Noch kaum je ist vor Bundesratswahlen so viel geschrieben, geredet und spekuliert worden. Die Ersatzwahlen wurden beinahe zum Jahrhundertereignis hochstilisiert. So gesehen ist das Ergebnis vom Mittwoch enttäuschend unspektakulär ausgefallen.
Eine SP-Frau ersetzt den SP-Mann und ein FDP-Mann den FDP-Mann. Trotzdem darf man von einem historischen Tag sprechen. Die als konservativ geltende Schweiz hat künftig eine Frauenmehrheit in der Regierung. Das ist, wie der Historiker Urs Altermatt sagt, auch „eine wichtige Message an das Ausland“.
Taktische Spielereien
Erfreulich ist auch, dass das Parlament darauf verzichtet hat, ein Jahr vor den Wahlen die politischen Gewichte in der Regierung zu verschieben und so die Regeln während des Spiels, während der Legislaturperiode, zu ändern. Die Mehrheit hat sich nicht auf die taktischen Spielereien eingelassen, die ihr einzelne Politiker und Medienleute beliebt machen wollten.
Man solle doch der SVP noch vor der Parlamentswahl von 2011 einen weiteren Sitz zugestehen, rieten diese. Bei der CVP war es eine Gruppe um den Möchtegern-Bundesrat Bruno Frick, die sich für dieses Vorgehen einsetzte. Auch bei den Grünen gab es Anhänger dieser Taktik.
Sie spekulierten darauf, dass die SVP diese Schützenhilfe später honorieren wird, wenn nach den Parlamentswahlen und dem Rücktritt der SP-Bundesrätin Calmy-Rey ein Sitz in der Regierung frei wird.
Für die Wahl des SVP-Mannes Jean-François Rime sprachen sich sogar der ehemalige SP-Präsident Peter Bodenmann und SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer aus. Ihre Argumentation mutete noch gesuchter an als jene der CVP-Minderheit um Bruno Frick.
Dass CVP und Grüne zulegen ist alles andere als sicher
Sie glaubten offenbar, man könne die SVP mit der Rime-Wahl ruhig stellen und sie eines ihrer Wahlkampfargumente berauben. Die SVP könnte so nicht länger klagen, sie sei als grösste Fraktion untervertreten, und auf das Mitleid der Wähler hoffen.
Niemand weiss jetzt schon, wie die Wahlen 2011 ausgehen werden. Dass CVP und Grüne derart viele Sitze gewinnen werden, dass sie arithmetisch gesehen, einen Anspruch auf einen Bundesratssitz geltend machen können, ist alles andere als sicher.
Und die Hoffnung, die SVP werde sich nach einem weiteren Bundesratssitz zufrieden zurücklehnen und sich ganz als besonnene Regierungspartei geben, ist weltfremd. Die SVP bleibt so oder so die Partei des permanenten Wahlkampfes und wird nicht Kreide fressen.
Dauergejammer der SVP
Es gab keinen Grund, der SVP schon jetzt auf Kosten einer anderen Fraktion zu einem weiteren Sitz zu verhelfen. Soll doch die SVP weiter klagen über die von ihr mitverschuldete „Untervertretung“ im Bundesrat. Schliesslich hat sie selber Eveline Widmer-Schlumpf aus der Partei ausgeschlossen.
Angst vor dem Dauergejammer der SVP, sie sei als grösste Fraktion in der Regierung untervertreten, braucht niemand zu haben. Dieser vermeintliche Wahlkampfschlager zieht bloss noch bei den überzeugten Anhängern der Partei. Das Gros der Wählerinnen und Wähler dürfte diese alte Platte langsam langweilen.
2011 kämpfen alle gegen alle
Allerdings könnte die Sitzverteilung im Bundesrat schon bald wieder ändern. 2011 werden die Karten neu gemischt. Dann wird Eveline Widmer-Schlumpf definitiv nicht mehr als Ex-SVP-Bundesrätin zählen und als Vertreterin der kleinen BDP einen schweren Stand gegen einen SVP-Kandidaten haben. Selbst die SP wird ihre zwei Sitze nicht auf sicher halten können, wenn Micheline Calmy-Rey zurücktritt.
Bei den Grünen gibt es Politiker, die unbedingt in den Bundesrat wollen und nicht vor einer Auseinandersetzung mit der SP zurückschrecken. 2011 kommt es wohl zum Kampf jeder gegen jeden, sagt Franz Steinegger, der ehemalige Parteipräsident der FDP, deshalb voraus.
Vielleicht wird 2011 auch die Parteienzersplitterung weitergehen und bald einmal so gross sein, dass die Diskussionen um die arithmetisch richtige Sitzverteilung langsam absurd werden. Es ist eine gerne wiederholte Behauptung, in unserem System der Abstimmungsdemokratie müssten alle grösseren Parteien zusammen in der Regierung vertreten sein. Doch zwingend ist das nicht, wie ein Blick auf die Geschichte der Schweiz zeigt. Der Bundesrat ist kein Miniparlament, das alle unterschiedlichen Meinungen abbilden muss.
Gut möglich, dass ein Team, das nicht strikt nach arithmetischen Regeln zusammengesetzt ist, besser funktioniert und bessere Resultate bringt. Eine Regierung, gestellt von Parteien, die sich auf einen Minimalkonsens verpflichten und nach Ablauf der vierjährigen Legislaturperiode bei der Neuwahl der Regierung auch die Verantwortung für ein Scheitern übernehmen müssten.
Von den Neuen darf man einiges erwarten
Vielleicht ist die Zeit auch 2011 noch nicht reif für eine solche Abkehr von der Bundesratsarithmetik. Entscheidend wichtig ist jedoch, dass wir eine Regierung haben, die nicht aus Parteisoldaten oder Parteihäuptlingen besteht. Es braucht Politikerinnen und Politiker, die miteinander Lösungen ausarbeiten und Kompromisse schmieden können. In dieser Beziehung darf man sich von den am Mittwoch Gewählten, Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann, einiges erhoffen.