Die eidgenössische Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ bei börsenkotierten Gesellschaften, über die das Schweizer Stimmvolk und die Stände am 3. März 2013 nach jahrelangen politischen Debatten (endlich) abstimmen werden, verhindert auch in Zukunft nicht automatisch Lohn- und Bonusexzesse auf den Chefetagen.
Das geschieht schon deshalb nicht, weil die Initiative gar keine Obergrenzen für die Vergütungen der Geschäftsleitung, des Verwaltungsrats oder des Beirates enthält. Da die Generalversammlung allerdings jeweils, wenngleich lediglich der Gesamtsumme der Vergütungen in diesen drei Gremien zustimmen muss, zwingt dies deren Mitglieder immerhin, ihren Leistungsausweis der (Mehrheit der) Anteilseigner gegenüber stärker als bisher überzeugend begründen zu müssen.
Reicht die Selbstregulierung?
Zudem werden in den von der Generalversammlung zu genehmigenden Firmenstatuten sowohl Erfolgs- und Beteiligungspläne, Renten, Darlehen und Kredite an die Organmitglieder, als auch deren Anzahl Mandate ausserhalb des Konzerns und die Dauer der Arbeitsverträge der Geschäftsleitungsmitglieder geregelt.
Diese Transparenz ermöglicht eine raschere Korrektur von Fehlentwicklungen. Aufgrund der Stärkung der Eigentümerrechte werden steigende Bezüge von Managern trotz sinkender Performance und fallender Aktienkurse in Zukunft zumindest (etwas) schwieriger durchzusetzen sein. Dies liegt im ureigenen Interesse jeder Gesellschaft. Ist nicht genügend Wettbewerb vorhanden, wie dies bei Angebotsoligopolen auf Gütermärkten, z.B. in verschiedenen Bereichen der Pharmaindustrie, bei Banken oder Rückversicherungen, nicht selten zu beobachten ist, kann Selbstbereicherung über das (eingeschränkte) Wirken der Marktkräfte alleine nicht ausgeschlossen werden. Eine nicht funktionierende Selbstregulierung stellt aber eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für den langfristigen Zusammenhalt in der Gesellschaft dar.
Steigerung der Kosteneffizienz
Durch das Verbot von Abgangsentschädigungen (sog. goldene Fallschirme) und Vergütungen im Voraus (Abwerbe- und Antrittsprämien als sog. „golden hellos“) sind Bezüge ohne einen entsprechenden individuellen Leistungs- oder Erfolgsausweis für das Unternehmen nun nicht mehr möglich. Ferner sind Sonderprämien an Organmitglieder für Firmenverkäufe und -käufe sowie Arbeits- oder Beraterverträge bei mehreren Gesellschaften der Gruppe nicht länger erlaubt. Daneben verhindert die jährliche Wahl der einzelnen Verwaltungsräte, der einzelnen Vergütungsausschussmitglieder und des Verwaltungsratspräsidenten langjährige Entschädigungszahlungen im Falle ihrer Nicht-Wiederwahl und steuert gleichzeitig einer zu starken und ungewollten personellen Verflechtung entgegen.
Alle diese Massnahmen tragen nicht zuletzt zur Kosteneffizienz im Unternehmen bei, die von Arbeitgeberseite auch für die übrigen Beschäftigten, ohne deren Arbeitsleistung die Gewinne in den Unternehmen ohnehin nicht realisierbar sind, immer wieder angemahnt wird.
Strafandrohungen
Die wohl am meisten abschreckende Wirkung für ungerechtfertigte Zahlungen, ungetreue Geschäftsbesorgung und sonstige Zuwiderhandlungen gegen die Inhalte der Initiative stellen aber die vorgesehenen strafrechtlichen Bestimmungen mit ihrer Androhung von Bussen bis zu sechs Jahresvergütungen und Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren dar.
Damit kann die bisher vom Strafrecht weitgehend abgeschirmte Bastion der Spitzensaläre zumindest einmal ins Visier genommen werden. Die „Causa Vasella“ zeigt, dass nur die Einreichung einer Strafanzeige unanständigem Verhalten Grenzen setzen kann. Durch zusätzliche Verankerung der Regelungen der Volksinitiative in der Bundesverfassung (Art. 95 Abs. 3 (neu)) wird zudem eine hohe Rechtssicherheit garantiert, da Verfassungsartikel nur wieder von Volk und Ständen abgeändert werden können.
Der Gegenvorschlag
Nachdem der direkte Gegenvorschlag zur Minder-Initiative, die Bonussteuer, bekanntlich nach jahrelangem Hin und Her vom Nationalrat schliesslich doch abgelehnt wurde, können Stimmvolk und Stände nun noch über den indirekten Gegenvorschlag von Bundesrat und Ständerat abstimmen (der Nationalrat hat sich in letzter Minute nicht mehr dafür ausgesprochen, weswegen das Parlament keine Abstimmungsempfehlung beschlossen hat).
Was ist vom politisch offenbar ebenfalls wenig breit abgestützten indirekten Gegenvorschlag mit dem Titel „Vergütungen bei börsenkotierten Gesellschaften sowie weitere Änderungen im Aktienrecht“ zu halten? Dieser übernimmt zwar grosse Teile der Volksinitiative. Da viele der Bestimmungen jedoch nicht bindend sind, sondern nur konsultative Wirkung entfalten, wird weiterhin weitgehend auf diejenigen Selbstregulierungskräfte vertraut, welche bislang nicht in der Lage sind, Selbstbedienung und überrissene Bezüge auf einigen Teppichetagen zu verhindern. Mit ihren Salären sind Topverdiener zudem problemlos in der Lage, sich die besten Anwälte für das Einklagen ihrer Interessen zu leisten.
Schwierige Beurteilungen
Für den indirekten Gegenvorschlag scheint zunächst die griffigere Ausgestaltung der Klage auf Rückerstattung ungerechtfertigter Zahlungen zu sprechen: Besteht nämlich ein Missverhältnis zwischen der Leistung und der erbrachten Gegenleistung, können Entschädigungen zurückverlangt werden. Wie schwierig es allerdings ist, ein Salär als übersetzt zu qualifizieren, zeigt sich z.B. für Steuerbehörden bereits bei der Frage der Angemessenheit von Aktionärsdirektorengehältern.
Da der Arbeitsmarkt für Manager und Verwaltungsräte zudem keineswegs so kompetitiv ist, wie von diesen (bzw. ihren Headhuntern) immer wieder behauptet wird, bleiben Drittvergleiche schwierig und es kann kein adäquater Massstab für Masslosigkeit gefunden werden. Daran ändert auch das vorgeschlagene Vergütungsreglement grundsätzlich nichts, mit dem die Aktionäre „Leitplanken“ für Entschädigungen im Voraus setzen können. Weil jeweils sowieso nur über die Gesamtsumme der Vergütungen abgestimmt werden kann und ausserdem auch im Einzelfall kein anerkannter Massstab für ein unangemessenes Salär existiert, legt die Minder-Initiative richtigerweise schon gar keine Lohnobergrenzen fest.
Umstrittene Konsequenzen
Damit spielt auch die ohnehin unglaubwürdige Drohung einer Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland keine Rolle mehr, zumal bereits nach geltendem Recht ausschliesslich die Generalversammlung über die Standortwahl entscheidet (Art. 704 Abs. 1 Nr. 7 OR). Allerdings könnten eingesparte Sonderzahlungen an Manager und Verwaltungsräte, die keine angemessene Gegenleistung für die Gesellschaft erkennen lassen, tatsächlich für Investitionen in zusätzliche Beschäftigung verwendet werden.
Der Gegenvorschlag enthält weder eine Stimmpflicht der Pensionskassen noch eine Pflicht, dass diese im Interesse ihrer Versicherten abstimmen müssen. Er fordert aber von den Vorsorgeeinrichtungen ebenfalls die Offenlegung ihres Abstimmungsverhaltens und nimmt auch das im Original geforderte Verbot der Organ- und Depotstimmrechtsvertretung auf. Welche Konsequenzen die Umsetzung der einzelnen Massnahmen tatsächlich haben werden, ist höchst umstritten.
Offene Fragen
Bei Annahme der Volksinitiative ist der Bundesrat aufgefordert, zügig, das heisst innerhalb eines Jahres, die Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Diese lassen Spielraum für die eine oder andere Auslegung des Textes der Initiative. Für Abweichungen von bestimmten Verpflichtungen der Volksinitiative kann etwa die Grösse oder besser die Kleinheit einer börsenkotierten Gesellschaft oder einer betroffenen Pensionskasse legitimer Grund sein. Hier wäre die konkrete Ausgestaltung, z.B. via dispositiver Regeln, zu überlegen.
Diese hätten den Vorteil, dass jene Gesellschaften, für welche die gesetzliche Regel unpassend ist, von dieser – gegebenenfalls nur mittels qualifizierter Quoren und Quoren, die die Mehrheit der Minderheitsaktionäre (majority of the minority condition) schützen, – abweichen könnten.
Der neue Versuch der Wirtschaftsverbände Economiesuisse, SwissHoldings, Bankiervereinigung sowie des Pensionskassenverbands, der Anlagestiftung Ethos und des AHV-Ausgleichsfonds, mehr Aktionärsdemokratie über die „Richtlinien für institutionelle Investoren“ zur Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte zu bewirken, ist einerseits als Reaktion auf die Debatte um die Minder-Kuster-Initiative zu sehen und andererseits Ausfluss eines weiteren Anlaufs zur Selbstregulierung. Die ohnehin nur freiwilligen Selbstverpflichtungen enthalten wiederum keine Offenlegungspflicht, welche für Pensionskassen sowohl von der Volksinitiative wie auch vom indirekten Gegenvorschlag gefordert wird. Damit bleibt auch dieser Versuch ohne jeglichen bindenden Charakter für die Betroffenen.
Wird die eidgenössische Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ nicht angenommen, sondern der indirekte Gegenvorschlag, heisst das noch lange nicht, dass dessen weit weniger weit reichenden Bestimmungen auch tatsächlich greifen würden. Denn gegen diesen Gegenvorschlag kann wiederum das Referendum ergriffen werden, mit zum gegenwärtigen Zeitpunkt vollkommen ungewissem Ausgang. Die Schweiz würde neben Singapur das einzige Land in der Welt bleiben, in dem die Aktionäre von börsenkotierten Gesellschaften keinerlei Mitbestimmungsrecht bei der Vergütung der Führungsinstanzen haben. Ein demokratisch legitimierter Einhalt gegen allzu gierige Manager (und Verwaltungsräte) wäre damit auf absehbare Zeit weiterhin nicht möglich.