konkret: dass sie viel zu abhängig sind von den fossilen Brennstoffen und damit von einem globalen Markt, der immer volatiler wird. Weil die industrialisierte Welt sich schon kurz-, auf jeden Fall aber mittelfristig vom Erdöl, langfristig wohl auch vom Erdgas trennen will.
Im Fall Saudi-Arabiens ist bereits jetzt nicht sicher, ob das Land unermesslich reich oder, im Gegenteil, krisenbedroht ist. Derzeit ist der saudische Staatsfonds zwar mit mehr als einer Billion Dollars gefüttert, das Rohstoff-Unternehmen Aramco generierte allein im letzten Jahr Gewinne von über 160 Milliarden (zu 94 Prozent ist der Konzern immer noch im Besitz des Staates). Ist der Preis für Erdöl global hoch, kann Saudi-Arabien weiterhin gigantische Summen einnehmen – wenn er wieder sinkt, sieht alles anders aus. Nach 2014 schrieb das Königreich für mehrere Jahre Defizite, einmal von fast 100 Milliarden, dann wieder von 70 und nochmals von 50 Milliarden. Fast gleichzeitig aber verpflichtete sich der Staat, von den USA Rüstungsmaterial im Umfang von 350 Milliarden zu kaufen.
Mehr finanzielle Disziplin erwartet
Dann verkündete der faktische Herrscher, Mohammed bin Salman, die Transformation Saudi-Arabiens in einen zukunftsgerichteten Dienstleistungsstaat in der «Vision 2030». Wichtigster Bestandteil der Vision ist die futuristische Stadt und Region «Neom» am Roten Meer, für deren Realisierung zwischen 420 und 500 Milliarden Dollars aufgebracht werden müssen. Und es gibt, gemäss MbS (Mohammed bin Salman) weitere Projekte, und alle müssen oder müssten erst einmal finanziert werden. Davon ist man noch weit entfernt, was nüchtern betrachtet beinhaltet, dass all jene, die für die Finanzen in Saudi-Arabien zuständig sind, spätestens jetzt damit anfangen müssen, aufs Portmonnaie zu schauen, d. h., nicht rentable Investitionen möglichst ohne allzu grosse Verluste los zu werden.
In der Schweiz, bei der Crédit Suisse, verlor Saudi-Arabien rund drei Milliarden (von etwas mehr als vier im Herbst 2022 investierten Milliarden). Noch ist das Quantité négligeable, betrachtet man das grosse Ganze im Land, aber man darf wohl davon ausgehen, dass MbS seine Untergebenen vermehrt zu finanzieller Disziplin anhält.
Clevere Qatarer
Aus europäischer Perspektive fast unermesslich reich scheinen derzeit noch, nach Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Qatar. Gegenüber den Saudis haben sie den Vorteil, dass sie den Übergang von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zur Dienstleistungsgesellschaft schon halbwegs bewältigt haben. Dubai wurde zu einem weltweit wichtigen Zentrum für Finanzen, zu einem Drehkreuz für den Flugverkehr und, Mangel an touristischen Attraktionen hin oder her, zu einer gefragten Reisedestination. Abu Dhabi befindet sich in einigen Bereichen etwas im Windschatten von Dubai, hat aber sehr umsichtig Gelder aus dem Ölbusiness in seinen Staatsfonds umplatziert.
Noch viel geschickter gingen die Herrscher in Qatar vor – sie erkannten rechtzeitig, dass die Welt eines Tages gierig nach verflüssigtem Erdgas sein werde und investierten gezielt in die Finanzierung der entsprechenden Technologie hinsichtlich Förderung und Transport – und sie erkannten ebenso schnell, wie die Gewinne aus den fossilen Energien langfristig rentabel und global platziert werden können. Qatar kanalisierte bisher rund 46 Milliarden Euro in Immobilien und Geschäfte in Grossbritannien, 30 Milliarden in Frankreich, aber auch elf Milliarden in den russischen Energie-Markt. Und zig Milliarden in Fussball-Clubs in Europa – das generiert zwar unmittelbar oft keine Gewinne, aber es fördert werbewirksam das Image des Staats, dessen internationaler Ruf (Menschenrechte) bekanntlich nicht eben makellos ist.
Nie mehr ein CS-Risiko
Allen an Öl und Gas reichen Golfstaaten gemeinsam ist, dass sie versuchen, alte Spannungen in der mittelöstlichen Region abzubauen. Das betrifft die Haltung zu Israel, zu Iran, zum Regime des syrischen Diktators al-Assad. Gegenüber Russland und Putins Aggressionskrieg gegen die Ukraine verhalten sie sich so genannt neutral. Und China wurde vom saudischen Herrscher, MbS, als Vermittler gegenüber Teheran willkommen geheissen.
Die Devise lautet: Minimieren von Risiken jenseits der eigenen Grenzen, um möglichst viele Mittel frei zu machen für die Gestaltung der Zeit nach dem Erdöl- und Erdgas-Zeitalter. Was dann im Detail heissen kann: nie mehr eine Milliarden-Finanzspritze jener Art, wie sie Saudi-Arabien noch im letzten November für die schweizerische Crédit Suisse riskiert hat.