Parteipolitisch ist die Konkordanz nur halbtot, weil die SVP mit Ueli Maurer wenigstens noch die Hälfte von zwei Bundesräten hat. Frau Widmer-Schlumpf kann man seit der Departementsverteilung endgültig nicht mehr der SVP zurechnen. Das ganz besondere Durchsetzungsvermögen der listigen Bündnerin hat ja nun, nach der SVP, auch die SP erleben dürfen – nachdem die SP sie vor knapp drei Jahren selber in den Bundesrat gehievt hat. Verfehlte Auswahl, späte Reue?
Der Durchmarsch ist der Skandal
Es ist nachvollziehbar, dass Frau Leuthard ins UVEK wechseln, Frau Widmer-Schlumpf die Finanzen übernehmen und der eiserne Unternehmer mit dem samtenen Handschuh, Herr Schneider-Ammann, die Volkswirtschaft antreten will. Es ist ebenso nachvollziehbar, dass die erfolgreiche Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga ins UVEK, EVD oder EFD strebt. Warum aber, wenn schon entschieden werden muss, warum dann in jedem Fall für FDP, CVP und BDP und in keinem Fall für die SP, warum für den Unternehmer-Mann und nicht die Konsumentinnen-Frau?
Weil die schwarz-gelbe Allianz es so will. Im Durchmarsch liegt der Skandal. Man braucht nicht Sozialdemokrat zu sein, um das festzustellen. Es ist die kalte Machtausübung, die bei der Gegenseite das Gefühl der Ohnmacht und die ohnmächtige Wut auslöst. Und die Vertrauensgrundlage der Politik zerstört.
Der Vorgang hat ja auch etwas Hinterhältiges: Gerade weil die einzelnen Wechsel so nachvollziehbar erscheinen, eignen sie sich vortrefflich, unter ihrem Deckmantel eine machtpolitische Operation durchzuziehen. Im Bundesrat hat sich ein schwarz-gelber Block etabliert, unter Führung der beiden Alpen-Macchiavellis Fulvio Pelli und Christoph Darbelley, zusammen mit dem Emmentaler Schlitzohr Hans Grunder. Alle drei verbindet, dass sie ausser der Machterhaltung für ihre Parteien kein erkennbares gemeinsames Programm haben, und schon gar keine Vision für unser Land. Es sei denn, man halte „Mitte“ schon für eine Vision. Solche Politiker sind vorzüglich geeignet, die Interessen ihrer Klientel rasch und zuverlässig zu bedienen, sie als Landesinteresse darzustellen und dabei populistische Strömungen nie ganz aus dem Auge zu verlieren.
Machtanspruch ohne Wähler-Legitimation
So steht also die Konkordanz politisch kurz vor dem Verenden. Nicht nur hat die schwarz-gelbe Allianz kein Programm. Nach dem Durchmarsch der Allianz-Parteien bewegt sich auch der Restbestand an inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit den „Polen“ SVP und SP in Richtung Null. Die schwarz-gelben Parteien haben ohne Wähler-Legitimation die Herrschaft über die wichtigsten Gestaltungsfelder übernommen. Sie haben jetzt die Führung bei Aussenwirtschaft und Binnenwirtschaft, Landwirtschaft, Arbeit, Bildung und Kultur, Umwelt, Verkehr, Energie, Medien, Finanzen, Sozialversicherungen... - Aber die Entscheidungen, heisst es, werden auch in Zukunft selbstverständlich „auf kollegiale Weise“ getroffen. Das bedeutet im Klartext: wenn es hart auf hart geht, entscheidet die einfache schwarz-gelbe Mehrheit. Seit der Departementsverteilung wissen wir das. SP und SVP bleiben auf diese Weise noch eingebunden, die Spannungen werden unter dem Mäntelchen der Kollegialität verborgen, und die Konkordanz bleibt als schmückender Rahmen noch eine Weile erhalten.
Die Schweiz vollzieht damit nach, was in anderen Ländern schon vollzogen ist. Die Rückkehr zu einer klaren bürgerlichen Interessenpolitik. Die Banken sind gerettet, ohne heftigen Widerstand der Linken, die Finanz- und Wirtschaftskrise ist, wie es scheint, ohne tiefgreifende Regulierungen überstanden – jetzt kann man mit Volldampf wieder zurück zum alten System. Mehr noch: Man kann die alten Ziele noch etwas offener und kompromissloser verfolgen: Weniger Staat und keine Regulierung. Sparen und Sanieren der Sozialversicherung auf Kosten all derer, die aus irgendeinem Grund nicht im Arbeitsprozess stecken, sprich: „unproduktiv“ sind. Und Abbau des Service Public in weiteren Etappen.
Die schwarz-gelbe Koalition in Deutschland zeigt, wie man das macht. Die reduzierte Mehrwertsteuer für die Hotellerie war nur ein etwas unbeholfener Einstieg. Mittlerweile hat sich Schwarz-Gelb schon mehrfach vor der Pharmaindustrie verbeugt, hat sie unter dem Titel „Energiewende“ der Atomlobby zusätzliche Milliardengewinne in Aussicht gestellt, und gleichzeitig vergönnt sie den Langzeitsarbeitslosen ein Glas Bier und eine letzte Zigarette. Die Neidgesellschaft stimmt dem mehrheitlich zu, wenn man Umfragen glauben darf.
Auf dem Weg zur Lobby-Regierung?
Auch in der Schweiz scheint der Weg zur Lobbyregierung nun offen, zur unheimlichen Freude der Interessenvertreter. Der Präsident der Economiesuisse, Gerold Bührer, hat am Wahltag mit gutem Grund fernsehöffentlich gestrahlt, die Atomlobby strahlt sowieso, und Hanspeter Lebrument, Präsident des Verbandes Schweizer Medien, erklärt strahlend, er hoffe auf bundesrätliche Unterstützung im Kampf der Privaten gegen die SRG idée suisse. Die Namen der vier Hoffnungsträger, von denen man die direkte Umsetzung der Lobbyarbeit erwartet, werden ohne Scheu öffentlich genannt.
Allein, Politik als direkte Umsetzung von Sonderinteressen führt über kurz oder lang zu einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft, zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung, zwischen den Verursachern der Krise und denen, die sie bezahlen, zwischen den Profiteuren des regellosen Marktes und den Lastenträgern auf der anderen Seite. Was das nach sich zieht, zeigt schon ein kurzer Blick auf die europaweiten Demonstrationen in diesen Tagen, die wachsende Gewaltbereitschaft, auch von seiten des Staates. Dass uns gleichzeitig die Meldungen über die nach wie vor schamlos hohen Managerbezüge erreichen, und über die immer weiter klaffende Einkommens-Schere zwischen Reich und Arm (2009: neuer Rekord in den USA!), müsste die Einsicht in die Notwendigkeit des politischen Ausgleichs eigentlich erleichtern.
Ausgrenzung, Spannung, Spaltung
Wer in solcher Zeit gegen 50 Prozent der Schweizer Wählerschaft, die sich für die beiden „Pole“ SVP und SP ausgesprochen haben, in der Regierung marginalisiert, verschärft auch in unserem Land die Spaltung und die Spannung. Und übersieht vielleicht: SVP und SP haben auch Gemeinsamkeiten. Sie repräsentieren beide – unter anderem - diejenigen, die sich als Verlierer der Globalisierung erleben oder betrachten. Wenn diese Wählerinnen und Wähler die Landesregierung als Machtverein der Lobbies wahrnehmen und sich entsprechend schutz- und perspektivlos fühlen, dann ist das nicht mehr nur ein Problem für die Konkordanz im Bundesrat, sondern es ist ein Problem für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Die schwarz-gelbe Allianz darf dann auch dafür die Verantwortung übernehmen.
Nachbemerkung
Tatsache ist auch, dass die Marginalisierung der SP im Bundesrat Ausdruck ihrer eigenen Schwäche ist. Sie hat noch (teilweise) Erfolg bei der Verteidigung der Leistungen der Sozialversicherungen und des Service Public. Sie zeigt sich in entscheidenden Krisensituationen (Banken, Finanzkrise) von einer Kompromissbereitschaft, die an Selbstaufgabe grenzt. Und sie findet seit bald 20 Jahren keine überzeugenden Antworten mehr für die Ängste und Bedürfnisse, die viele Menschen umtreiben. Nicht zu reden von einem Gesellschaftsentwurf, für den sich Bürgerinnen und Bürger mit Überzeugung einsetzen würden. Und dieser Entwurf ist dringlich. – Aber das ist ein anderes Thema.