Ist nicht jeder Tag, den wir erleben, multimedial? Sind nicht alle Bewegungen von Lebewesen, Dingen, Klängen und Räumen Performances? Gewiss, die Fussstapfen, in die man mit derartigen Fragen tritt, sind gross. Schon Joseph Beuys hatte vor 51 Jahren behauptet, alles sei Kunst, und war damit wiederum in die Fussstapfen von Marcel Duchamp mit dessen zur Kunst erklärten Alltags-Gegenständen getreten. Trotz dieser Vor-Einstimmung der Kunstszene – man denke nur an die DADA-Bewegung – erregte der von Beuys 1967 geprägte Begriff der „Sozialen Plastik“ die Gemüter – sowohl jene der Kunst- als auch der Alltagswelt.
Heute hat sich dieser Diskurs mehr ins Gesellschaftspolitische verschoben. Allein schon die rhetorische Frage, was denn heute noch wirklich als Republik verstanden werden kann angesichts von Terror-Regimes an der Spitze sogenannter Demokratien, reisst einen Graben von ungelösten Problemen unserer heutigen Gesellschaft auf.
Dass sich Künstlerinnen und Künstler solchen Problemstellungen auf Dauer nicht entziehen können und dürfen, wird immer deutlicher. Nach einer erstaunlich langen Durststrecke von nur selten ins Zeitkritische gehenden künstlerischen Äusserungen innerhalb von Ausstellungsräumen der letzten Jahre besinnen sich nun auch die grossen Institutionen wieder darauf, dass Museen und Galerien nicht nur ästhetische Erwartungen zu erfüllen haben. Ein Versuch, den Diskurs wieder in Gang zu bringen, welchen der Litauer/Amerikaner George Maciunas mit der Begründung der Fluxus-Bewegung 1961 angestossen hatte, ist derzeit in den Räumen des Kunstmuseums Bern zu sehen – oder besser: mitzuerleben.
République Géniale
„Kunst ist ein Prozess. Letztlich ist alles Kunst und jeder ein Künstler. Inzwischen müssen die Künstler teilnehmen an den kollektiven Träumen: Soziale Revolution – Sexuelle Revolution – Poetische Revolution.“
Was der französische Künstler Robert Filliou in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts postuliert und in vielen Werken und Schriften niedergelegt hatte, wurde in Bern zum Ausgangspunkt einer Ausrufung erkoren: „Wir rufen hiermit die République Géniale aus!“, so Museumsdirektorin Nina Zimmer an der Medienkonferenz, umringt von ihren KuratorInnen Anneli Binder, Kathleen Bühler, Valerian Maly (der auch die Idee entwickelt hatte), Sarah Merten, Seraina Renz, Paula Sansano und Roger Ziegler samt Produktionsleiterin Juliane Seifert.
„Ich vermute, das wird die Kunst der Zukunft sein: Immer in Bewegung und nie am Ziel, l’art perdu sans perdre, die Kunst sich zu verlieren, ohne verloren zu gehen.“ (Filliou)
Permanente Veränderung
Verloren könnte man schon gehen bei den vielschichtigen Themen und Anstössen dieses Projekts. Auf jeden Fall sollte man viel Zeit mitbringen. Das Kunstmuseum arbeitete im Bereich von Bewegung und klanglicher Artikulation eng mit der Dampfzentrale Bern zusammen, womit ein Eindruck von Fliessen, eben „Fluxus“, von immerwährender Bewegung entstehen soll, eine gewisse Unwägbarkeit in Permanenz. Behandelt werden gesellschaftsrelevante Themen wie Territorium, Klima, Bildung und das Zusammenleben in vielfältiger Ausformung. Laut Kunstmuseum soll die République Géniale ein Ort sein, „in dem Kunst, Wissenschaft und Spiel zueinander finden, der Zufall einkalkuliert wird und permanente Veränderung als Grundprinzip herrscht.“
Ausser einigen fertig definierten Installationen wird sich das Bild, welches sich beim Durchgang durch die Räume bietet, ständig verändern. Fünf künstlerische Kollektive (Forensic Architecture, SUPERFLEX, U5, RELAX und das Basler Louise Guerra Archive) führen Werke und Arbeitsformen vor, welche die unterschiedlichen Prinzipien von kollektiver Zusammenarbeit befragen und repräsentieren, zuweilen unter Einbezug des Publikums. Und um den postulierten Anspruch des Fliessens ganz reell und alltagstauglich erfahrbar zu machen, ist auch eine Kahnfahrt auf der Aare eingeplant. Zum puren Gegenteil, dem langen und konzentrierten Sitzen, wird bei der Austragung der Berner Schachmeisterschaft im sogenannten Poïpoïdrom im Erdgeschoss eingeladen. Eine eigens für Bern überarbeitete Konzeptkomposition von Alvin Curran findet unter Einbezug von Pontonier- und Wasserfahrvereinen exterritorial am Ufer der Aare statt. Undundund ...
Man kann einem solch gleichermassen ehrgeizigen wie auch ausgeflippten, pardon, ungewöhnlichen, zum Teil auch waghalsigen Unternehmen in unserer durchgestylten und formierten Zeit nur Glück wünschen. Und gleichzeitig allen Besucherinnen und Besuchern zum Erwerb einer Dauerkarte (Drei-Tages-Pass oder Dauerpass) raten, um auch nur einen Bruchteil all der laufenden Veranstaltungen zu erleben. Das gesamte Programm ist während der ganzen Ausstellung einsehbar unter