Sowohl Israel als auch Hamas haben ihre Kriegsziele noch nicht erreicht. Das machen die halben Waffenstillstände – und die Ein-Viertel-Waffenstillstände – deutlich.
Hamas hat sein Kriegsziel klar gemacht. Die Widerstandsorganisation will erreichen, dass die israelische Abschnürung des Gazastreifens beendet wird.
Israel seinerseits hat offen formuliert, es gehe darum, dem Raketenbeschuss durch Hamas ein Ende zu setzen. Gemeint dürfte sein: nicht nur vorübergehend, sondern möglichst für immer. Oder wenn nicht für immer, so doch für eine möglichst lange Zeit.
Wird die Abschnürung weiter geführt?
Dass Hamas sein Ziel erreichen könnte, ist unwahrscheinlich. Die Übermacht Israels ist zu gross, und der Druck der internationalen Gemeinschaft, ein Ende des Krieges zu finden, wird dann nachlassen, wenn - wie schon mehrmals - ein längerfristiger Waffenstillstand geschlossen wird - ohne einem Ende der Abschnürung Gazas. Also eine Rückkehr zum Vorkriegszustand. Doch noch sind weder Israel noch Hamas bereit, den Krieg mit diesem Ergebnis zu beenden.
Hamas befindet sich in einer Art Verzweiflungsstimmung, wie sie ja auch schon vor dem Kriegsanfang von 8. Juli bestand. Die israelische Abschnürung ist nun umso effektiver, weil Israel die Tunnels nach Ägypten zerstört und damit nichts mehr von Ägypten in den Gazastreifen gelangen kann. Zudem hat die Zusammenarbeit von Hamas mit Syrien, Iran und andern Teilen der islamischen Welt ein Ende gefunden. Deshalb wurde es der Organisation verunmöglicht, seine Angestellten und Waffenträger im Gazastreifen weiter zu finanzieren.
Abbas unter Druck der Israeli
Ein Zusammenschluss von Hamas mit der PLO war ein Rettungsversuch in letzter Stunde. Dieser Versuch misslang wegen des israelischen Widerstandes.
PLO-Chef Abbas wurde von seinen israelischen "Partnern" gezwungen, bei der Jagd auf Hamas-Politiker, Parlamentarier und Sympathisanten in den Westjordangebieten mitzuwirken. Veranstaltet wurde diese Jagd nach der Ermordung von drei israelischen Jugendlichen. Man muss von "veranstalten" reden, weil erstens keine Beweise vorlagen, dass Hamas die Schuld an diesem Verbrechen trägt. Zweites wurde inzwischen bekannt, dass die israelischen Sicherheitsdienste längst wussten, wo sich die Leichen der drei Ermordeten befanden. Sie zogen aber die Suchaktion in die Länge, offensichtlich mit dem Zweck, die Lage anzuheizen. Was dann so gut gelang, dass es zu einem besonders grausamen Rachemord durch israelische Täter kam.
Der Auslöser des Raketenbeschusses
Im Zuge dieser von Israel veranstalteten Hetzjagd auf Hamas-Politiker und Sympathisanten im Westjordanland und der arbiträren Festnahme von 250 von ihnen, kam es dann zum Raketenbeschuss aus Gaza. Diese Umstände sprechen dafür, dass dieses Wiederaufflammen der Kämpfe von den israelischen Sicherheitsdiensten und Militärs, und damit vermutlich auch von der Regierung oder Teilen von ihr, gewünscht war und mit Absicht herbeigeführt wurde. Dies mit einem doppelten Zweck: einerseits wollte man den Zusammenschluss von Hamas und der PLO vereiteln.
Dieser Zusammenschluss sollte unter den Bedingungen der PLO durchgeführt werden, darunter der Verzicht des Hamas auf Gewaltanwendung. Die Amerikaner hatten ihm soweit zugestimmt, dass sie darauf verzichteten, ihre Beziehungen zur Vereinigungs-Regierung der Palästinenser abzubrechen. Was die Israeli besonders erboste. Sie sahen sich von ihrem Hauptverbündeten im Stich gelassen. Eine Wiedervereinigung der Palästinenser hätte eine potentielle Verstärkung ihres diplomatischen und zivilen Widerstandes gegen die permanent fortschreitende israelische Landnahme in den Westjordangebieten bedeutet.
Schwächung von Hamas
Das zweite Hauptziel der israelischen Kriegshandlungen war, die Kampfkraft von Hamas soweit wie möglich zu reduzieren. Dieses zweite Ziel wird zurzeit weiter verfolgt. Die israelischen Militärs sagen, sie wollten, Waffenstillstand hin oder her, die Zerstörung der unterirdischen Gänge unter Gaza fortsetzen, welche die Hamas-Kämpfer als ihre Widerstandsfestung angelegt haben.
Die israelischen Militärs haben 44 Prozent der gesamten Oberfläche des Gazastreifens zu einer Todeszone erklärt. Sie haben die dortige Bevölkerung, mindestens 140‘000 Menschen, aus ihren Häusern vertrieben und ihre Wohnungen mit Artillerie durchlöchert, oder dem Boden gleich gemacht.
Ihre Kriegsaktion haben sie diesmal "Protective Edge" genannt. Offenbar bestand der Plan, fast die Hälfte des Gazasteifens zu zerstören, von Beginn an. Ob sie versuchen werden, diese Hälfte des Streifens, auf seiner der Mittelmeerküste entgegengesetzten Ostseite, in ein permanentes Niemandsland zu verwandeln, bleibt abzuwarten.
Wieweit es den israelischen Truppen gelingen wird, die in Gaza gelagerten Raketen zu zerstören, ist ebenfalls noch offen. Die Kriegshandlungen dauern von israelischer Seite an, um derartige Ziele zu erreichen.
Hamas ist seinerseits nicht oder noch nicht bereit, zum status quo zurückzukehren. Dies umso weniger, als die Gefahr droht, dass künftig im Gazastreifen ein Zustand herrschen wird, der noch schlimmer als vor dem Krieg ist. Die Gefahr besteht nämlich, dass die 1,7 Millionen Menschen im abgeschnürten, schwer bombardierten und nun auch noch halbierten Streifen noch enger zusammengedrängt werden.
Verdursten in sechs Jahren?
Es ist bekannt, dass in rund sechs Jahren alles in dem Streifen verfügbare Wasser nicht mehr trinkbar ist. Die dortigen Menschen werden dann nicht mehr dort leben können. Diese Entwicklung wurde berechnet auf Grund der vor dem Krieg herrschenden Zustände. Die Kriegshandlungen werden die Lage weiter verschlechtern. Die bestehenden Wasser-, Pump- und Reinigungsanlagen wurden zerstört. Es fehlt an Elektrizität, um sie zu betreiben. Die Verschmutzung der Grundwassers wird zunehmen.
Auch diese Aussichten sind ein Grund für den Kampf von Hamas. Lieber eine Ende mit Schrecken, als - in den Augen der Hamas-Führer - ein Schrecken ohne Ende. Und ein solcher Schrecken ohne Ende könnte bald drohen. Deshalb macht Hamas weiter, zumindest solange die Raketen ausreichen.
Was geschieht nach Hamas?
Natürlich ist dies die Meinung der Führung und der Kämpfer von Hamas. Die Meinung der Bevölkerung ist es nicht. Einige werden Hamas zustimmen, grosse Teile jedoch streben ein Leben in Ruhe und Frieden an.
Natürlich wäre die Vorbedingung dazu, dass die Lebens- und Überlebensbedingungen - sie sind zurzeit unerträglich - allmählich wieder ertragbarer würden. Wenn sie ihre Führung bestimmen könnten, würde ein Grossteil der Gazioten (der Bewohner von Gaza) wohl eine Regierung anstreben, die ihnen Aussichten auf ein sich allmählich besserndes Leben böte.
An diesem Punkt geht aber die Rechnung nicht auf ohne Israel. Solange Israel auf der Abschnürung des Streifens besteht, sind die Lebensaussichten für die dortige Bevölkerung schlecht genug, um immer neue kriegerische Vorhuten hervorzubringen.
Nach Hamas wird es eine andere sein, wahrscheinlich noch unversöhnlicher. Diese Aktivsten werden stets erneut in der Lage sein, das Gesetz des Handelns zu bestimmen, weil sie ein genügendes Echo in der misshandelten Bevölkerung finden, um sich - unter Waffengewalt - zu deren Anführern aufzuschwingen. Sie werden einen "Befreiungskampf" führen, der angesichts der israelischen Übermacht, wiederum ein Verzweiflungskampf werden wird.
Weiterhin zuschauen?
Wie lange das weiter gehen soll, hängt letztlich wohl von der Aussenwelt ab. Ist sie bereit, dem schrittweisen Mord von 1,7 Millionen "isolierter" Gazioten, teils durch Kriege aber auch bald - viel entscheidender - durch Nierenversagen wegen Trinkwassermangels, zuzuschauen? Gibt es noch Israeli, die nicht bereit sind, diese Entwicklung weiterhin aktiv voranzutreiben?