Von Karl Wild, Pubizist, Buchautor, laut Tages-Anzeiger der "anerkannteste Hoteltester der Schweiz". Am 1. Juni wird die dritte Ausgabe seines Guides "Die 150 besten Hotels der Schweiz" präsentiert.
Auf den Bewertungsportalen, allen voran Tripadvisor und Holidaycheck, wird lauthals gemeckert und in höchsten Tönen gelobt. Allein Tripadvisor stellt weltweit pro Minute 25 Bewertungen ins Netz. Gegen 50 Millionen sind es bis heute total. Dass die Hoteliers Bewertungsportale ernst nehmen, ist verständlich. Denn der Imageschaden, den ein negativer Beitrag bringt, kann enorm sein. Auch wenn er vor Unwahrheiten nachweislich strotzt. Gibt es hingegen Lob, werden die Kommentare auf alle möglichen Kanäle geknallt. Auch wenn sie gefälscht sind.
Und gefälscht wird, dass die Balken krachen. Nicht immer und überall, aber häufig und fast überall. Seriöse Medien wie zuletzt das deutsche Magazin «Stern» oder auch der «Kassensturz» deckten dies unlängst wieder schonungslos auf. Beide fälschten mehrere Beiträge. Der «Kassensturz» brachte sämtliche Kommentare durch. Die Fälschungen des «Stern» erschienen auf zwei Portalen, zwei andere veröffentlichten sie nicht. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es halt nirgends, liessen die Sprecher der betroffenen Portale ausrichten.
Agenturen sorgen für tolle Bewertungen
Eines der interessanteren Offenbarungserlebnisse hatte ich auf einem Hoteltesttrip am schönen Gardasee. Risse in der Duschwanne, fehlendes Warmwasser, undefinierbare Flecken auf dem Bettüberwurf, klemmende Balkontür, klebriger Spannteppich und ein Kieselstein (sic!) in der faden Gemüsesuppe – das war, verteilt auf zwei hochgejubelte Häuser, das niederschmetternde Kurzfazit. Wie, zum Teufel, ist es nun möglich, dass diese beiden Herbergen des Schreckens auf den Bewertungsportalen so richtig gross herauskommen? Eben.
Weil die Bewertungsportale für Hoteliers so wichtig sind, wird bisweilen kräftig nachgeholfen. Die einen versprechen ihren Gästen von Upgradings über Apéros bis zum kostenlosen Kinderbett und Gratisfutter für den Hund alles, falls sie eine besonders nette Bewertung schreiben. Andere, die schwarzen Schafe, verfassen die Kommentare gleich selbst. Oder sie heuern eine der Agenturen an, die für ein paar tausend Franken tolle Bewertungen garantieren. Es gibt immer mehr davon. Der «Kassensturz» brachte einen solchen Produzenten von Topbewertungen vor die Kamera. Anonymisiert natürlich. Sein Geschäft läuft ausgesprochen gut.
Aber auch ohne Zweifel an der Echtheit der Einträge ist es riskant, bei der Wahl eines Hotels zu sehr auf Bewertungsportale abzustellen. Ausschlaggebend für eine persönliche Bewertung ist nämlich die Erwartungshaltung des Gastes. Wer keine Badeferien verbringt, sondern ausschliesslich herumreist, wird kein böses Wort über den verdreckten Strand verlieren; er hat ihn ja gar nie gesehen. Und wer sich von einem deutschen Harddiscounter zum Spottpreis in eine Tiroler Fünfstern-Krisenherberge karren lässt, wird hell begeistert sein, wenn er sich zuvor eher auf Campingplätzen erholte.
Professor Lässers Irrtum
Hobbyjuroren schwärmen in den banalsten 0815-Hotels von Büffets, obwohl das Gemüse verkocht, der Fisch schlapp und das Fleisch eine Zumutung ist. Derlei entgeht einem halt, wenn man sich ausschliesslich in der Pastaecke bedient. Auch ist es naiv zu glauben, weitgereiste und weltgewandte Leute, die regelmässig in sehr guten Häusern absteigen, würden sich zu Hause an den Computer setzen und eine Bewertung hineintippen. Diese Klientel interveniert über ihre Assistentinnnen direkt beim General Manager, wenn etwas schief gelaufen ist Dabei wäre gerade diese Kommentare wertvoll.
Christian Lässer, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St. Gallen, hat unlängst Bemerkenswertes gesagt: «Gewinnt die Online-Bewertung von Hotels weiter an Bedeutung, stellt sich die Frage, ob die klassische Bewertung der Hotels mit Sternen noch eine Berechtigung hat.» Damit liegt er, mit Verlaub, komplett daneben. Nach wie vor schauen rund 80 Prozent der Gäste bei der Wahl eines Hotels zuerst auf die Sterne. Und die Sterne werden weiter an Bedeutung gewinnen Denn im allgemeinen Tohuwabohu von Bewertungen, die sich oft diametral widersprechen, sind sie der weitaus zuverlässigste Wert. Weil sie unabhängig und nach professionellen Gesichtspunkten vergeben werden.
Seit der Gründung der Hotelstars Union 2009 klassifizieren bereits 15 Länder ihre Hotels nach einheitlichen, gemeinsam festgelegten Kriterien. In diesen Ländern hat der Gast folglich die Gewähr, eine bestimmte Servicequalität, Infrastruktur und Ausstattung vorzufinden. 5 Sterne stehen für Luxus, 4 für First Class, 3 für Mittelklasse, 2 und 1 Sterne für einfache und sehr einfache Unterkünfte. Ziel der Hotelstar Union ist eine einzige, harmonisierte Hotelklassifikation für den gesamten EU-Raum.
Bewertungsportale sind Orientierungshilfen – mehr nicht
Noch nicht Vollmitglieder der Union sind Italien und Frankreich. Der erfahrene Reisende weiss: In diesen Ländern – zumindest in gewissen Gegenden – liegen die Hotelstandards deutlich unter den Anforderungen der Hotelstars Union; man kann getrost bis zu zwei Sterne abziehen. Das gilt auch für Länder wie Griechenland, Tunesien, Kenia oder die Türkei. Doch der Vormarsch der harmonisierten Hotelklassifikation mittels Sternen ist nicht aufzuhalten. Zum Glück für die Reisenden.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Als eine von mehreren Orientierungshilfen haben Bewertungsportale durchaus ihre Berechtigung. Wobei zu bedenken ist, dass einem Hotel, das zehnmal bewertet wurde, Tausende von nicht kommentierten Übernachtungen gegenüberstehen. Als Faustregel gilt: Ein einigermassen gültiges Bild ergibt sich ab mindestens 50 Bewertungen, sofern die Ausschläge nach oben und unten ignoriert werden.
Wer keine unliebsame Überraschung erleben möchte, wird aber darauf achten, ob ein Hotel den Leading Hotels of the World, Preferred Hotels & Resorts, Swiss Deluxe Hotels, Relais & Châteaux, Private Selection Hotels oder einer andern Top-Marketingorganisation angehört. Oder sich einen unbestechlichen Führer wie den Guide Michelin zulegen. Oder gute Bekannte fragen, die das Hotel kennen und zu unterscheiden wissen zwischen Kaviar und Kutteln.