In den Sommermonaten Juli und August war früher in Polens Politszene wenig los. Seit die national-konservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) an der Macht ist, hat sich das allerdings geändert. Parteichef Jaroslaw Kaczynski benutzt die flaue Zeit gerne, um umstrittene Reformen durchzupauken. Schon letztes Jahr preschte er mit drei Justizreformen vor, die dem PiS-Lager die Kontrolle über die Justizorgane verschaffen sollten (Journal21.ch vom 20.07.2017). Nach massiven Protesten im ganzen Lande zog Präsident Andrzej Duda die Notbremse und legte gegen zwei Vorlagen ein Veto ein: gegen die Reform des KRS, des Landesrates des Gerichtswesens, eines Selbstverwaltungsorganes der Richter, sowie gegen die Reform des SN, des Obersten Gerichtes.
Die Umsetzung der Justizreformen
Diesen Sommer beherrschte die Justizreform erneut die politische Agenda. Nachdem Duda und Kaczynski sich schon letztes Jahr geeinigt hatten, wurden die insgesamt wenig veränderten Gesetzesvorlagen noch kurz vor Jahresende verabschiedet. Es gab zwar wieder Proteste, aber relativ geringen Ausmasses.
Mehr Sorgen machte der PiS die Haltung der EU, die substantielle Veränderungen verlangte und schliesslich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 einleitete. Die Regierung verhandelte mit Brüssel. Gleichzeitig wurde die Umsetzung der beschlossenen Reformen vorangetrieben. Im April wurden zwar vom Parlament nochmals Gesetzesänderungen verabschiedet, die aber nur kosmetische Reformen beinhalteten. Die EU-Kommission begrüsste diese, beurteilte sie aber als ungenügend.
Im Frühling geriet die PiS unter Druck, nicht zuletzt wegen völlig überrissener Bonuszahlungen an die Regierungsmitglieder und medienwirksamer Behindertenproteste. Zudem war Kaczynski für mehrere Wochen wegen einer schweren Knieinfektion nur sehr beschränkt handlungsfähig (Journal21.ch vom 31.05.2018). Nach seiner Rückkehr forcierte er die Umsetzung der letzten und wichtigsten Justizreform, der Reform des Obersten Gerichtes. Vorher wurde schon der KRS, der Landesrat des Gerichtswesens, vom PiS- dominierten Parlament neu bestellt und unter Kontrolle gebracht.
Neues Gesetz zum Obersten Gericht
Die Reform des SN, des Obersten Gerichtes beinhaltete zwei zentrale Veränderungen. Die Altersgrenze wurde von bisher 70 auf 65 Jahre heruntergesetzt und das Gericht durch die Bildung zweier neuer Kammern aufgestockt, einer Disziplinarkammer und einer Kammer für aussergewöhnliche Kontrolle und öffentliche Angelegenheiten.
Die neu zu bestellenden Richter werden vom KSR begutachtet und schliesslich dem Präsidenten vorgeschlagen, der diese ernennt. Die von der Altersreduktion betroffen 27 Richter konnten sich beim Präsidenten um eine Wiederwahl bewerben. Dies tat aber nur eine Minderheit. Die überwiegende Mehrheit aller Richter betrachteten die Reform als nicht verfassungskonform, allen voran die Präsidentin des Gerichtes. Die PiS hingegen rechtfertigte das Gesetz, man müsse alte Klientel-Strukturen aufbrechen,
Ende Juni wurden 44 Richterstellen vom Präsidenten ausgeschrieben, Kandidaten konnten sich bis Ende Juli bewerben. Am 3. Juli trat das neue Gesetz in Kraft. Dies führte umgehend zu Protestaktionen in verschiedenen Städten des Landes, die aber bei weitem nicht den Umfang der Proteste vor einem Jahr erreichten. Allerdings zeigte eine spätere Umfrage, dass 44 Prozent Proteste unterstützten, 32 Prozent waren dagegen und 21 Prozent war es gleichgültig. Gut Ausgebildete, Personen mittleren Alters und vor allem Anhänger der Oppositionsparteien unterstützen die Proteste überdurchschnittlich. Selbst von den PiS-Wählern war noch jeder Siebte für die Proteste.
Seilziehen um das neue Gesetz
Die Auseinandersetzungen verlagerten sich in der Folge mehr auf die politisch-juristische Ebene und nahmen zum Teil leicht groteske Züge an. Die Präsidentin des Verfassungsgerichtes akzeptierte ihre altersbedingte Absetzung nicht. Sie konnte sich dabei direkt auf die Verfassung berufen, die ihr eine sechsjährige Amtsperiode garantierte. Dies wurde aber von der PiS nicht anerkannt. Diese wollte möglichst schnell eine neue Präsidentin einsetzen. So wurde das Gesetz am 20.Juli entsprechend revidiert, bereits zum 5. Mal, und vom Präsidenten umgehend abgesegnet. Das führte wiederum zu Protesten, die aber noch schwächer ausfielen als Anfang Juli.
Allerdings erregten Einzelaktionen weiterhin öffentliches Aufsehen. So wurden etwa Denkmälern vom verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski Plakate umgehängt, auf denen nur ein (Mahn-)Wort stand „Verfassung“.
Im August begutachtete der PiS dominierte KRS bereits Kandidaten für die Sitze im Obersten Gericht. Für die wichtige Disziplinarkammer wurden 12 Personen ausgewählt und dem Präsidenten vorgeschlagen, wobei pikanterweise nur wenige Richter darunter waren. Die Anforderungen waren im Gesetz heruntergeschraubt worden, offensichtlich um genügend PiS-taugliche Personen zu finden. Denn gerade unter den Richtern war der Widerstand gegen die Gesetzesreform besonders gross.
Kaczynski will die Reform möglichst schnell umsetzen. Denn es läuft nicht nur das EU-Vertragsverletzungsverfahren - hier hat die PiS letzlich keine konkreten Sanktionen zu befürchten, da die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich ist. Unterdessen ist aber auch der Europäische Gerichtshof involviert. Dieser muss auf Anfrage des Obersten Gerichtes fünf konkrete Punkte beurteilen. Zudem läuft eine Klage der EU-Kommission. Der Europäische Gerichtshof könnte durchaus unbequeme Urteile fällen und sie mit der Androhung saftiger finanzieller Bussen unterlegen.
PiS wieder im Aufwind
Obwohl die Justizreformen von einer Mehrheit abgelehnt wurden, konnte die PiS das Frühlingstief wieder wettmachen. Umfragen im August gaben ihr bereits einen Wähleranteil um die 40 Prozent herum. Die grösste Oppositionspartei, die liberal-konservative PO (Bürgerverständigung), war mit Werten um die 25 Prozent deutlich im Hintertreffen. Alle anderen Partei erzielten Resultate meist weit unter 10 Prozent.
Dass die PiS schon wieder so gut dasteht, hängt sicher damit zusammen, dass die Justizreformen für viele Wähler eine relativ geringe Priorität haben. Wichtiger sind soziale und wirtschaftliche Aspekte. Und da hat die PiS klar einen Bonus, auch wenn sie einige Wahlversprechen nur teilweise oder gar nicht eingelöst hat. Auch die PO hat zwar ihr Programm in diesem Bereich aufgestockt, sie hat aber als ehemalige Regierungspartei ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Die PiS liegt als rechte Partei ohne wirkliche Konkurrenz auch im ideologischen Trend. Immerhin bezeichneten in einer kürzlichen Umfrage 43 Prozent die „Rechte“ als ihren politischen Standort, nur 14 Prozent die „Linke“. Zudem hat die PiS „heisse“ Eisen wie die Verschärfung der sonst schon sehr restriktiven Abtreibungsgesetze oder die „Repolonisierung“ der privaten mehrheitlich PiS-kritischen Medien weiterhin auf Eis gelegt.
Umkämpfte Gemeinde- und Regionalwahlen
Das ist kein Zufall. Denn Kaczynski will als nächstes strategisches Ziel die Gemeinde und- Regionalwahlen möglichst deutlich gewinnen. Bis jetzt ist die PiS in den meisten Provinzen, Gemeinden und Städten in der Minderheit, da sie die letzten Wahlen von 2014 klar verloren hatte. Hier haben die Oppositionsparteien noch ihre letzten Machtbastionen, können Posten und Pfründen kontrollieren, nachdem die PiS auf nationaler Ebene weitgehend abgeräumt hat.
Nachdem letzte Woche der Termin auf den 21. Oktober festgelegt worden ist, ist auch der Wahlkampf offiziell eröffnet worden. Allerdings hat der inoffizielle Wahlkampf lange vorher begonnen. Kaczynski hat schon früh die wichtigen Kandidaten ausgewählt.
Die PiS hat seit dem Frühling ihre prominenten Politiker auf Ochsentour in die Provinzen geschickt. Auch Premierminister Mateusz Morawiecki, hinter Präsident Duda immer noch zweitpopulärster Politiker, machte fleissig mit. Unlängst hat er ein werbewirksames Programm zum Ausbau des lokalen Strassennetzes bekannt gegeben.
Erfolg der PiS wahrscheinlich
Für die Oppositionsparteien sind die Wahlen besonders wichtig, um sich von der PiS nicht noch mehr an die Wand drücken zu lassen. Es wird allerdings schwierig werden. Denn es treten nicht nur verschiedene Parteien an, sondern auch viele unabhängige lokale Gruppierungen und Kandidaten. Zwar haben sich die PO und die liberale N (die Moderne) zu einer Koalition zusammengeschlossen. Aber nachdem die N nach Fehlleistungen und Machtkämpfen enorm an Bedeutung verloren hat, bringt dies kaum viel ein. Die sonst schon schwache Linke tritt sogar getrennt zu den Wahlen an.
Ein Erfolg der PiS ist somit ziemlich wahrscheinlich. Eine gross angelegte Umfrage sah die PiS sogar in 12 der 16 Provinzparlamenten in Front. Allerdings dürfte es für die PiS in den grossen Städten schwierig werden, Mehrheiten zu bekommen und die Präsidenten zu stellen. Aber selbst in der Hauptstadt Warschau ist gemäss einer kürzlichen Umfrage mit einem knappen Ausgang zu rechnen. Die Wahlkämpfe dürften erbittert ausgetragen werden und die sonst schon grosse Polarisierung weiter verschärfen.