Es wurde mal wieder spät in Brüssel, aber dann konnten die EU-Finanzminister verkünden: Es ist vollbracht. Es gibt einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus für in Schieflage geratende Banken, einen Notfallfonds mit 55 Milliarden Euro, Vorbereitungshandlungen für die EU-Bankenunion. Endlich wurden Konsequenzen aus der Finanzkrise 1 gezogen, Halleluja.
Dichtung und Wahrheit
Solche frohen Botschaften lösen den gegenüber Eurokraten natürlichen Reflex aus: Das stimmt doch sicher nicht. Allerdings. In Wirklichkeit ist es so: Dieser Abwicklungsmechanismus soll erst 2016 in Betrieb gehen. Der Notfallfonds wird erst 2026 gefüllt sein. Sollte eine europäische Bank in Schieflage geraten, müssen nationale Bankenaufseher, EU-Vertreter, die EU-Kommission und die EU-Finanzminister über ihre allfällige Abwicklung entscheiden. Ein Gremium von insgesamt 143 Nasen, wie die «Financial Times» vorrechnet.
Es ist also mal wieder reines Blendwerk, was die Eurokraten hier wie eine Weihnachtsbaumbeleuchtung angeschaltet haben. Zudem sollen zunächst Bankaktionäre, Anleihenbesitzer und Sparer mit Vermögen von über 100'000 Euro zur Kasse gebeten werden, wenn sich eine Bank das nächste Mal verzockt. Bei dem verschwindend geringen Eigenkapital, das europäische Banken nach wie vor ausweisen, bedeutet das, dass zunächst der Aktionär, dann der Sparer rasiert und anschliessend der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird.
Die Haftungsgemeinschaft
Vor allem dem Zahlmeister Deutschland war es ein Anliegen, in dieser neuen Konstruktion nicht weiter in Haftung für Bankrettungen in anderen europäischen Staaten genommen zu werden. Deshalb bleibt dieser ganze angedachte Rettungsmechanismus weiterhin auf nationaler Ebene.
Als Gegenleistung musste Deutschland akzeptieren, dass der Rettungsschirm Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) weiterhin im Notfall auch für Bankenrettungen angezapft werden kann. Und schliesslich sind die 55 Milliarden Euro, sollten sie tatsächlich mal einbezahlt werden, bei einer richtig schönen nächsten Finanzkrise nur Peanuts. Das ist weniger, als alleine für die Rettung der UBS ins Feuer gestellt werden musste.
Das Blendwerk
Zu wenig, zu kompliziert, zu langfristig. Das ist ein Aspekt dieses Blendwerks. Der andere: Damit ist keine einzige der Altlasten im europäischen Bankensystem beseitigt. Die ganze Riege von Zombie-Banken, die nur deswegen noch nicht ihre Bücher deponieren mussten, weil sie längst abgesoffene Staatsanleihen immer noch zum Nominalwert in den Bilanzen ausweisen dürfen, wankt weiterhin dem unausweichlichen Exitus entgegen.
Gleichzeitig ist dieses Freudenfeuerwerk eine Blendgranate, die von den absehbaren Resultaten des nächsten Stresstests für europäische Banken im Jahre 2014 ablenken soll. Alleine spanische Finanzinstitute wurden bislang mit 41 Milliarden Euro aus dem ESM über Wasser gehalten. Damit konnten sie ihre Bilanzen aufpolieren, während sie gleichzeitig unter weiter fallenden Immobilienpreisen und zahlungsunfähigen Hypothekarschuldnern leiden. Diese Situation wird sich auch 2014 weiter verschlimmern, keineswegs verbessern.
Frohe Weihnachten
Weil in den letzten Monaten keine neuen Hiobsbotschaften verkündet werden mussten, zurzeit kein Euro-Land in einer Notfallübung vor dem wenige Tage entfernten Staatsbankrott gerettet werden muss, lullen die Eurokraten ihre Bürger ein, indem sie immer wagemutiger verkünden, dass ja nun sowohl die Folgen der Finanzkrise 1 wie auch der Eurokrise beseitigt seien. Der Wirtschaftsaufschwung lasse zwar noch etwas auf sich warten, aber eigentlich stünde er unmittelbar bevor.
Natürlich seien eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 60 Prozent und eine allgemeine Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent in einigen Ländern unschön, lasse der Zustand von Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, Ungarn, Frankreich wirtschaftlich gesehen doch noch etwas zu wünschen übrig, und der Exportüberschuss Deutschlands sei auf Dauer auch kein nachhaltiges Erfolgsmodell.
Aber jeder Monat, der ohne Krisen-Nachtsitzungen in Brüssel vergehe, sei doch ein Beweis dafür, dass das Gröbste überstanden sei und man mal Pessimismus und Schwarzmalerei sein lassen sollte. Schliesslich werden bald einmal die Kerzen auf dem Weihnachtsbaum angezündet, Besinnlichkeit und frohes Eingedenken sei angesagt.
Der Christbaum brennt
Wer wagte es, diese Kuschelstimmung zu stören? Nun, EU und Euro haben 2013 überlebt. Der Vorhang wird langsam über dem Jahr geschlossen; allerdings bleiben alle Fragen offen. Die Groko in Deutschland, was manche mit grosse Koalition und andere mit grosses Kotzen übersetzen, öffnet das Füllhorn und überschüttet Zielwählergruppen wie Mütter und Rentner mit nicht finanzierbaren Zusatzleistungen. Was soll’s, wenn Altersversorgungs- und Sozialleistungsversprechen sowieso nicht im Staatshaushalt ausgewiesen werden müssen, kann man doch ungeniert noch eine Schippe drauflegen.
Also zünden wir die Lichtlein an und hoffen, dass wir dadurch nicht den Christbaum in Brand setzen. Zur Sicherheit können wir ja elektrische Kerzen verwenden, denn der Strom wird doch wohl vor und nach der Energiewende aus der Steckdose kommen.