Der streng geometrische und symmetrische Baukörper der Hohenstaufenburg in Süditalien wirkt kristallen. Die Burg ist ein Achteck um einen offenen Innenhof mit einem wiederum achteckigen, stumpfen Turm vor jeder Ecke. Sie enthält auf zwei Geschossen je acht Säle von trapezfömigem Grundriss. Der karge Bauschmuck aussen und innen zitiert die burgundische Frühgotik der Zisterzienser und die klassische Antike; haustechnische Anlagen – Wasserversorgung und -entsorgung, Toiletten, Belüftung, Sicht-, Hör- und Sprechverbindungen – knüpfen an orientalische, arabische Lösungen an. Kein Wunder.... Der Bauherr, ein Enkel Barbarossas, der Staufer Friedrich II. (1194-1250), wuchs als König beider Sizilien in Palermo auf, damals Europas grösster Stadt, ein Schmelztiegel byzantinischer, normannischer und arabischer Kultur. Wenige Urkunden erhellen die Baugeschichte der Burg. Begonnen um 1240, war der Bau beim Tod Friedrichs gerade fertig geworden – oder wurde umständehalber eingestellt. Vielleicht waren ursprünglich drei Stockwerke geplant.
Eine Burg wie keine andere. Nur: zu welchem Zweck? Mit ungeschützten Eingängen, ohne Wall und Graben sicher keine Festung. Keine Vorkehrungen zur flankierenden Bekämpfung von Angreifern, keine Pechnasen, kein Wehrgang, keine Schiessscharten. Wendeltreppen zum Obergeschoss drehen nach links statt nach rechts – ein Bonus für Eindringlinge, die so ungehindert das Schwert ziehen können. Friedrich war seit 1220 auch römisch-deutscher Kaiser und hatte sich nach seinem erfolgreichen Kreuzzug 1229 selber zum König von Jerusalem gekrönt. Eine künftige königlich-kaiserliche Residenz also? Wohl kaum. Dazu war die Burg zu klein und zu spartanisch. Ein Jagd- und Lustschloss? Schon eher. Einem König, der kundig über die Jagd mit Greifvögeln geschrieben hatte, musste die unverstellte Sicht von Castel del Monte aus als ideal für die Falkenjagd erscheinen.
Charakterlich hatte Friedrich erschreckende Defizite, aber die Welt stellte über das Erschrecken das Erstaunen vor diesem königlichen Multitalent – „stupor mundi“ hiess er. Er war brillant, siebensprachig, bewandert in Philosophie, Mathematik und den Naturwissenschaften, ein gleichzeitig absolutistischer und aufgeklärter Herrscher – ein Renaissance-Mensch avant la lettre. Dass die Planung der Burg sein Werk war – darüber bestehen kaum Zweifel. Im Orient ist das Achteck ein geheiligtes, uraltes Bauschema, dessen Sinnträchtigkeit weit seinen Schmuckwert übersteigt: ein architektonisches Mandala, das zwischen Erde (Quadrat) und Himmel (Kreis) vermittelt. Schon möglich, dass Friedrich so den staufischen Herrschaftsanspruch kosmisch verankern wollte. In Jerusalem hatte er sich ausführlich das Oktogon des Felsendoms deuten lassen. Für Geheimnislüsterne bleibt die achteckige Burg jedenfalls ein Fressen. Die Quersumme von Friedrichs Todesjahr 1+2+5+0 ergibt...na also. Bei der Suche nach immer neuen vermuteten sinnbildlichen und zeichenhaften Bezügen überstrapazieren sie gerne den Befund. Die linksgewendelten Treppen – spielen sie wirklich auf die Bewegungsrichtung der Erde um ihre Achse und um die Sonne an? Steht die Burg wirklich beziehungsreich in einem Netz, das an den Auf- und Untergangspunkten der Sonne zur Sommer- und Wintersonnenwende festgemacht ist?
Die Messungen und baugeschichtlichen Forschungen, die ein Team der Heidelberger Akademie der Wissenschaften unter Wolf Schirmer 1990-96 durchführten, bedeuteten das Grounding für alle Phantastereien. Sie konnten eine astronomische Positionierung der Burg nicht bestätigen. Abweichungen von der Bauordnung gehen eher auf Schlendrian als einen Masterplan zurück. Dagegen ist die Burg offenbar familiär ausgerichtet; ihre Nord-Süd-Achse zielt auf den Campanile des Doms in der nahen Stadt Andria: dort sind zwei Ehefrauen Friedrichs beigesetzt. Nach Friedrichs Tod nutzten die Anjous, Erzfeinde der Staufer, Castel del Monte als Gefängnis, in dem zeitweilig Friedrichs Enkel in Ketten lagen. Später verkam es, ein Opfer der Verwitterung, von Vandalen und Plünderern. Wände und Böden des Inneren gingen der attraktiven Einlagen aus poliertem Kalkstein, Marmor und roter Brekzie verlustig. Der italienische Staat kaufte die Ruine 1876. Aufwendige Restaurierungen seither ermöglichten 1996 der Unesco die Aufnahme der „Krone Apuliens“ unter die Weltkulturgüter. – Jahr des Flugbilds: 2001. (Copyright Georg Gerster/Keystone)