Am auffallendsten war der Besuch des Verteidigungs- und des Aussenminsters Russlands in Kairo vom vergangenen Donnerstag. Dabei sollen russische Waffenlieferungen im Umfang von 2 Milliarden Dollars besprochen worden sein. Die Visite war begleitet von Erklärungen beider Seiten, nach denen es sich um ein "historisches Ereignis" gehandelt habe. Das Flaggschiff der russische Pacific Flotte, der Kreuzer Varig, stattete gleichzeitg einen sechstägigen Besuch in
Alexandria ab.
Den Ägyptern ist noch sehr gegenwärtig, wie Anwar Sadat im Jahr 1971 die sowjetischen Fachleute und Ausbildungsoffiziere auf einen Schlag des Landes verwies und wie seither viele Jahrzehnte lang Amerika zum Hauptpartner Ägyptens geworden war, unter Sadat und unter seinem langjährigen Nachfolger Mubarak. Ist diese Periode nun mit dem Sturz Mubaraks zu Ende gegangen?
Ägypten will "diversifizieren"
Die heutigen Verantwortlichen, allen voran Armeechef as-Sissi und Aussenminister Nabil Fahmy, sprechen davon, dass ihr Land künftig nicht mehr auf einen einzigen Partner angewiesen sein soll, man wolle diversifizieren. Dies scheint für Waffen, aber auch womöglich für weitere Bereiche der Wirtschaft und der Aussenpolitik angestrebt zu werden.
Vorausgegangen waren Jahre amerikanischer Unsicherheit und Ambivalenz. Da gab es grosse Verheissungen Obamas in seiner berühmten Rede vom 4. Juni 2009 in Kairo zum Beispiel, aus denen nichts werden sollte. Dann Schwankungen, manchmal war man für den Bundesgenossen Mubarak, als er zu wanken begann, dann - schon recht bald - gegen ihn und zugunsten der Demokratiebestrebungen, jedoch unter Beibehaltung der
engen Bindungen mit den Militärs.
Dann eine zögernde Unterstützung für Mursi, die sich gerade in der Zeit zu verstärken schien, als er von den Militärs mit Unterstützung weiter Volkskreise abgesetzt wurde.
Die USA, mal so, mal so
Es folgte eine Zustimmung zum neuen Übergang, jedoch mit Ermahnungen verknüpft, sich an die Legalität zu halten. Kurz darauf: scharfe Kritik, als die Militärs dazu übergingen, die Muslimbrüder blutig zum Schweigen zu bringen, begleitet von einer Diskussion in Washington darüber, ob der Staatsstreich der Militärs ein Staatsstreich gewesen sei oder doch nicht.
Wenn er als solcher bezeichnet würde, müssten die Amerikaner nach rechtlichen Vorschriften, alle Hilfsgelder stoppen. Das wollten sie offenbar nicht, "natürlich nicht wegen Ägypten, sondern „um den Frieden mit Israel nicht zu gefährden", so urteilte Kairo.
Dennoch: Zwar wurde die Militär- und Entwicklungshilfe (jährlich seit 1979 1,2 Milliarden Dollars, vor allem in Waffen) nicht eingestellt. Die Lieferung besonders begehrter Kriegstechnologie jedoch wurde reduziert. Nicht geliefert werden jetzt die bereits versprochenen Apache-Helikopter und die ebenfalls in Aussicht gestellten Harpoon-Raketen. Ebenfalls unter den Lieferstopp fallen Ersatzteile für bereits gelieferte Tanks. In Kairo weiss man, dass in Washington eine Doktrin besteht, nach welcher die israelischen
Streitkräfte stets mit Waffen versorgt werden sollen, die den an Kairo gelieferten qualitativ überlegen sind.
Die Golfstaaten springen ein
Kairo fiel es erstaunlich leicht, andere Gelder zu mobilisieren, um die fehlenden amerikanischen zu ersetzen. Ja, es gelang, weit mehr zu erhalten als ursprünglich befürchtet. Finanzielle Sorgen muss sich das gegenwärtige Regime im Moment keine machen. Die Gelder kamen aus Saudi Arabien, den Emiraten und Kuwait. Sie sollen gesamthaft gegen 12 Milliarden ausgemacht haben. Dies waren "politische" Gelder, wie Kairo wohl weiss. Die absoluten Herrscher der drei Staaten hatten die Macht der Muslimbrüder in
Ägypten als eine Gefahr für ihre eigenen Regime eingestuft. Eine erfolgreiche "islamische Demokratie" wäre für sie, nach ihrem eigenen Urteil, gefährlicher gewesen als eine "säkulare", weil sie gezeigt hätte, dass Islam und Demokratie
kompatibel seien. Nach ihrer Doktrin sind sie das nicht. Wenn diese Doktrin sich in Ägypten als unzutreffend erwiese, könnten ihre islamisch gestimmten Untertanen auf falsche Ideen kommen.
Doch, was auch immer die Gründe für den Geldfluss sind: Für Ägypten zählt, dass die Gelder ausbezahlt worden sind. Es gibt Vermutungen, laut denen Saudi Arabien möglicherweise auch die von Russland jetzt versprochenen Waffen bezahlt.
Die Russen gegen "Regimewechsel"
Im heutigen Kairo weiss man auch das Verhalten der Russen in Syrien zu würdigen. Mursi sympathisierte mit den Rebellen, unter denen auch die syrischen Muslimbrüder kämpfen. Die heute regierenden Offiziere sind jedoch eher Freunde des Asad-Regimes, das sich immer als "säkular"
gegeben hat. Dass die Russen dieses Regime nicht fallen lassen, sondern ihm entschlossen zur Seite standen, als es unter den Druck grosser Teile der eigenen Bevölkerung und des Westens geriet, wird Moskau hoch angerechnet. Auf sie scheint mehr Verlass zu sein als auf die Amerikaner.
So urteilen auch die Saudis, obgleich ihre Parteigänger in Syrien unter der russischen Standfestigkeit zu leiden haben. In Riad wird den Amerikanern zur Last gelegt, dass sie Mubarak fallen liessen, sobald das Volk gegen ihn aufstand. "Könnten sie das auch mit uns tun, wenn es einmal hier zu einem Volksaufstand käme? " fragt man sich in Riad. Ein guter Grund um zu "diversifizieren".
Unsicherheit gegenüber Teheran
Iran ist natürlich eine weitere Enttäuschung für das Königreich. "Was geschieht mit uns, wenn die Amerikaner sich mit den Iranern verständigen?" fragt man sich dort.
Gegenwärtig führt Riad einen neuen Heiligen Krieg gegen den Schiismus. Washington scheint wenig bereit, da mitzumachen. Russland allerdings ebenso wenig. Moskau stützt nicht nur Syrien, sondern ist auch um verbesserte Beziehungen zu Teheran bemüht, wie die Saudis wissen.
Allerdings hat sich Moskau geweigert, den Iranern die S 300 Missiles zu verkaufen, über die verhandelt worden war. Die Saudis sehen heute in Russland eine Art von Rückversicherung für den Fall, dass die Amerikaner sie plötzlich im Stich lassen sollten - etwa angesichts
eines Volksaufstandes in Riad oder in den Erdölgebieten, die von Schiiten bewohnt sind. Die Russen sind wenigstens "gegen Regimechange".
Die Russen fragen nicht nach dem Stand der Demokratie
Maleki im Irak geht es ähnlich. Er war kürzlich in Washington und hat dort um Unterstützung gebeten. Ein Teil seiner Bevölkerung, die sunnitischen Araber, ist gegen ihn aufgebracht, und Wahlen stehen bevor. Washington hat sich nicht festgelegt. Maleki erhielt Ratschläge und Weisungen, er solle für mehr Demokratie sorgen und dadurch die unzufriedenen Sunniten besänftigen. Was ihm als eine unsichere Sache erscheint. Wenn er den Sunniten nachgibt, könnten sie noch mehr aufbegehren. Er hätte lieber Kriegsflugzeuge von Washington als Bewertungen und Ratschläge.
Die Russen zeigten sich bereit, dem Irak Angriffshelikopter zu
liefern. Sie fragten nicht nach dem Stand der irakischen Demokratie. Jedenfalls können sie dazu dienen, den Amerikanern zu zeigen, dass es in Bagdad auch ohne sie weiter geht.
Algerien Hauptkunde, wie lange noch?
Algerien war bisher der beste Kunde für russische Waffen. Das Land soll in den letzten vier Jahren fast 60 Prozent der russischen Waffenexporte gekauft haben. Doch die Algerier denken ihrerseits daran zu diversifizieren.
Die Emirate haben nach SIPRI ("Stokholm International Peace Research Institute"), dem schwedischen Institut, das die Waffenverkäufe weltweit verfolgt, 7 Prozent der russischen Exporte übernommen. Auch dort nimmt man den Amerikanern übel, dass sie Mubarak so rasch aufgaben.
Im Nahen Osten geht das Gerücht um, Prinz Bandar, der saudische Sicherheitschef, habe Moskau besucht und den Russen Waffenkäufe in der Höhe von 15 Milliarden angeboten, wenn sie dafür Syrien im Stich lassen wollten. Doch Moskau habe dies nicht getan. Offizielle Bestätigungen gibt es zu diesem Berichte natürlich nicht. Dennoch soll kürzlich König Abdullah selbst ein Telefongespräch mit Putin
geführt haben.
Zurück zur Schaukelpolitik
All dies bedeutet nicht, dass der Kalte Krieg in den Nahen Osten zurückkehrt. Es zeigt jedoch, dass die Zeit der unbedingten amerikanischen Hegemonie der Vergangenheit angehört. In Zukunft wird es wohl mehr ein Gleichgewichtsspiel geben, in dem die nahöstlichen Regime versuchen werden, sich abwechselnd auf die eine und auf die andere Grossmacht zu stützen. Was für sie vorteilhaft zu
sein scheint, jedoch seine eigenen Kosten birgt. Die innere Stabilität wird darunter leiden, dass nun zwei Supermächte ansprechbar sind, wo es bisher seit Sadat immer nur eine gab. Die innere Stabilität jedoch ist heute fragiler denn je. Sie wurde durch die Volksbewegung der Revolution erschüttert, sogar dort, wo diese - wie beinahe überall - sich bisher nicht durchsetzen konnte.