In einem offiziellen Kommuniqué beklagte Carlos Enrique Herrera, Bischof der nicaraguanischen Provinz Jinotega, den „Tod unschuldiger Zivilisten durch wiederbewaffnete Contras und die Armee.
Die Armen im Land
Es seien die Armen im Land, die unter den Auseinandersetzungen leiden, was in der Bevölkerung zu sozialer Unsicherheit und einem Gefühl von Verfolgung geführt hat“, mahnte er. „Ich bitte die Armee von ganzem Herzen, die zivilen und die Menschenrechte zu respektieren. Ich erinnere daran, dass Zivilisten nicht dafür verantwortlich sind, wenn bewaffnete Gruppen in unserem Gebiet operieren. Wir müssen den Dialog mit diesen bewaffneten Leuten suchen, denn Gewalt erzeugt nur mehr Gewalt.“
Nach Angaben der Zeitung „La Prensa“ starben erst vor kurzem vier Menschen bei Schiessereien zwischen der Armee und einer wiederbewaffneten Contra-Gruppe, die angeführt wird von Gerardo de Jesús Gutiérrez, besser bekannt unter seinem Kriegsnamen „El Flaco“ (Der Dünne). Am 1. Oktober schon hatte El Flacos Bande den 54 Jahre alten lokalen Parteichef der FSLN (Sandinistische Front der Nationalen Befreiung) José Cruz López in einem winzigen Weiler bei Wiwili im Norden des Landes in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. In der Folge kam es zu mehreren Schusswechseln zwischen den selbsternannten Rebellen und der Armee, in deren Verlauf weitere Menschen getötet wurden.
Gestohlene Wahlen
Wenig später ermordeten sechs Männer in Camouflage, die sich ebenfalls als Mitglieder der wiederbewaffneten Rebellengruppe ausgaben, wieder in der Nähe von Wiwili ein weiteres FSLN-Parteimitglied, Trinidad Cano Torres. In einem anderen entlegenen Ort zerrten acht Bewaffnete den sandinistischen Parteisekretär Carlos Ali Garcia aus seinem Haus und erschossen ihn. Dann besprühten sie sein Haus mit der alten Contra-Parole: „Gott, Vaterland, Demokratie, Freiheit oder Tod“ und mit dem ominösen Nachricht: „Dies ist das Ergebnis gestohlener Wahlen.“
Schon im vergangenen Jahr meldete sich ein angeblicher Contra, der sich „El Sheriff“ nannte, nach einem Überfall, bei dem acht Menschen getötet wurden, telefonisch bei Judith Flores, der Korrespondentin der „La Prensa“ in Miami, und erklärte ihr, „die Nicaraguanische Demokratische Front-380“ habe sich gebildet, um „den bewaffneten Kampf gegen die Regierung Daniel Ortegas zu führen“. Er habe schon „in den achtziger Jahren gekämpft, bis wir den Sandinismus vertrieben hatten, und nun wiederholt sich die Geschichte – wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einer Diktatur leben.“
Von Kugeln durchsiebt
„El Sheriff“ habe sich als Nachfolger von „Yahob und „Pablo Negro“, zwei angebliche Contra-Führer, die 2011 unter mysteriösen Umständen umgekommen waren, vorgestellt. Yahob, ein in den USA ausgebildeter Elitesoldat der Contra in den Achtzigern , hatte offenbar sieben Monate lang einen grotesken Ein-Mann-Krieg geführt, ehe er starb. Pablo Negros Körper war von Kugeln durchsiebt in einem Graben in Honduras gefunden worden. Die Contra-Bewegung will bereits auf 1600 Mann angewachsen sein, die in kleinen Gruppen, angeführt von 24 Guerilla-Kommandanten, in ganz Nicaragua operieren und von der in Florida registrierten Non-Profit-Organisation „Comando Central Resistencia Nicargüense USA“ finanziert würden.Zwanzig Jahre nach ihrer Auflösung kämpft in Nicaragua eine neue Contra-Guerilla gegen den ehemaligen und aktuellen Präsidenten Daniel Ortega.
Die nicaraguanische Armee bestreitet die Existenz wiederbewaffneter Contra-Gruppen und sagt, es handele sich nicht um Guerillas sondern um normale Kriminelle und Viehdiebe. Yahob und Pedro Negro seien gewöhnliche Kriminelle gewesen, die fälschlicherweise „in den Status von Guerillaführern erhoben“ worden seien. „Es gibt Leute, die die Realität, in der wir heute in Nicaragua leben, immer noch nicht verstehen“, sagt Armeesprecher Oberst Juan Ramos Morales. Die Gerüchte von wiederbewaffneten Contras, die in den Bergen operieren, sind “schmutzige Behauptungen”, um die Regierung in Misskredit zu bringen und „politische Unsicherheit zu schaffen“.
Offiziell gibt es nur Kriminelle
Die angebliche Existenz wiederbewaffneter Contra-Gruppen erscheint sogar Oppositionspolitikern und ehemaligen Contras wie dem Vizepräsidenten der Nicaraguanischen Partei des Widerstands, Roberto Ferrey, recht mysteriös. Es sei schwer, an ihre Existenz zu glauben, sagt Ferrey. Er zweifelt auch an den Zusammenstössen zwischen “Recontras” und staatlichen Sicherheitskräften. „Du kannst die Verletzten nicht verstecken – sie müssen in einer Klinik behandelt werden.“ Doch Verletzte kommen in den Berichten über diese Zusammenstösse nicht vor.
Als die Armee in einer „Sonderoperation Reptil“ nach einjähriger Jagd in der Nähe von Tortuguero inmitten des Dschungels in einer armseligen Hütte „Comandante Cascabel“ (Klapperschlange) mit zehn seiner Männer stellte, gab es nach offizieller Version vier Tote, darunter Cascabel. Die restlichen sechs konnten entkommen. „Es handelte sich um eine Gruppe von Straftätern, die verschiedene Verbrechen in der Region begangen haben, einschliesslich der Ermordung eines Bauern und des Überfalls auf eine Polizeistation“, teilte die Armee später in einem offiziellen Kommuniqué mit. „Sie haben auch lokalen Bauern Geld abgepresst.“
Andere Meinungen
Die selbsternannte politische Führung der Contra in Miami allerdings erzählt eine andere Geschichte. Die Nicaraguanische Demokratische Front-380 behauptete, die Erschiessung Cascabels und seiner Männer sei Teil einer grösseren Militäroperation in Tortuguero, die gegen eine Gruppe von 30 Rebellen gerichtet sei. Dabei sei neulich ein weiterer Contra-Kommandeur namens „Sargento“ festgenommen und in Jinotega inhaftiert worden, wo er wegen Drogenhandels angeklagt ist.
Judith Flores von „La Prensa“ berichtete zudem, der Mann, der sich El Sheriff nannte und sie vermutlich aus den Bergen Jinotegas angerufen habe, habe darauf beharrt, sein Kampf sei ein politischer Kampf. „Er begann nach den gefälschten Kommunalwahlen vor fünf Jahren. Der Diktator will die Macht nicht abgeben. Die Regierung sind die wahren Verbrecher“, habe ihr El Sheriff gesagt.
Auch der katholische Bischof von Estelí und Präsident der Nicaraguanischen Vereinigung für Menschenrechte (ANPDH), Juan Abelardo Mata Guevara, warnte bereits mehrfach, die Situation werde „immer schlimmer“. Das anhaltende Leugnen der Existenz der Guerilla durch die Regierung zeige eine „schreckliche Taubheit“ gegenüber den Problemen im Norden des Landes. „Die Regierung weiss, sie hat dieses Problem verursacht, sie will es aber nicht eingestehen.“ Der Bischof, der sich als „die Stimme der Stummen“ versteht und sich seit geraumer Zeit um den Dialog und eine friedliche Beilegung des Konflikts bemüht, gerät immer mehr ins Visier Daniel Ortegas, der ihn auch schon mal als Agenten der CIA.
Geschichten aus dem Kalten Krieg
Die Worte der Bischöfe und die Ereignisse scheinen aus einer längst vergangenen Epoche zu kommen, aus einer Zeit als sich die USA und die Sowjetunion noch unversöhnlich gegenüberstanden und kleine Staaten in erbitterte Stellvertreterkriege hetzten. Einst, in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, kämpften in Nicaragua rechtsgerichtete, sogenannte „Contras“ mit massiver US-Hilfe gegen die regierenden, linksorientierten und von Moskau und Pankow unterstützten Sandinisten, die im Volksmund „Compas“ genannt wurden.
Nach der Wahlniederlage der sandinistischen Revolutionäre im Februar 1990 begruben die Kontrahenten unter Aufsicht der Weltöffentlichkeit die Waffen. Zwar gruben die alten Gegner damals schon bald wieder ihre Kalaschnikows, Fal-, G-3- oder M-16-Gewehre aus und meldeten sich für kurze Zeit unter dem aktualisierten Namen „Recontras“ an die Front zurück, weil die gewählte und US-unterstützte Präsidentin „ihre Versprechen nicht eingelöst hat“. Das Versiegen der zuvor so üppig erhaltenen militärischen und vor allem finanziellen Hilfe aus den USA zwang sie jedoch bald wieder ins Zivilleben zurück.
Weisheit statt Waffen
Inzwischen ist Nicaraguas Präsident Daniel Ortega, der einstige „“Comandante de la Revolución“ und sandinistische Präsident, auch kein Revolutionär mehr sondern ein korrupter Caudillo. Das sowjetische Imperium, das einst nach Einfluss in Washingtons Hinterhof suchte, ist untergegangen.
Monseñor Herrera bat die Regierung, „weise zu handeln“ und einen „wirklichen Dialog“ zu beginnen, um „mehr Gewalt und Tod in unserem Nicaragua, das schon so viel gelitten hat, zu vermeiden.“ Gleichzeitig forderte er die wiederbewaffneten Contras auf, ihren “gewaltsamen Weg“ aufzugeben und „weiteren Schmerz und weiteres Blutvergiessen zu vermeiden. Waffen sind kein effektives Instrument zur Durchsetzung Eurer Rechte.“