Gerne wird die Schwierigkeit vermieden, sich an eine leibhaftige Begegnung mit Burkaträgerinnen erinnern zu müssen. Es genügt die vom Hörensagen geschürte Angst vor dunkeln Scharen, um eine hitzige Gefahrendiskussion vom Zaun zu brechen und die Bestrebungen für ein Verbot zu unterstützen.
Endlich wieder sorglos
Nur schon das Wort „Burka“ öffnet der Fantasie Abgründe bis in die Tiefe der mittelalterlichen Folterei. Auch wer noch nie in ein schwarzes Stoffstück anstelle eines Gesichtes blickte, den schaudert der Gedanke, diese Kränkung zu erleiden. Die Gleichberechtigung hierzulande mag uns egal sein wie das Los der Billignäherinnen in Bangladesch; aber die von Kopf bis Fuss unterjocht Verhüllten bringen uns in Rage – zumal das Männervolk der ältesten Demokratie, das die Frauen seit je verehrt und fördert.
Von da ist es ein kurzer Schritt zur Gewissheit, es drohe die Zerstörung unserer Sitten und unseres Zusammenlebens. Mit dem Burkaverbot, das gerade mal begüterte Touristinnen treffen würde, könnten wir endlich wieder sorglos in jedem Fünfstern-Hotel nächtigen, unbedrängt in jedem Luxusgeschäft einkaufen und als Christen unter Christen Sonntag für Sonntag dicht an dicht dem Gottesdienst beiwohnen. Das Schweizer Haus würde zum trauten Heimetli von früher, als alles gut war.
Fehlende Zivilcourage
Es könnte allerdings auch sein, dass das schwarze Stoffstück im übertragenen Sinn vor unseren Gesichtern hängt und uns den Blick für Realitäten und Relationen enorm verunschärft.
Zum Beispiel für die Tatsache, dass Burkaträgerinnen in vernachlässigbar geringer Zahl jeweils einige Zeit in der Schweiz verbringen. Dass ein Burkaverbot verhältnisblödsinnig und eine weitere rechtskonservative Lösung wäre, die unvernünftig problematisiert und nichts vernünftig regelt. Dass die Zivilcourage genügt, Ganzverhüllte – wenn sie denn stören – auf ihre zu unseren Breitengraden unpassende Kleidung hinzuweisen.
Im Tessin gelingt es. Freilich kann sich die Polizei auf das in der Kantonsverfassung verankerte Verbot berufen. Die Ermahnung hätte zweifellos auch Erfolg mit der höflichen und bestimmten Klarstellung unserer anders gearteten Gepflogenheiten.
Wirklichkeitsferner Unfug
Das angepeilte Burkaverbot ist lediglich erklärbar als probates Mittel zur Bewirtschaftung der Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen und der Islamfeindlichkeit im Besonderen. Diese Vermutung bestätigt sich insofern, als hinter der Unterschriftensammlung für die Verbotsinitiative die nämlichen Kreise stehen, die sich bereits fürs Minarettverbot robust ins Zeug legten.
Die Aktionsgruppe argumentiert mit der schweizerischen Freiheitstradition und leitet daraus populistisch das Diktum ab, kein freier Mensch verhülle sein Gesicht. Das ist wirklichkeitsferner Unfug, was der geplante Verfassungsartikel mit einer langen Liste von Ausnahmen bestätigt.
Diskriminierung einer Minderheit
Die medizinisch Beschäftigten tragen Gesichtsmasken, die Sicherheitskräfte und Heerscharen von Sportlern eine Kopf und Gesicht schützende Bekleidung, die Samichläuse über dem Rauschebart eine Kapuze und die Fasnächtler eine Maske, die im Rahmen der geduldeten Kostümierungsbräuche durch eine Burka ersetzt werden könnte. Und im Winter ist die Bevölkerungsmehrheit wärmesuchend bis zur Unkenntlichkeit vermummt unterwegs.
Kurz und unheuchlerisch gesagt: Das Verbot ist religiös motiviert und zielt nur auf die Burka und nur auf den teilverhüllenden Niqab und mithin diskriminierend auf eine weibliche und sich bei uns der statistischen Erfassung entziehende Minorität.
Doch nicht flächendeckend: Burka- und Niqabträgerinnen dürften sich im privaten Umfeld und in Sakralstätten ungehindert bewegen. Die Gefahr, dass die Bibelleserschaft aus dem Gleichgewicht kippt, weil sie unvermutet auf verschleierte Koranleserinnen stösst, ist bei Weitem nicht gebannt.
Für den totalen Durchgriff ist Luft nach oben. Deshalb warten wir noch auf die Änderung der Bundesverfassung gegen tätowierte Kahlgeschorene in Ledermontur und Kampfstiefeln, die für eine haselnussfarbige Ideologie demonstrieren.
Als Grosstat getarnter Schlag ins Leere
Selbstverständlich dürfen wir orientalische Gewänder hässlich oder doch irritierend finden und als vom Koran nicht legitimierte Zeichen der Unterdrückung brandmarken. Auch ohne Beweise ist uns überdies die Annahme erlaubt, keine einzige Muslima verberge ihr Gesicht aus eigener Überzeugung.
Der Glaube indessen, mit Kleidervorschriften im schweizerischen Geltungsbereich die Situation der islamischen Frauen zu verbessern, erfüllt nicht einmal die Bedingungen für eine Alibiübung. Das Verbot ist ein als emanzipatorische Grosstat getarnter Schlag ins Leere.
Spätestens bei diesem Einwand ziehen die Burka-ab-Befürworter ihre sicherheitsstrategische Trumpfkarte mit dem Hinweis, das lange Schwarze des Bösen eigne sich hervorragend für den Schmuggel terroristischer Waffen. Das stimmt.
Es stimmt aber auch, dass die Eignung von weit geschnittenen Daunenjacken, pludernden Trainingsanzügen, adretten Rucksäcken und voluminösen Instrumentenkästen nicht geringer ist. Dazu schweigen die auf das Erscheinungsbild von Ausländerinnen spezialisierten Verbotsinitianten wohlweislich.
Machogehabe anders herum
Ganzverhüllung und Ganzenthüllung sind die beiden Extreme der persönlichen Darstellung. Mit den Nudisten arrangierten wir uns tolerant. Nacktwandern ist im Schweizerischen Strafgesetzbuch kein Tatbestand. Füdliblutte Schweifer durch die Natur können nach kantonalem Recht gebüsst werden, setzten jedoch bisher weder die Empörung der schweigenden Mehrheit noch gesetzgeberische Triebe in Gang.
Gegenüber Burka und Niqab fehlt die Gelassenheit. Das ist spiessig und zusätzlich ein Machogehabe mit umgekehrten Vorzeichen. In ihm zeigt sich die hilfloseste Art, abendländische Werte zu verteidigen. Darum dreht es sich denn auch nicht, sondern ums Zeuseln gegen Fremde und Fremdes.