Es war eine mediale Hinrichtung, was in der Parade-Talkshow der ARD mit Günther Jauch am Sonntagabend stattfand. Das Ehepaar Kachelmann schreckt auf seiner Promotionstour für ihr Buch vor nichts zurück. «Spiegel»-Interview, Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse, «Talk täglich», «SonntagsZeitung», das nennt man volle Dröhnung. Dazu die bewusste Nennung des Namens der Klägerin, die Kachelmann der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Einstweilige Verfügung, Schwärzung des Namens, mehr Aufmerksamkeit. Soweit gelungen, wenn die Kollateralschäden nicht wären.
Die Rache der Boulevard-Gurgel
«Sie haben gelogen am laufenden Band. Das ist privat, das ist nicht strafbar, das ist vielleicht nur ein mieser Charakter», richtete bei Jauch der ehemalige Chefredaktor von «Bild» und «Bunte», Hans-Hermann Tiedje, den Wetterfrosch hin, und setzte dann den Todesstoss: «Ihr Leben ist eine grosse Lüge bisher, wieso sollen wir Ihnen jetzt glauben?»
In solchen Momenten empfindet man nur Mitleid mit Kachelmann (und seiner Gattin) und fragt sich, wieso die beiden sich das antun. Denn diesmal werden nicht sie an die Öffentlichkeit gezerrt, sondern suchen selbst das Rampenlicht.
Recht und Rache
Das Gericht zu Mannheim scheiterte am Versuch der Wahrheitsfindung in einem quälend langen und unappetitlich öffentlichen Prozess. Es entliess den Angeklagten mit dem bleibenden Schaden, dass er möglicherweise zu Unrecht einer Vergewaltigung beschuldigt worden war – und die Nebenklägerin mit dem Verdacht, dass sie möglicherweise eine Falschbeschuldigung erhoben habe.
Beides liess sich nicht zweifelsfrei beurteilen, und so bleiben zwei für lange Zeit, möglicherweise für den Rest ihres Lebens beschädigte Menschen zurück. In einem im deutschen Sprachraum bisher ungekannten Ausmass war der Prozess begleitet von medialen Vorverurteilungen, von beiden Seiten und von der Staatsanwaltschaft bewusst gesuchten Veröffentlichungen der eigenen Sicht der Dinge. Das Recht hat versagt, die Medien haben versagt, und was bleibt, ist Rache.
Der gefährliche Trick
Das Ehepaar Kachelmann ist zu intelligent, um die Öffentlichkeit mit einer Aufarbeitung des eigenen Schicksals in einem Buch zu belästigen. Also versucht es, den Einzelfall ins Allgemeine zu heben und beklagt, dass die Falschbeschuldigung «Vergewaltigung» zu einer von Frauen häufig benutzen Waffe geworden sei, um Rache an Männern zu nehmen.
Immer wieder falle die deutsche Justiz, und nicht nur sie, auf dieses «Opfer-Abo» herein. Natürlich gebe es Vergewaltigungen, «und die Täter sollen in den Knast», schliesst das Ehepaar diese Flanke. Aber Opfer-Organisationen, voreingenommene Staatsanwälte und Richter seien Helfershelfer in einem Geschlechterkampf, bei dem das Pendel fatal in die falsche Richtung ausgeschlagen sei. Kachelmann wurde deshalb zum Opfer, aber er sei nicht das einzige. Deshalb wehre er sich stellvertretend für andere, die nicht über seine finanziellen und medialen Möglichkeiten verfügen. Ein gefährlicher Weg.
Voyeurismus
Wir alle wurden zu Voyeuren, und wirklich niemand kann behaupten, dass er nicht Einzelheiten aus dem Intimleben eines C-Promis zur Kenntnis nahm, die man nun wirklich nicht wissen muss. Voyeurismus verleitet zu Parteilichkeit. Jemand mit einem so ungeordneten Privatleben muss schuldig sein. Jemand, der lügt und betrügt, muss deswegen aber noch lange kein Vergewaltiger sein.
Nachdem es dem Gericht nicht gelungen ist, diese Frage juristisch zufriedenstellend zu beantworten, bleiben alle Voyeure mit ihren vorgefassten Meinungen zurück. Und ein aus Mangel an Beweisen zu Recht freigesprochener, beschädigter Mensch. Und schon wieder versagen die Medien, indem sie ihn nicht vor sich selbst schützen, sondern willig eine Plattform für seinen Rachefeldzug bieten. Das Trauerspiel, zweiter Akt.
Recht und Gerechtigkeit
Schon der Titel des Kachelmann-Buchs setzt das Niveau. Hier soll es nicht um den Einzelfall gehen, sondern um das Grosseganze. «Das erbärmliche Mannheim-Gericht möchte einfach seine Haut retten am Ende», rutschte dem in der Jauch-Show in die Ecke gedrängten Kachelmann heraus. Nein, er selbst möchte seine Haut retten, aber die wird ihm durch solche Auftritte bei lebendigem Leib abgezogen. Weil er sich weder als Opfer noch als Opferanwalt eignet. Weil es hier nicht um «Recht und Gerechtigkeit» geht, sondern um verletzte Gefühle, Beschädigungen, Rache und Nachtreten.
Man möchte so gerne Verständnis für einen möglicherweise durch die Jauche gezogenen, unschuldigen Menschen aufbringen. Leider eignet sich Kachelmann aber nicht für den Gestus eines Dreyfus, kann sich nicht mit Zolas «J’accuse» messen, leider brachte es wiederum Tiedje auf den Punkt: «Sie sind nur Kachelmann, der gute alte Wetterfuzzi.» Der sich ohne Not in einen Wirbelsturm wirft.