Er hatte jenes überlegene Lächeln im Gesicht, jenes Funkeln in den kleinen schwarzen Pupillen, die Wachsamkeit, Brillanz und Perfidie signalisierten. Provokation war Rightwings Tagesgeschäft, das er so schnell nicht ablegen konnte. Aber Provokation mit Kleidern?
„Das ist es ja, was ich meine. Er kann damit nicht aufhören. Er gibt auch zu Hause den Clown.“
Das war Marie-Lou. Sie trug hellblaue Bluse zu dunkelblauem Rock, hatte die Haare streng zu einem Rosschwanz gebunden und knetete nervös ein Taschentuch mit der rechten Hand. Die Linke klaubte nach einer Zigarette aus der Schachtel, die auf dem Glastisch lag.
„Darf ich?“
Der Therapeut nickte. „Sie haben auch von... hm... fixen Ideen gesprochen, die Ihr Mann...“
„Ich ertrage seine Ansichten nicht mehr. Diese Slogans. Schmarotzer da, Scheinschweizer dort, EU-Faschisten da, Drittweltjesuschristen dort. Und Lisa und John...“
„Lisa ist Ihre Tochter, nicht wahr? Und John?“
„Das ist der afrikanische Junge, der mit seinen Verwandten im Garten des Nachbarn campiert.“
Unter dem Bart des Therapeuten zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ah ja, ich habe davon gelesen, in diesem Journal, in der Rubrik... Woher weiss dieser Typ eigentlich so gut über die Rightwings Bescheid?“
Nun ging eine seltsame Verwandlung mit Roger Rightwing vor sich. Der Körper krümmte sich, die Hände verkrampften sich, das Maul verzog sich und das Gebiss biss zu, bis die Cohiba in Brüche ging.
Teile von Tabakblättern flogen in die Luft und segelten zu Boden. Roger Rightwing stiess gutturale Laute aus.
„Was ist mit Ihnen, Herr Rightwing? Wir sprachen gerade über John, ihre Tochter und diese Kolumne.“
Rightwing stampfte auf den Boden und heulte auf. Marie-Lou verdrehte die Augen und sah zur Decke, dann in die Augen des Therapeuten mit einem verzweifelten Blick, der nur bedeuten konnte:
Auch das, Herr Doktor, leider.
„Journal? Leninjournal! Kommunistenpostille! Wrrrgh!? ☠☠☠☭☭☭ !?? &%☀☀☂ !! Püahh! Püahh!!“
Der Therapeut hielt Rightwing ein Glas Wasser hin. „Herr Rightwing, Ihre Frau will sich ja gar nicht von Ihnen trennen. Sie meint nur, dass Sie ein bisschen toleranter ..., wir haben das letzte Mal doch darüber... Dass Ihre Tochter zum Beispiel mit John, mit diesem schwarzen Jungen aus der Nachbarschaft, ich wusste nicht, dass er John heisst...“
„Nachbarn? Zulus! ☢☢☠☻☻☭☭✷♨✷☠☠☂!! Und nein-nein-nein: Lisa geht nicht mehr in diesen Zoo ...“
Der Therapeut beugte sich zu Roger Rightwing vor, vielleicht um dessen Atem zu riechen. War er alkoholisiert? Was war mit Roger Rightwing los?
Als er aus dem Bett kroch und die Brille auf die Nase setzte, sah er durch die offene Schlafzimmertür Marie-Lou schon am Rokokotisch im Salon sitzen. Sie trug hellblaue Bluse zu dunkelblauem Rock, hatte die Haare streng zu einem Rosschwanz gebunden und schlürfte ihren Morgentee.
“Schon auf, Schatz?”
“Ich bin früh aufgewacht. Hatte einen seltsamen Traum.”
“Sag nichts, ich habe auch diese Alpträume.”
“Uuuh, der grosse schwarze Vogel, dessen breite Schwingen düstere Schatten werfen. Brrr. Dark Vader. Das geht schnell vorbei, und danach findest du ja meist die nächste Sau, die du durch das Dorf jagen kannst. Übrigens: Heute haben wir den Termin bei Doktor Abaecherli, 17 Uhr.”
“Ja, beim Psychiater. Das machen wohl alle modernen Eheleute?”
“Das ist ein Paartherapeut. Sag mal: Was ziehst du heute an?”
Roger blickte erstaunt hinter den Gläsern. Das Weib ist ein Rätsel, wo hatte er das gelesen?
“Sag mal, Roger: Du hast dir doch keines dieser Hawaiihemden gekauft? Und Shorts?”
“Spinnst du? Ich bin nicht Redaktor Bänz Ödeli, der mit der Roulotte nach Holland in die Ferien fährt.”
“Hm. Und du hast auch nicht begonnen, Zigarren zu rauchen?”
“Sag mal… Das ist doch ungesund!”
“Und die neuen Nachbarn, du nennst sie doch nicht auf der Redaktion… Kaffer? Oder Bimbos?”
Roger lachte auf. “Wäre eine Idee!”
“Weisst du, wir Frauen wollen ernst genommen werden.”
“Aber ja doch, ich komme ja auch in deine… Therapie. Ich bin schon ganz therapiegeil.”
“Ich muss gehen, du bringst heute Lisa zur Schule. Und lass ja John in Ruhe! Nenn ihn nicht Negerli, ja?”
Roger seufzte.
“Ah, und keine Espadrilles! Tschüss!”
Da war sie auf und davon, die Handtasche unter dem Arm, ohne auch nur zurückzublicken.
Espadrilles? Zigarren? Hawaiihemd?
Roger dachte nach, während er gleichzeitig in Richtung Küche rief: “Maria, einen doppelten Espresso!”
Wünschte sie sich ihn so? Angekleidet wie Ödeli, der in die Ferien aufbrach? Nur rauchte der Brissago.
Um ihn herum wurden alle verrückt: Christoph Sünneli rast in einen Pfahl und wird Sozialist. Der Korrektor Stomp verkleidet sich als Penner und überreicht ihm die Kündigung. Dark Vader will die AHV erhöhen. Und jetzt Marie-Lou. Ohne Zweifel Telepatie. Seit sie den Termin bei diesem Psychodoktor gebucht hatte, war sie selbst ein Psycho geworden. Zur Einstimmung.
Gut, dass ich kühlen Kopf bewahre.
Also, eine Zigarre rauche ich auf keinen Fall.
“Maria! Mariaaa! Kannst du mal meine Shorts rauskramen? Ja, die grellgelben von dem Polterabend. Und die Espadrilles. Und den Strohhut.” Tun wir ihr den Gefallen, dachte Roger, und nahm einen Schluck des bereits erkaltenden doppelten Espresso.