„Wenn ich in deine Augen seh / verschwindet all mein Leid und Weh ...“ schrieb Heinrich Heine in seinem hochromantischen Liederzyklus „Dichterliebe“.
Ungefähr zur gleichen Zeit beschäftigte sich der dänische Dichter Hans Christian Andersen mit dem uralten Undine-Thema und verfasste sein unsterbliches Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ von der unerfüllbaren Liebe einer Nixe zu einem Menschenprinzen. Aber Andersens Leid und Weh verschwand nicht, im Gegenteil. Seine Liebe wurde – so will es die Überlieferung – zurückgestossen. Das Märchen aber, wohl eines der traurigsten des melancholischsten aller Märchendichter, erschien 1836. Die kleine Meerjungfrau wurde zur nationalen dänischen Ikone.
Eine aussichtslose Liebeswerbung
Im gleichen Jahr 1836 heiratete sein Jugendfreund Edvard Collin, Sohn von Andersens Ziehvater Jonas Collin, die Bürgerstochter Henriette Thyberg. Am Vorabend der Hochzeit tauchte Andersen uneingeladen in der Collinschen Villa auf. Das Werben des Künstlers um den in bürgerlichen Konventionen erstarrten Jugendfreund konnte nicht von Erfolg gekrönt sein. „Du bist meine offene Wunde! Du bist das, was mich schreiben lässt!“
Die Ereignisse dieser Nacht nahmen ihren unvermeidlichen Verlauf, und Andersen zog sich traurig von Edvard zurück. So in kurzen Worten die tragische reale Handlung, welche in der Basler Bühnenfassung der Uraufführung – von Schauspielern ohne Musikbegleitung gespielt (beeindruckend: Linda Blümchen als Henriette Thyberg) – die märchenhaften Sequenzen um die kleine Meerjungfrau einrahmen und strukturieren.
Ein Dreispartenprojekt
Aber dieses Auftragswerk mit dem Titel „Andersens Erzählungen“ lebt vor allem aus der Musik des jungen amerikanischen Komponisten und Musikers Jherek Bischoff. Dessen Stil, eine Mischung aus sanftem Pop, romantischer Oper, klassischer Moderne und sinfonischer Filmmusik, geht ins Ohr und würde sich – ohne das Schauspiel-Grundgerüst und dessen tragische Grundhaltung – nur erfolgreich einreihen in die Nachfolge von Andrew Lloyd Webbers Musicals.
Doch da ist der Initiator und Regisseur des ganzen Werks, der deutsche Regisseur, Bühnenbildner und Filmemacher Philipp Stölzl, welcher offenbar im Landsmann Jan Dvorak eine kongeniale Entsprechung seiner Vorstellungen von einer tiefer gehenden Behandlung des Stoffes gefunden hat. Der Autor Dvorak ist unter anderem ja auch Komponist und hatte sich bereits 2011 mit seiner eigenen Kammeroper „20’000 Meilen unter dem Meer“ mit dem Element Wasser beschäftigt. Dieses Fliessende, nicht Fassbare ist auch für die Komposition Bischoffs ausschlaggebend gewesen, der einmal sagte: „Das Meer ist Bewegung, langsame Bewegung.“
Die wirkungsvolle Einrichtung des Stücks wird von fast unmerklichen Überlagerungen und Verschiebungen der einzelnen Welten aufgemischt. Darin erscheinen auch noch, wie Gallionsfiguren, andere Märchengestalten Andersens. Das kleine Meermädchen wird als betörend singende Nixe vom Countersoprano Bruno de Sa gestaltet, später, nach deren Liebesopfer der Stimme, von der Tänzerin Pauline Briguet.
Haarscharf vorbei und voll getroffen
Mit einer langsamen Bewegung begann denn auch der rund zweistündige Abend. Als sich der Vorhang hob, sah man sich in eine zaubrische Unterwasserwelt versetzt und bei sanften, einschmeichelnden Klängen nistete sich der Verdacht ein, im Kinderprogramm des Fernsehens gelandet zu sein. Doch mit dem Sich-Wappnen gegen den befürchteten Edelkitsch in all dem wirkungsvollen Bühnenzauber war’s zum Glück rasch vorbei.
Die grosse Formation der Basel Sinfonietta lief unter der Stabführung von Thomas Wise zu grosser Form auf, die Musik steigerte sich kontinuierlich und facettenreich. Alle Sängerinnen und Sänger der Märchenwelt, unterstützt von Tänzerinnen, gestalteten musikalisch und szenisch mitreissende, klangschöne Szenen. Aber wo bei alledem blieb Andersen selber?
Glücksfall und Höhepunkt
Die Besetzung der Hauptfigur mit dem als Schauspieler, Sänger und Tänzer sowie zeitweise sogar als Pianisten agierenden Moritz von Treuenfels darf als absoluter Glücksfall und Höhepunkt dieser Produktion gewertet werden.
Es ist geradezu mit Händen greifbar, wieviel Intensität und eigene Erfahrung aller der an diesem Werk Beteiligten in die Figur des traurigen und doch so begeisterungsfähigen Dichters Andersen geflossen sind. Und all dies führt uns Treuenfels in einer atemberaubenden Intensität vor und schafft damit jene Einheit, welche erst das Werk zur im Subtitel versprochenen Schauspiel-Oper macht.
Ein Grosserfolg zu Beginn der letzten Spielzeit unter Intendant Andreas Beck. Weitere Uraufführungen werden in der laufenden Spielzeit noch folgen und die Ära Beck zu einer der eindrucksvollsten der letzten Jahrzehnte am Basler Theater machen.