Eingeladen hatte das Journal 21.ch. Peter Achten ist langjähriger Mitarbeiter, der wöchentlich eine Kolumne aus Peking liefert. Der Saal im Zunfthaus zur Schneidern, Zürich, war am Mittwoch mit 100 Gästen bis auf den letzten Platz besetzt. Heiner Hug stellte die Fragen und moderierte anschliessend das Publikumsgespräch.
Der Anfang in China
Etwas launig erinnerte er daran, dass die beiden sich seit nunmehr 40 Jahren kennen und schätzen, was wohl daran liege, dass sie beide häufig zusammen gearbeitet hätten, der eine aber nie der Chef des anderen gewesen sei. Aber dann ging es zur Sache.
Peter Achten kam, nachdem er einige andere Stationen als Auslands-Korrespondent absolviert hatte, 1986 nach China. Das war, so erzählte er freimütig, für ihn eine harte Zeit. Er konnte kein Wort Mandarin, und die Kultur war ihm völlig fremd. Seine damalige Dolmetscherin diente zugleich als Aufpasserin des Staates.
Einem breiten Publikum wurde Peter Achten im Zusammenhang mit den Studentenprotesten und deren Niederschlagung auf dem Tienanmen-Platz 1989 bekannt. Im Zusammenhang mit der Fernsehberichterstattung haben damals Heiner Hug und Peter Achten zusammengearbeitet.
Das Gespräch drehte sich aber primär um die Frage, wie China heutzutage einzuschätzen ist – gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch. Heiner Hug stellte sehr konkrete Fragen und Peter Achten zeigte immer wieder, wie verzerrt die westliche Sicht auf China ist. Das liege zu einem erheblichen Teil daran, dass Europa 500 Jahre lang die Welt beherrscht habe und nun China als neuer Akteur die Weltbühne betrete. Damit verschöben sich die Gewichte, und es falle Europa ebenso wie Amerika schwer, China als gleichwertigen Akteur anzuerkennen.
Groteske Verzerrungen
Ein Beispiel: in den 1980er und 1990er Jahren hiess es immer wieder, China schotte sich zu stark ab. Inzwischen reisen aber jedes Jahr 500 Millionen Chinesen ins Ausland. Dazu kommen die zahlreichen Studenten. Nun würden aber, so Achten, die Visabestimmungen verschärft, weil inzwischen angeblich zu viele Chinesen unterwegs seien.
Auch in anderen Fragen machte Peter Achten wiederholt deutlich, dass der Westen entweder mit zweierlei Mass misst oder es aber noch nicht geschafft hat, seine Optik auf die andere Kultur einzustellen. Dadurch entstünden groteske Verzerrungen. So würde es vom Westen als eine zusätzliche Bedrohung angesehen, dass China inzwischen einen zweiten Flugzeugträger baue. Dabei hätten andere fernöstliche Länder wie Thailand und Indien ihre Marine schon längst mit Flugzeugträgern ergänzt, ohne dass der Westen dies besonders kritisiert hätte. Als Grossmacht brauche China eine entsprechende Marine.
Gleichgewichte
Ähnliches führte Peter Achten zu dem Konflikt um Inseln im Südchinesischen Meer aus. Dieser Konflikt werde im Westen viel zu stark herausgestellt, und im übrigen hätten vorher schon andere Länder damit begonnen, unbedeutende Inseln auszubauen, um ihre vermeintlichen Ansprüche buchstäblich zu zementieren.
Sehr differenziert äusserte sich Peter Achten über die innenpolitische Situation. Er machte deutlich, wie gross die Widerstände gegen Reformen sind, wenn dafür Funktionäre auf ihre bisherigen Privilegien verzichten müssen. Der Parteichef Xi Jinping, der selbst unter der Kulturrevolution gelitten hatte, müsse immer wieder neue Gleichgewichte schaffen, um seine Machtbasis nicht zu verlieren. Im übrigen sei das in China nicht neu. Schon in früheren Kaiserreichen konnte es vorkommen, dass die Kaiser Zustimmung des Volkes verloren hatten, was damals in religiöser Terminologie als „Mandat des Himmels“ ausgedrückt wurde, und buchstäblich verjagt wurden.
In der abschliessenden Diskussion interessierten sich einige Zuhörer besonders für die Frage der Investitionen und Engagements westlicher Unternehmen in China. Dabei machte Peter Achten deutlich, dass ein wirtschaftliches Engagement in China langen Atem braucht. So habe die Firma Schindler als erster grosser Investor lange Jahre eine Durststrecke durchlaufen, bis überhaupt erst einmal eine schwarze Null geschrieben werden konnte. Wer glaube, mit Investitionen in China Problemen auf dem heimischen Markt entgehen zu können, scheitere unausweichlich.
Die Botschaft von Peter Achten ist klar: China wird als neuer Akteur auf der Weltbühne die Bedeutung Europas und Amerikas mindern. Als erstes müssen die westlichen Beobachter lernen, sich auf die andersartigen Sichtweisen Chinas einzustellen. Durch diesen Perspektivenwechsel relativierten sich viele Probleme und Ängste. China, so Peter Achten, betreibt keine aggressivere Aussenpolitik als der Westen. Aber es bestehe die Gefahr, dass durch die unglückliche Verkettung von an sich unbedeutenden militärischen Konfrontationen ein grosser Krieg entstehe, den weder China noch die USA wollten.