“Nur die Zigarre fehlt, Herr Doktor. Ich habe gewusst, er kommt so daher. Ich habe gewusst, er will die Therapie torpedieren.”
Marie-Lou knetete ein Taschentuch und griff mit der anderen Hand nach der Zigarettenschachtel auf dem Glastisch.
“Sie hat wieder zu rauchen begonnen! Verdammt, das steht sogar im Ehevertrag: Beide Partner verpflichten sich ABSOLUT, auf das Rauchen zu VERZICHTEN. Du hast verdammtnochmal wieder mit dem Rauchen angefangen.”
Dr. Abaecherli strich sich durch den Bart. Er blickte gutmütig. “Nur die Ruhe, am Anfang ist das oft so. Wir sind ja hier, um diese Konflikte… Es hat doch auch sein Gutes, wenn die ausbrechen.”
“Konflikte sind sein täglich Brot, Herr Doktor. Er tut nichts anderes, als Konflikte ausbrechen zu lassen. Und dann dieser Aufzug. Er will uns verhöhnen.”
“Aha! Gleich schmeisst du dich an den Psychiater ran. Gleich suchst du nach einem Verbündeten gegen mich. Und mein Aufzug, damit du es weisst…”
Dr. Abaecherli seufzte. Aus Erfahrung wusste er: Wenn die Leute sich in Rage redeten, musste die Sinnebene auf den Kopf gestellt werden. Er tat, was er immer tat in solchen Fällen: Er griff nach den Pfefferminzpastillen, hob den Deckel und hielt Roger Rightwing die Dose vor die Nase.
“Die sind gut, wissen Sie. Ich lasse sie mir aus London schicken. Probieren Sie mal. Ungezuckert. Aus Mrs Pennybox’ Garten. Greifen Sie zu. Ich nehme auch eine.”
Sie sehen sich lutschend an: Abaecherli den Roger, Marie-Lou den Abaecherli, nur Roger und Marie-Lou blicken sich nicht in die Augen.
“Gut, nicht? Nun also, mit der Ruhe. Herr Rightwing, ich kenne Sie ja aus dem Fernsehen, da tragen Sie keine… Sommerkleidung.”
“Er trägt gar nie SOMMERKLEIDUNG. Für ihn existiert der Sommer nicht. Er lebt in arktischer Kälte nach dem radioaktiven Fallout, er klirrt in düsteren Schneehöhlen, er schreitet durch die Eiszeit, die der aufgeblähte Sozialstaat hinterlassen hat. Gebe ich es richtig wieder, Rogerlein?”
“Herr Doktor, Sie müssen die Frau unterbrechen. Die besetzt ja die ganze Sendezeit. Und wegen der Aufmachung…”
Marie-Lou verfällt in ein gereiztes Lachen, in ein hohes, schrilles Lachtremolo, das Roger noch nie an ihr gehört hat. So lacht sie, wenn sie mit ihren Freundinnen die Scheidungsklage bespricht, wetten? Doch Marie-Lou hat schon wieder das Wort an sich gerissen: “Jetzt kommt es, Herr Doktor. Seine Aufmachung soll wohl LOCKER wirken. Dabei sind das die Hosen, die er am Polterabend… Und den Hut hat Lisa einmal vom Grossvater mitgebracht… Ich sagte es ja: Fehlt nur die Cohiba.”
“Die Cohiba!”, schreit Roger Rightwing, “die Cohiba fehlt noch? Die Cohiba ist ein verdammtes Phallussymbol, da geben Sie mir wohl recht, Herr Doktor, und die Kleidung…”
Dr. Abaecherli versucht es nochmals mit den Pfefferminzbonbons, schaut aber gleichzeitig auf die Uhr. Noch zehn Minuten. “Sie unterbrechen sich jetzt bitte nicht. Zuerst Frau Rightwing. Bitte.”
Sie zündet sich die zweite Zigarette an.
“Ich hätte nach dem ersten Date davonlaufen sollen. Verschwinden. Und die Aufmachung! Ein Hohn. Er nimmt mich nicht erst. Er torpediert die Aussprache. Er will sich nicht aussprechen, und er will mich nicht aussprechen lassen.”
Abaecherli sagte laut: “Stopp! Und jetzt Herr Rightwing.”
“Die Aufmachung ist eine Liebeserklärung, herrgottnochmal. Du hast sie mir heute morgen selbst suggeriert. Ich bin doch nicht blöd. Ehe aufpeppen und so.”
Abaecherli: “Stopp, danke. Sie leiden beide an einem Double Bind. Und…”
Dr. Abaecherli konnte das Kichern unter seinem Bart nicht mehr unterdrücken. “Ja, hi hi, entschuldigen Sie, hi hi, Herr Rightwing, die Aufmachung ist wirklich… Wir sehen uns dann am kommenden Mittwoch zur selben Zeit.”
Kichernd begleitete er die beiden Rightwings zur Tür.
Marie-Lou blickte auf dem Weg nach unten zum ersten Mal an diesem Tag wieder Roger an. “Ich finde den ein… Arschloch!*, meinte sie, -“der hat von Psychologie keine Ahnung.”
“Ja Schatz, denn ich habe mir mit der Kleidung wirklich Mühe gegeben. Stell dir vor, einer vom Fernsehen sieht mich auf dem Rückweg. Oder einer meiner Angestellten.”
Marie-Lou warf die dritte Zigarette nur angeraucht auf die Strasse. “Du hast recht Schatz, ich höre mit dem Rauchen wieder auf. Und du siehst wirklich ganz witzig aus in diesen Kleidern. Das war mutig.”
“Ja, Schatz. Der hat doch aus Verlegenheit gekichert. Irgendwie hatte der Blödmann von Psychiater keine Chance gegen uns zwei. Wir sind eine Powercouple.”
Marie-Lou lächelte. Das fand sie eigentlich auch.
Doch Rightwing machte alles wieder zunichte, als er sagte: “Lisa könnte eigentlich ein Brüderchen gebrauchen, meinst du nicht auch, Schatz?”