Etwa 15 Kilometer südwestlich Jakartas, nahe beim Halim-Luftwaffenstützpunkt, ist Lubang Buaya, das Krokodil-Loch. Der Weg führt durch ein massives Tor über gepflegte Grünanlagen und einen Parade-Platz und von dort über einige Stufen zu besagtem Loch, einem tiefen Brunnen.
Mit dem Koran in den Kampf
Dorthin hatten putschende Offiziere in der Nacht des 30. September auf den 1. Oktober 1965 sechs der bedeutendsten Generäle Indonesiens sowie einen Leutnant entführt, anschliessend bestialisch gefoltert und in den Brunnen geworfen. So zumindest lautet bis heute die offizielle Version der Vorgänge jener Nacht. Auf einer Beton-Plattform stehen die lebensgrossen in Stein geschlagenen Statuen der sieben Offiziere, deren Leichname von Froschmännern in dem Brunnen gefunden worden waren.
Das Jahr 1965 hatte begonnen, wie das alte zu Ende gegangen war. Umfangreiche Kredite hatten die Auslandsverschuldung Indonesiens auf neue Rekordhöhen getrieben, 2,4 Milliarden Dollar, und Präsident Sukarno zelebrierte sein Regime. Doch der Lärm öffentlicher Opposition war unüberhörbar geworden. In Java kam es zu blutigen Zusammenstössen vor allem zwischen Mitgliedern der Himpunan Mahasiswa Islam (Islamische Studenten-Gesellschaft) und jugendlichen Kommunisten. Die „Vereinigung islamischer Gelehrter“ (NU) veranstaltete patriotische Versammlungen und Aufmärsche. „Jeder Tag wurde zu einem 4. Juli mit seinem Wedeln mit Bibeln und Herumstolzieren mit Flaggen – nur dass es hier der Koran und die rot-weisse indonesische Flagge waren, die gegen den Feind geschwungen wurden, den atheistischen Kommunismus mit seinem Hammer-und-Sichel-Banner“, erinnerte sich der indonesische Historiker Onghokham.
„Nicht im Interesse der USA“
Schon seit einiger Zeit hatte die Armeeführung um die Generäle Nasution und Yani gemeinsam mit der US-Botschaft und der CIA an Plänen gearbeitet, Sukarno zu entmachten und zur Abkehr von seiner neutralistischen Politik und einer Anbindung an den Westen zu zwingen. Im Juni 1965 kabelte der CIA-Stationschef in Jakarta, Francis Galbraith, nach Washington: „Sukarno treibt sein Land in die kommunistischen Arme... darum ist alles, was Sukarno macht und sein Leben verlängert, nicht im Interesse der USA.“ Die darauf folgenden Ereignisse, die sogenannte Gestapu-Affäre (GErakan September TigAPUiu = Bewegung 30. September), sind bis heute nicht völlig geklärt.
In den frühen Morgenstunden des 1. Oktober 1965 verliessen sieben Lastwagen mit bewaffneten Soldaten den Halim-Luftwaffenstützpunkt, fuhren nach Jakarta, ermordeten die Offiziere und warfen sie in das berüchtigte Krokodilloch. Kurz nach sieben Uhr meldete sich Radio Jakarta, um die Hauptstadt über einen Schlag gegen die rechte Armeeführung zu unterrichten. Demnach war eine „Bewegung 30. September“ unter Führung der Obersten Untung und Latief von der Palastwache angeblich einem für den 5. Oktober geplanten Staatsstreich eines „Rats der Generäle“ zuvorgekommen. Die Bewegung werde einen Revolutionären Rat in Jakarta ernennen und regionale Revolutionäre Räte bilden. Sukarno befinde sich in ihrem Schutz.
Zwar hatten die Putschisten die wichtigsten Positionen in Jakarta besetzt, so auch den Merdeka-Platz, nicht jedoch dessen Ostseite, wo sich das Hauptquartier des Strategischen Reservekommandos der Armee (KOSTRAD) befand. Dort machte sich KOSTRAD-Kommandeur, General Suharto, sofort daran, Gegenmassnahmen einzuleiten. Und schon am Abend nahmen seine Einheiten Halim. Die Rebellen waren gescheitert.
Nun wurde in der offiziellen Darstellung aus dem Gegencoup der Palastwache schnell ein Staatsstreich, der in schrillstem Rot beschrieben wurde. Suharto beschuldigte die PKI und Sukarno, die Initiatoren eines Umsturzversuchs gewesen zu sein, ein Vorwurf, den Historiker heute zurückweisen. Zwar hatten einige PKI-Führer von den Plänen gewusst, alle Indizien aber weisen darauf hin, dass der Coup kein kommunistischer Versuch war, an die Macht zu gelangen. Es gab keine Pläne für eine Mobilisierung der Massen oder gar für eine kommunistische Insurrektion, um die Rebellen in Halim zu unterstützen. Keine kommunistischen Verbände versuchten, Positionen ausserhalb der Hauptstadt zu besetzen.
Die Drahtzieher
Erst in den letzten 15 Jahren wurden neue Erkenntnisse bekannt. Und alles deutet darauf hin, dass Suharto selbst der tatsächliche Drahtzieher des Putsches war. So berichtete ein hoher Offizier später, Oberstleutnant Untung habe Suharto noch kurz vor der Entführung der Offiziere über seine Absichten informiert. „In Ordnung“, habe Suharto geantwortet. „Wenn sie Unterstützung brauchen, schicke ich Ihnen weitere Truppen.“
Inzwischen gilt die Beteiligung sowohl der amerikanischen CIA als auch des britischen MI6 als bewiesen. Noch vor den Ereignissen war der Inhalt eines Briefes des britischen Botschafters in Jakarta, Sir Andrew Gilchrist, an die Öffentlichkeit gedrungen, wonach ein Rat der Generäle Sukarnos Politik überwachte und mit der CIA in Verbindung stand. Schon ein Jahr zuvor hatte US-Botschafter Howard Jones versucht, General Nasution zu überzeugen, dass die Armee die Dinge in die Hand nehmen und gegen die PKI vorgehen sollte. Ein halbes Jahr später erklärte Jones: „Von unserem Standpunkt aus wäre ein erfolgloser Putschversuch der PKI die beste Entwicklung, eine Wende in der Politik herbeizuführen.“
Tatsächlich hatten US-Agenten und ihre Freunde in der indonesischen Armee den Putsch längst bis ins Detail geplant: Schieb der PKI einen Putschversuch unter, beginne mit der allgemeinen Zerschlagung der PKI im ganzen Land, behalte Präsident Sukarno als Gallionsfigur, während seine Autorität unterminiert wird, und bilde eine neue, von der Armee dominierte korporativ organisierte Regierung. Sogar die Verbündeten Washingtons waren informiert. „Wie ein fauler Apfel werde Indonesien dem Westen in den Schoss fallen“, zitierte die linke Londoner Zeitung „Lobster“ im Herbst 1990 aus einem Brief vom Dezember 1964, in dem ein ehemaliger pakistanischer Botschafter seinem Aussenministerium über ein Gespräch mit einem holländischen Nachrichtenoffizier der NATO berichtete: Westliche Nachrichtendienste würden einen „übereilten kommunistischen Coup organisieren… der zum Scheitern verurteilt ist und der Armee eine legitime und willkommene Gelegenheit bietet, die Kommunisten zu zerschmettern und Sukarno zu einem Gefangenen des guten Willens der Armee macht.“
Angesichts der immensen Popularität Sukarnos, musste ein Coup, sollte er erfolgreich sein, als das Gegenteil getarnt sein. Die Militärs mussten als die Retter Sukarnos erscheinen. Den Vorwand sollte die PKI liefern, sie musste „in eine Position getrieben werden, die in Opposition zur indonesischen Regierung stand“, erklärte US-Botschafter Howard Jones. Zwar bezweifelte er, dass die PKI einen Putschversuch unternehmen würde. „Es läuft zu gut für die PKI mit ihrer derzeitigen Taktik der Kooperation mit Sukarno“, hatte er zu bedenken gegeben. „Wenn die PKI-Führung nicht voreiliger ist, als ich glaube, wird sie die Armee nicht so entschieden herausfordern, um eine wirksame Reaktion auszulösen.“
In der Falle
Doch die PKI tappte in die Falle. Um dem erwarteten Staatsstreich der Militärs zuvorzukommen, organisierte ein Vertrauter des Parteivorsitzenden D. N. Aidit gemeinsam mit Oberst Untung und Oberst Latief den Angriff auf die rechte Armeeführung. Doch dann ging alles schief.
Die Entführungen der Offiziere endeten in einem Blutbad. Sukarno war nicht im Präsidentenpalast angetroffen worden. Seine Leibwächter hatten ihn ahnungslos zum Luftwaffenstützpunkt Halim gefahren, weil „unbekannte Truppen“ den Merdeka-Platz besetzt hätten. Dort, überraschend konfrontiert mit den Rebellen, weigerte sich der Präsident, die „Bewegung 30. September“ anzuerkennen, und befahl ihnen aufzugeben. Die Offiziere gaben auf. Insgesamt waren 2130 Soldaten an den Aktionen der Bewegung 30. September beteiligt. Jene Truppen, die den Merdeka-Platz mit dem Präsidentenpalast sichern sollten, hatten schon zuvor hungrig ihre Waffen gestreckt und sich im KOSTRAD-Hauptquartier von Suharto verköstigen lassen. Die rund 2000 PKI-Mitglieder, die zur Unterstützung der Soldaten hatten bereitgestellt werden sollen, waren nie erschienen. Und Suharto operierte exakt nach dem längst von amerikanischen Agenten ausgearbeiteten Plan.
Sukarno wurde entmachtet, und Suharto entfesselte eine Orgie der Gewalt, der eine Million Menschen zum Opfer fielen. Die Büros der PKI gingen in Flammen auf, abgeschlagene Köpfe örtlicher Parteivorsitzender hingen an Bäumen und Türpfosten. Die Bewässerungskanäle der Reisfelder waren verstopft von Leichenteilen, Armen, Beinen, Torsos. „Die Menschen assen sehr lange keinen Fisch mehr“, versicherte eine Frau Robert Cribb von der australischen Monash-Universität, weil in Fischen menschliche Reste gefunden worden waren.
Die Macht auf Massenmord aufgebaut
Hunderttausende tatsächlicher und angeblicher Kommunisten wurden von Soldaten, islamischen Jugendorganisationen und Todesschwadronen abgeschlachtet. „Die beste Art, zu beweisen, dass man kein Kommunist ist, war, sich an der Mordorgie zu beteiligen“, schrieb der australische Historiker Adrian Vickers. Eine wohlhabende Frau in Surabaya erzählte später: „Unser Pförtner und Wächter… war ein so netter Mann, er war immer nett zu meinen Jungen. Aber damals ging er zu meiner Mutter und bat um Erlaubnis, nachts ausgehen zu dürfen, um beim Töten mitmachen zu können. Andernfalls sie ihn Kommunist nennen würden. Als er dann nach Hause kam, war sein Schwert nass von Blut.“
Der Eifer, in dem Jugendliche auf Bali mordeten, veranlasste General Sarwo Edhy, damals von australischen Zeitungen als der „Schlächter von Java“ beschrieben, zu dem Kommentar: „In Java mussten wir die Leute aufhetzen, Kommunisten umzubringen. In Bali mussten wir sie zurückhalten. Wir mussten Ordnung und Systematik in diese antikommunistische Hysterie bringen, so dass nur Kommunisten getötet wurden.“ Weitere 1,5 Millionen schmachteten jahrzehntelang in Gefängnissen, Straf-, Arbeits- und Konzentrationslagern.
Die US-Regierung machte deutlich, dass sie „das Vorgehen der Armee im Allgemeinen mit Sympathie und Bewunderung“ verfolgte, und finanzierte das Morden. 50 Millionen Rupiah stellte Washingtons Botschafter Marshall Green – der „coup master“, wie er unter Diplomaten genannt wurde (Während des Putsches von General Park Chung Hee 1961 war er Chargé d’Affaires in Soeul und 1973 orchestrierte er in Australien den Sturz von Ministerpräsident Edward Gough Whitlam) –, der Jones kurz vor dem Putsch abgelöst hatte, einer „von der Armee angespornten zivilen Aktionsgruppe… die immer noch die Last der laufenden, repressiven, gegen die PKI gerichteten Anstrengungen trug“, zur Verfügung.
Suhartos „Machtstruktur war auf Massenmord aufgebaut“, schrieb Indonesiens bedeutendster Schriftsteller der Moderne, Pramoedya Ananta Toer, der selbst 14 Jahre ohne Anklage oder Prozess zu Schwerarbeit auf die Molukkeninsel Buru verbannt gewesen war. Immer noch sind die Indonesier erfüllt von der Furcht vor der Macht. Bis heute suchen die Opfer, ihre Vergangenheit geheim zu halten.
Es gibt keine Aufarbeitung der Vergangenheit, selbst davor fürchten sich die Indonesier. Noch nach Suhartos Tod (27. Januar 2008) ordnete das Oberste Gericht in Jakarta auf Antrag der Staatsanwaltschaft und unter Berufung auf ein Gesetz aus den Zeiten der Diktatur (1969) die Einziehung erst kurz zuvor an den Schulen eingeführter neuer Geschichtsbücher an. 32 Jahre lang hatte Suhartos Propagandamaschine den Indonesiern mit Filmen, Büchern, Theaterstücken und regelmässigen Erziehungskampagnen eingetrichtert, dass nur das rasche Eingreifen der Armee unter seiner Führung im September 1965 das Land vor der Machtübernahme der Kommunisten und dem Untergang gerettet habe. In den letzten Jahren jedoch setzte sich unter Historikern eine andere Sicht jener Ereignisse durch, die Suharto an die Macht gebracht hatten, die nun auch Eingang in den Lehrstoff an Indonesiens Schulen finden sollten. Doch die Vermittlung neuer Erkenntnisse könnte Indonesier nur „verwirren“ und zu „öffentlichen Unruhen“ führen, begründeten die Richter die Zensurmassnahme.