US-Präsident Barack Obama hat dem Iran vergangene Woche eine vertrauliche Note geschickt, in der er eine eventuelle Behinderung der Schifffahrt durch die Strasse von Hormus als "unakzeptabel" bezeichnet und Gegenmassnahmen ankündigt. Die Botschaft war so vertraulich, dass sie Tags darauf schon in den Zeitungen stand.
Obamas "vertrauliche" Note
Obama hat das Völkerrecht auf seiner Seite, denn die Sperrung einer internationalen Wasserstrasse gilt als "Casus belli". Vor allem will Obama aber den republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA den Wind aus den Segeln nehmen, die sich für eine militärische Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran stark machen. Der aussichtsreichste Gegenspieler Obamas, Mitt Romney, erklärte vollmundig: "Wenn ich zum Präsidenten gewählt werde, wird es keine Atomwaffenmacht Iran geben."
Der Iran versucht jetzt, das Spiel wieder zu beruhigen. Die Regierung pocht jetzt auf die Wiederaufnahme der seit einem Jahr unterbrochenen Verhandlungen mit der 5+1-Gruppe (die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats und Deutschland) über eine Beilegung des Atomstreits. Ausserdem haben die Iraner hochrangige Vertreter der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) für den 28. Januar nach Teheran eingeladen, um die strittigen Fragen ihres Nuklearprogramms zu klären.
EU soll über Einfuhrstopp für iranisches Öl entscheiden
Dem Vernehmen nach werden der für die Überwachung der Nuklearanlagen zuständige Vize-Generaldirektor Herman Nackaerts in Begleitung von anderen leitenden Beamten für voraussichtlich vier Tage nach Teheran reisen. Der Mission gehört auch der Chef der Rechtsabteilung der IAEO, der Amerikaner Peri Lynne Johnson, an.
Fünf Tage vor der Abreise der IAEO-Delegation wird die EU den umstrittenen Einfuhrstopp für iranisches Erdöl beschliessen. Über diese Entscheidung wurde lange hinter den Kulissen verhandelt; sie wurde gegen erheblichen Widerstand innerhalb der Europäischen Union getroffen. Auch Japan hat auf Druck der USA zugesagt, seine Ölkäufe im Iran zu drosseln. Jetzt nimmt Washington Südkorea an die Kandare.
Regimewechsel als Ziel?
"Wenn sich Südkorea dem Ölembargo anschliesst, verliert der Iran 20 Prozent seiner Exporterträge", rechnet ein europäischer Diplomat vor. Erklärtes Ziel dieser Massnahmen ist die Schwächung der iranischen Wirtschaft. Auf diese Weise soll die Bevölkerung gegen das Regime aufgebracht werden.
Der iranische Religionsführer und starke Mann des Staates, Ali Khamenei, ist nach Informationen aus seinem Umkreis fest davon überzeugt, dass es den USA und ihren Verbündeten gar nicht um die Einstellung des Nuklearprogramms geht, sondern um einen Regimewechsel nach dem Muster des Iraks, Libyens und demnächst Syriens. Der Westen suche die Frontalkollision mit dem Iran, befürchtet der Ayatollah.
Die bisherigen Sanktionen wirken
Die bisher gegen den Iran verhängten Sanktionen haben die Wirtschaftslage des Landes tatsächlich stark geschädigt. Zwar gibt es genügend Waren in den Regalen der Geschäfte, doch die Preise steigen wegen der galoppierenden Inflation ins Masslose. Allein in den letzten drei Wochen hat die nationale Währung, der Rial, gegenüber dem Dollar 30 Prozent ihres Wertes verloren. Die Arbeitslosenrate beträgt offiziell zwölf Prozent, in Wirklichkeit aber mindestens das Doppelte. Wie lange die Bevölkerungsmehrheit den Niedergang ihres Lebensstandards hinzunehmen bereit ist, lässt sich schwer abschätzen.
Die andere Frage ist, wie weit sich die Europäer durch das nicht vom Weltsicherheitsrat abgedeckte Ölembargo selber schaden. Angeblich macht der Anteil iranischen Öls am gesamteuropäischen Verbrauch weniger als sechs Prozent aus. Einzelne Staaten wie Italien und Griechenland decken bis zu 15 Prozent ihres Ölbedarfs durch Importe aus dem Iran. Doch die Statistiken sind lückenhaft, die von Rohstoffhändlern in Genf oder Zug getätigten Geschäfte undurchsichtig.
Die Mullahs wären verrückt
Es soll an dieser Stelle nicht nochmals spekuliert werden, ob der Iran um jeden Preis Atomwaffen bauen oder bloss die technologischen Grundlagen dafür schaffen will. Selbst US-Verteidigungsminister Leon Panetta gestand Mitte Dezember ein, er wisse nicht, ob die iranische Führung bereits eine Entscheidung getroffen habe. Von unmittelbarer Aktualität ist hingegen die Drohung Teherans mit der Sperrung der Meeresenge von Hormus, wenn die EU wie geplant am 23. Januar ein Ölimportembargo beschliesst.
Die jüngsten Manöver der iranischen Flotte im Persischen Golf, die Flugtests von Mittelstreckenraketen und rhetorisches Säbelrasseln sollten offensichtlich einen Abschreckungseffekt erzielen. Die Mullahs und ihre Militärs sind aber kaum so verrückt, einen Krieg mit den USA vom Zaun zu brechen. Die USA haben Teile ihrer Fünften Flotte in Bahrain stationiert. Dazu kommen US-Luftwaffenbasen in Saudi-Arabien und anderen Scheichtümern. Im nahen Meer von Oman kreuzen Flugzeugträger der US-Navy.
Dieser Feuerkraft haben die Iraner nur wenig entgegenzusetzen: einige U-Boote sowjetischer Bauart, Fregatten, Korvetten und Schnellboote. Eine Schlacht würde zweifellos zur Vernichtung der iranischen Marine und ihrer Basen in Bandar Abbas und auf der Insel Kisch führen.
Blockierung von Hormus - ein zweischneidiges Schwert
Die Verminung der Strasse von Hormus wäre ein zweischneidiges Schwert, denn der Iran würde damit seine eigenen Ölexporte sabotieren. Derzeit werden täglich zwei Millionen Fass iranischen Erdöls durch diese Wasserstrasse verschifft, hauptsächlich für die Kunden im Fernen Osten. Saudi-Arabien hingegen könnte mit einer vorübergehenden Sperrung der Route im Persischen Golf leben. Die Saudis verfügen über ein nicht ausgelastetes Netz von Pipelines, die von ihren Ölfeldern ans Rote Meer führen. Diese Realitäten erklären, warum die Iraner jetzt wieder zurückrudern. Sie werden sich hüten, die von Obama gezeichnete rote Linie zu übertreten.