Jetzt ist die Nonne nackt. Berlusconi nimmt das Kruzifix, das sie um den Hals trägt, streichelt damit ihre Brüste und ihre Schenkel. Zärtlich sagt er: „Dass Gott dich segne“.
Das ist der katholischen Kirche nun doch zu viel. Dass Berlusconi seine Gespielinnen als Polizistinnen, Stewardessen oder Krankenschwestern auftreten lässt, das weiss man. Doch als Nonne!
Und natürlich ist die Nonne keine Nonne. Sie heisst Nicole Minetti und war Berlusconis Zahn-Hygienikerin - oder so. Sie war es, die dem Ministerpräsidenten über hundert junge Damen anschleppte. Sie holte auch die 17-jährige Marokkanerin „Ruby“ aus dem Mailänder Polizeiposten. Als Dank für ihre Dienste machte Berlusconi die politisch unerfahrene Gelegenheitsnonne zur lombardischen Regionalrätin. Sie war es auch, die den jungen Prostituierten Wohnungen in Mailand vermittelte, damit sie – bei Bedarf – schnell zu Berlusconis Diensten standen.
Die "eleganten Abende"
An die Öffentlichkeit gelangte alles, weil eine junge Frau auspackte. Auch sie nahm an diesen „eleganten Abenden“ teil, wie Berlusconi sie nennt. In einem Zeitungsinterview sagt sie: „Ich sah alles, die Mädchen warteten nur darauf, bis er tausend, zweitausend oder zehntausend Euro springen liess, vielleicht auch ein Auto oder eine Wohnung“. Eine andere junge Frau, Imane F., bestätigte gegenüber der Staatsanwaltschaft, dass solche Nonnen-Stripteases ein Mal pro Monat stattfanden.
Das heilige Kreuz als Lustobjekt. Als der Vatikan vor vier Wochen davon erfährt, heisst es: „Basta, genug mit diesem Religionsporno“. Und: Genug mit diesem Ministerpräsidenten.
Am 26. September geschieht im Vatikan etwas, das erst jetzt im Detail an die Öffentlichkeit dringt. Kardinal Angelo Bagnasco, Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz, erklärt Berlusconi zur persona non grata.
"Schwerwiegende Affäre"
Er verurteilt das „unanständige, traurige und leere Verhalten“ des Ministerpräsidenten – ein Verhalten, das „nur schwer vereinbar ist mit der Würde der Institution". Der Text wird vom Episkopat einstimmig gutgeheissen. Bignasca spricht von einer „schwerwiegenden Affäre mit kulturellen und erzieherischen Konsequenzen“. L’Avvenire, die Zeitung der Bischöfe, fordert, dass „diese verkrampfte Phase schnell beendet werden muss“. Und die Jesuiten fragen offen: „Die Bischöfe gehen mit 75 in Pension. Und der Ministerpräsident?“
Einen Streit mit den Katholiken ist eigentlich das letzte, was sich der schwer angeschlagene Berlusconi leisten kann. Er war es, der die Kirche immer geschont hat, um sie ruhig zu stellen. Er setzte sich dafür ein, dass sie keine Immobiliensteuern bezahlen muss. Ferner sprach er sich dafür aus, dass das Kruzifix in den Klassenzimmern aufgehängt wird. Es sei ein „Symbol der Zivilisation“ und „der Einheit Italiens“.
Doch all das genügt nicht mehr. Zwar hat der Papst seit längerer Zeit Anspielungen auf das verwerfliche Leben des Silvio B. gemacht. Doch es waren eben nur Anspielungen, keine offene Kritik. Das hat sich jetzt geändert. Am vergangenen Wochenende versetzten die Katholiken Berlusconi einen weiteren harten Schlag. Unter der Führung von Kardinal Bagnasco trafen sich über hundert Vertreter katholischer Organisationen in einem Kloster in der umbrischen Kleinstadt Todi.
"Via Berlusconi"
Die Botschaft dieses Konvents kann deutlicher nicht sein: „Berlusconi, weg mit dir“. An der Abschlussmedienkonferenz hiess es: „Wir brauchen eine neue, starke Regierung. Die jetzige entspricht nicht mehr den Bedürfnissen“. Offen wurde der Ministerpräsident zum sofortigen Rücktritt aufgefordert. Die grösste politische Zeitung Italiens, die linksliberale La Repubblica, fasste den Konvent mit dem Titel zusammen: „I cattolici: via Berlusconi“.
Die plötzlich virulente Kritik der katholischen Kirche an Berlusconi freut natürlich all seine Gegner. Zwar sagte der Premierminister in einer ersten Reaktion: „Nicht alle Katholiken denken wie jene, die sich in Todi versammelt haben“. Doch das Anti-Berlusconi-Manifest wird seine Popularität weiter drücken. Vor allem auf dem Land und im Süden ist die Bevölkerung noch streng Kirchen-hörig. Dort wird der Premier weiter Federn lassen müssen.
Anderseits hat die Kritik der katholischen Kirche auch mit ihrer eigenen Ohnmacht zu tun. Über 40 Jahre lang übte die katholische Kirche starken Einfluss auf die italienische Politik aus. Die Democrazia Cristiana (DC), die seit dem Krieg bis zu Beginn der Neunzigerjahre regierte, war stark katholisch beeinflusst. Nach der Zerschlagung der alten DC hat die Kirche kaum noch Einfluss auf die Politik. Fast alle italienischen Parteien sind heute laizistische Gruppierungen. Der Glaube und die Kirche spielen kaum mehr eine Rolle. So hat denn auch der Papst am Wochenende das „Jahr der Glaubens“ proklamiert, das am 11. Oktober 2012 beginnen soll. Die Welt und vor allem Italien würden immer mehr säkularisiert. Das soll sich wieder ändern.
Der Vatikan sähe es gerne, wenn in Italien wieder eine neue DC entstünde, eine eng mit der Kirche verbundene neue Democrazia Cristiana. Laut einer am Dienstag veröffentlichen Meinungsumfrage könnte sich immerhin ein Drittel der Italiener eine solch neue DC vorstellen. Doch 60 Prozent empfinden keine Nostalgie für die langen DC-Jahre, in der die Mafia und rechtsextreme Logen in höchster Blüte standen.