Bei der Debatte um die IV-Revision 6b hatte der Nationalrat Mitte Dezember zu entscheiden, ob er mit harten Sparmassnahmen zulasten der betroffenen Behinderten ausgabenseitig die eingeleiteten Sanierungsschritte fortsetzen sollte, oder ob er, bedingt durch eine neue Faktenlage und bedingt durch einen überraschend positiven Jahresabschluss 2012 der IV, einer Sistierung gewisser Kürzungen - wie beispielsweise der Kinderrente - zustimmen sollte. Er entschied sich für Letzteres.
Vor fast 10 Jahren haben Bundesrat und Parlament einen dreiteiligen Sanierungsplan in Gang gesetzt, um das jährliche Defizit der Invalidenversicherung (IV) zu beseitigen und damit ihre Rechnung dauerhaft auszugleichen. Das war ein weiser Entscheid. Die bereits umgesetzten Massnahmen dieses Planes - die 4. und 5. IV-Revision, eine befristete Zusatzfinanzierung und die IV-Revision 6a – zeigen ihre Wirkung. Der allerletzte Schritt des IV-Sanierungsplanes, die IV-Revision 6b, steht zurzeit in den eidgenössischen Räten zur Debatte und sorgt für Kontroversen.
Wichtig in diesem Kontext ist, dass die Entwicklung der IV in den vergangenen 10 Jahren bei den Entscheiden in den Räten nicht ausser Acht gelassen werden darf. Die Faktenlage hat sich verändert: Die bisherigen Revisionen zur Sanierung der IV greifen rascher als erwartet. Neurenten sind seit 2003 um fast die Hälfte gesenkt worden und bleiben seit dem letzten Jahr auf dem erreichten tiefen Niveau. Gleichzeitig sinkt der Gesamtrentenbestand der Rentnerinnen und Rentner seit 2006, weil nun die geburtenstarke „Babyboomer-Generation“ ins AHV-Alter kommt. Menschen mit Handicap werden heute früher durch die IV erfasst, womit effizienter eingeschritten und Invalidität vermieden werden kann. Dies ermöglicht nicht selten den Erhalt des Arbeitsplatzes.
Als Folge davon wird die IV dieses Jahr mit einem Überschuss von einer halben Milliarde Franken abschliessen. Durch die IV-Zusatzfinanzierung steigen die Gewinne der IV bis 2017 bis auf 1,1 Milliarde Franken, womit der bestehende Schuldenberg um 6 Milliarden auf 9 Milliarden Franken abgetragen werden kann. Dieser positive Trend geht nach Ablauf der Zusatzfinanzierung - etwas verlangsamt – weiter. Die Finanzperspektiven des BSV zeigen eindeutig, dass die IV auch nach der Zusatzfinanzierung Überschüsse schreiben wird.
Der Nationalrat hat Mitte Dezember beschlossen, die Vorlage 6b aufzuteilen. Teil 2 beinhaltet unter anderem, aber vor allem, die Kürzung der Kinderrente.
Mit den im Teil 1 vorgesehenen Massnahmen erfolgt eine Systemverbesserung: stufenloses Rentensystem, das Schwelleneffekte verhindert und Fehlanreize eliminiert; verstärkte berufliche (Wieder-) Eingliederung; Betrugsbekämpfung; Interventionsmechanismus. Zudem verschiebt sich bei einer Aufteilung der Vorlage die komplette Entschuldung der IV aus heutiger Sicht voraussichtlich nur um etwa 2 Jahre gegenüber der ursprünglichen Vorlage des Bundesrats und um etwa ein Jahr gegenüber der Fassung des Ständerats. Die Entschuldung würde somit, bei einer vorsichtigen Schätzung der Entwicklung im Jahr 2027 erfolgen.
Die Fakten sind aus heutiger Sicht plausibel und nachvollziehbar. So kann heute bestätigt werden, dass die IV die Zusatzfinanzierung nach 2017 nicht mehr braucht, weil die Einnahmen und Ausgaben ab diesem Zeitpunkt im Gleichgewicht sind. Es kann ebenfalls bestätigt werden, dass das finanzielle Gleichgewicht der IV mit Massnahmen auf der Ausgabenseite hergestellt werden kann. Somit wären die Versprechen, die in den vergangenen Jahren von Politikern gegeben worden sind, eingehalten. Mehr noch: Nach den heutigen Erkenntnissen könnten die Schulden der IV beim AHV-Fonds ohne zweiten Teil der IV-Revision vollständig abgebaut werden. Dies geht sogar über die damaligen Versprechen hinaus. Als Sanierung der IV wurde in erster Linie verstanden, dass Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht sind. Dass die IV auch Überschüsse machen müsse, um die Schulden aus eigener Kraft abbauen zu können, ist nie erwartet worden.
Mit den Dezember-Beschlüssen des Nationalrats konnte ein Referendum der Behindertenverbände und der Kantone verhindert werden. Somit kann die Vorlage rascher in Kraft treten. Wäre der Nationalrat der harten Linie seiner vorberatenden Kommission gefolgt und zusätzliche Sparmassnahmen zulasten von Schwerbehinderten und Familien mit Kindern beschlossen, wäre ein nicht chancenloses Referendum sicher gewesen. Damit hätten sich die dringenden Systemverbesserungen der IV um Jahre verzögert. Ohne Referendum kann 6b am 1.1.2014 in Kraft gesetzt werden.
Sollte sich dereinst herausstellen, dass die gegenwärtigen Annahmen zu optimistisch waren, könnte der sistierte Teil wieder aktiviert und so ein zusätzlicher Spareffekt erzielt werden. Der Kritikpunkt, dass es im Zusammenhang mit Kinderrenten zu Überentschädigungen kommen kann, die zu stossenden Ergebnissen führen würden, kann mit entsprechenden Massnahmen auf Verordnungsebene eliminiert werden. Der Bundesrat hat dies in Aussicht gestellt.
Der politischen Mitte verdanken wir, dass einerseits die dringend notwendigen Systemanpassungen und Strukturreformen zustande gekommen sind und anderseits, dass die echten Behinderten keine Rentenkürzungen erfahren. Das Splitting der Vorlage war ein wertvoller Schachzug in einer unbequemen Sanierungsübung, welche in erster Linie auf dem Rücken von Direktbetroffenen ausgetragen wird. Der Ständerat ist gut beraten, die neue Faktenlage zu Kenntnis zu nehmen und diesem Splitting zuzustimmen.