Zum einen intern: eine Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern hält den bilateralen Weg, gute und vertrauensvolle Beziehungen zur EU, für das wohl wichtigste aussenpolitische Postulat der Schweiz. Der Entscheid ist ein Schlag in ihr Gesicht. Die nationalistische Rechte, die zögernde Mitte und ein Teil der Linken sind via ihre offiziellen Vertreter eine Art unheilige Allianz eingegangen, welche den Bundesrat ohne Not hat einknicken lassen. Der von rechts unablässig gepredigte Mythos einer Souveränität wie sie vor Jahrhunderten verstanden worden sein mag, hat den Blick auf die Realität anhaltend vernebelt.
„Sie wird zum Drittland wie Grossbritannien nach dem Brexit“
Zum zweiten hat der Entscheid verheerende Folgen im internationalen und speziell natürlich im europäischen Umfeld: Andreas Schwab, südbadischer Europaabgeordneter und im Europäischen Parlament eine entscheidende Person für die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, meinte nach dem Entscheid des Bundesrates, die souveräne Schweiz habe sich entschieden, ihre für sie sehr vorteilhaften speziellen Beziehungen zur EU und dem europäischen Binnenmarkt abzubrechen: „Sie wird damit zum Drittland wie Grossbritannien nach dem Brexit.“ Der Abbruchentscheid ist ein eigentlicher „Schwexit“ und fügt dem internationalen Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Schweiz schweren Schaden zu.
Wie weiter? Das Angebot des Bundesrates, nun einen „politischen Dialog“ mit der EU beginnen zu wollen, ist lächerlich. Den will die EU nicht – nach siebenjähriger ergebnisloser Verhandlung – und sie hat auch keine Zeit dafür angesichts der ungleich grösseren Vorhaben und Herausforderungen auf ihrer Agenda. Überhaupt: einen „politischen Dialog“ führt man, in der Diplomatensprache, mit einem schwierigen aber wichtigen Land. Nicht mit einem immer enger werdenden Verbund unserer nächsten und besten Nachbarn wie der EU, welche der Schweiz das friedlichste internationale Umfeld seit Beginn der Eidgenossenschaft bereitet haben.
Wie das zerschlagene Geschirr flicken?
Es werden massive und, ja, auch einseitige Gesten der Schweiz nötig sein, um das durch den Bundesratsentscheid zerschlagene Geschirr zu flicken. Die umgehende Zahlung der längst fälligen zweiten Kohäsionsmilliarde kann nur ein Anfang sein. Weitere Angebote, so etwa die Beteiligung am gemeinschaftlichen Wiederaufbau nach der Pandemie in den EU Mitgliedsländern, müssen geprüft werden. In den sieben Bereichen der bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU müssen politische, fachliche und finanzielle Vorleistungen erbracht werden, um den Tatbeweis des weiterdauernden Interesses zu erbringen, den Beweis eines Interesses der Schweiz am Binnenmarkt, an Wissenschaft und Forschung, aber vor allem auch an einem prosperierenden und friedlichen Europa. Wie das eine Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern wünscht. Der Bundesrat hat auch ihnen gegenüber viel gutzumachen.
Unter dem Strich stellt sich die Frage, wie weit das Schweizer Regierungssystem noch fähig ist zu einer langfristigen, kohärenten Aussenpolitik. Sie stellte sich schon, als der Bundesrat das Vertragswerk ohne eigene Stellungnahme in die Vernehmlassung schickte. Nach der unnötigen Krise um die herrenlosen jüdischen Vermögen, nach den Fehleinschätzungen der internationalen Kräfteverhältnisse um das Bankgeheimnis und, jetzt, nach dem Abbruch von achtjährigen Verhandlungen mit der EU, drängen sich sehr grundsätzliche Fragen auf.
Für den Club Helvétique:
Regine Aeppli, Christine Beerli, Cécile Bühlmann, Marco Curti, Sylvia Egli von Matt, Hildegard Fässler, Hans-Peter Fricker, Dieter Imboden, Elisabeth Joris, René Rhinow, Walter Schmid, Casper Selg, Daniel Woker