Eine Literaturverfilmung muss, wenn sie gelingen will, vorab zwei Kriterien erfüllen: Sie muss der literarischen Vorlage treu bleiben, und sie muss zu einer dem Medium Film gemässen Form finden. Das klingt einfach, ist aber, wie alles Einfache, schwer umzusetzen. Denn die Treue ist keine Buchstabentreue und die Form kein Selbstzweck, der ohne Bezug zum Inhalt auskommt.
Romanhandlung filmisches Kunstwerk
Der Regisseur Stefan Haupt hat bereits mit seinem letzten Film „Der Kreis“ bewiesen, dass er ein gutes Gespür für eine dem Stoff wie dem Medium angemessene Form besitzt. Statt die Geschichte von den beiden schwulen Männern im Zürich der fünfziger Jahre, wie ursprünglich geplant, als Spielfilm zu erzählen, hat er, nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen, eine Doku-Fiction daraus gemacht und damit der Story weit über das individuelle Schicksal hinaus zu übergeordneter Gültigkeit verholfen.
Bei der Verfilmung von Lukas Hartmanns Roman „Finsteres Glück“ sah er sich vor andere Aufgaben gestellt, hat aber auch diese meines Erachtens geschickt gelöst. Sein Drehbuch bleibt nahe an der Romanhandlung dran und verschiebt die Akzente doch so, dass ein Kunstwerk eigenen Rechts daraus wird.
Das verletzte Kind und die Therapeutin
Roman und Film „Finsteres Glück“ erzählen die Geschichte eines kleinen Jungen, der am 11. August 1999, dem Tag der totalen Sonnenfinsternis über Mitteleuropa, seine ganze Familie durch einen Autounfall verliert und daraufhin seiner schweren Traumata wegen von einer Psychologin betreut werden muss. Zwischen ihr und dem Kind entsteht eine Beziehung, die alles Verdrängte und Verschwiegene zum Vorschein bringt, das sich im Leben der ins Geschehen involvierten Personen aufgestaut hat.
Wie ein Meteor bricht das physisch unversehrte, aber seelisch schwer verletzte Kind in das Familiengefüge der allein erziehenden Therapeutin und ihrer zwei halbwüchsigen Töchter ein. Wie ein Katalysator löst es Prozesse aus, die alles Vorhandene auf den Kopf stellen und am Ende auch das Kind selbst zum Kern seiner verschütteten Erinnerungen zurückführen.
Suggestive Bilder
Von alledem erzählt der Roman auch, doch der Film darf es nicht beim Erzählen belassen, der Film muss es zeigen. Und das tut Stefan Haupt, indem er Bilder für die seelischen Verletzungen findet, die mehr sagen, als Wörter dies vermögen. Und er tut es vor allem, indem er das Augenmerk stärker auf das Kind richtet, als Hartmann dies tut. Der Junge Yves ist es, der, von Noé Ricklin auf bewegende Weise verkörpert, dem Film seine nachhaltige Wirkung verleiht. Das empfindsame Gesicht dieses Kindes, seine wissenden Augen lassen einen nicht mehr los. Sie berühren, sie treiben um, bis man seinerseits jene Distanz verliert, die auch die Psychologin Eliane Hess im Umgang mit Yves so sträflich vermissen lässt.
Wenn gleichwohl einiges an der Geschichte etwas konstruiert wirkt, so ist dies weniger dem Unvermögen des Regisseurs Stefan Haupt als vielmehr dem Drehbuchschreiber Stefan Haupt anzulasten, der es mit der Treue gegenüber der Romanvorlage bisweilen etwas gar zu genau genommen hat. Der Film hätte vermutlich auch ohne die psychologisierenden Einlassungen über Grünewalds „Isenheimer Altar“ und ohne die ganze Sonnenfinsternis-Metaphorik funktioniert.
Familiäre Minenfelder
Jetzt gewinnt er daraus zwar eindrückliche Bilder, die seelischen Prozesse, die er zeigt, entfalten ihre Wirkung aber auch aus sich selbst heraus. Es sind die Gesichter, die stummen Gesten und scheinbar nebensächlichen kleinen Szenen, die dem Film seine Suggestivkraft verleihen. Und diese verdankt sich nicht dem bei Hartmann entlehnten symbolischen Überbau, sondern Stefan Haupts subtiler Regiearbeit. Er hat es verstanden, seine Frau Eleni Haupt als Eliane sowie Elisa Plüss und Carla Chiara Bär als deren Töchter Helen und Alice sicher durch die Minenfelder familiärer Verstrickungen und Konflikte zu führen.
Und er hat die Figur des kleinen Yves mit so viel positiver Energie aufgeladen, dass nicht nur die Leidensgeschichte des Kindes, sondern auch deren Überwindung glaubhaft erscheinen. Passion und Auferstehung, die beiden zentralen Themen des „Isenheimer Altars“, vollziehen sich im Film als innerweltliche Prozesse, deren Bedeutung sich auch ohne Verweis auf die christliche Erlösungsbotschaft erschliesst.