Das Klimagesetz, worüber wir am 18. Juni befinden, will bis 2050 die Klimaneutralität. Der Ausstoss der Treibhausgase darf nicht grösser sein als durch natürliche Kohlendioxidspeicher oder technische Lösungen absorbiert werden kann. Ja oder Nein? Es gibt noch eine andere wesentliche Frage.
So lang und umständlich wie der amtliche Titel – «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit» –, so mehrschichtig verschlungen ist die Vorlage inhaltlich. Wer sich aus eigenem Bemühen eine fundierte Meinung bilden will, hat einen Aufwand zu leisten, der die Frage der Zumutbarkeit aufwirft.
Staatsbürgerliches Wochenende
Bürgerinnen und Bürger, die ihrer Mündigkeit genügen wollen, müssen den Gesetzestext lesen und verstehen, sodann das Abstimmungsbüchlein, den Bericht der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie vom 25. April 2022, die bundesrätliche Stellungnahme vom 3. Juni 2022, das Klimaübereinkommen vom 12. Dezember 2015, das CO2-Gesetz vom 23. Dezember 2011 und schliesslich das vom Bundesamt für Umwelt aufbereitete und übers Internet abrufbare Dossier mit sechs Faktenblättern, einem Erklärvideo des Bundesrates und einem Video zur Medienkonferenz von Bundesrat Albert Rösti am 21. April 2023.
Je nach Vorwissen, Lesegeschwindigkeit und Aufnahmevermögen beansprucht die Bewältigung der Informationsfülle einen Arbeitstag, wenn nicht gar ein Wochenende. Happig viel Zeit. Sie würde vergleichsweise reichen, den Bundesbrief von 1291 zu studieren, Friedrich Schillers «Wilhelm Tell» zu lesen und obendrein den Schweizerpsalm dreihundert Mal zu singen.
Das Gesetz hat es in sich
Die Anstrengung ist notwendig – oder wäre es. Denn das Klimagesetz hat es in sich. Es formuliert wohl Ziele, bleibt bei den Massnahmen jedoch vage, regelt sehr allgemein die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen und nimmt den Zielen die Verbindlichkeit mit Einschränkungen wie «so weit möglich» und mit Bedingungen wie der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Tragbarkeit.
Das Gesetz unterscheidet zwischen strikten, harten und weichen Vorschriften. Mal gelten sie als zwingend, mal genügt es, für eine Zielerreichung zu «sorgen», mal haben sie lediglich freiwilligen Charakter.
Genau betrachtet ist das Gesetz ein Masterplan, der auf einer hohen Abstraktionsebene eine weit gefasste Strategie verwirklichen will und dem Bund einen erheblichen Interpretations- und Handlungsspielraum einräumt.
Speisung der acht Millionen?
Die Katze, die das Volk kaufen oder nicht kaufen soll, steckt in einer gewaltigen Papierlawine. Oder insofern in einer fantastischen Wundertüte, als das Gesetz den Eindruck befördert, Null-Emissionen seien zum Null-Tarif und mit Null-Verboten zu haben.
Lediglich indirekt – bei der mit der Annahme der Klimavorlage verknüpften Änderung des Energiegesetzes – sind 2 Milliarden Franken genannt für den Ersatz fossil betriebener Heizungen und im Abstimmungsbüchlein 1,2 Milliarden für innovative Technologien zur Reduktion von Treibhausgasen. Das entspricht bis 2050 monatlich rund 10 Millionen Franken. Ein Pappenstiel. Nicht der Rede wert.
Ob sich die biblische «Speisung der 5’000» klimapolitisch für neun Millionen wiederholt? Ohne sattelfestes und wasserdichtes Fachwissen kann weder die finanzielle Frage noch jene nach der zielsicheren Wirkung des Masterplan-Gesetzes gültig beantwortet werden.
Einladung zum Blindflug
Die Vermutung, mehr als eine verschwindend geringe Zahl von Stimmberechtigten erwerbe vor dem Urnengang die nötige Kompetenz, ist irrig. Die Abstimmungsvorlage erweist sich hinsichtlich der eigenen Meinungsbildung als glatte Überforderung und mithin als Einladung zum Blindflug.
Auch deshalb, weil am 18. Juni gleich über drei vertrackte nationale Vorlagen entschieden werden muss: neben dem Klimagesetz die OECD-Mindeststeuer und die Änderung des Covid-19-Gesetzes.
Die Bürgerschaft wird in die Arme der Experten, die Fänge der Lobbyisten, auf den Leim der griffigen Partei-Parolen oder kapitulierend in die Stimmabstinenz getrieben. Diese Problematik ist nicht neu, erscheint aber jetzt in besonders grellem Licht. Es öffnet die Augen für den tempogeladenen Wandel von der direkten Demokratie zur komplexen, in der Vereinfacher, Scharfmacher und Heilsverkünder Oberwasser gewinnen.