Präsident Obama weiss, dass ein Scheitern seines Eifers jenes höhnische Gelächter auslösen würde, dem alle Chefs im Weißen Haus nach dem Junikrieg 1967 zum Opfer gefallen waren. Warum aber kann er noch keine Ergebnisse vorweisen? Lag es an jenen Fehleinschätzungen, denen seine Amtsvorgänger regelmäßig erlagen, wenn sie vor ihrer eigenen aufgebauten Druck- und Drohkulisse untätig verharrten? War die Verdrängung der Erfahrungen Bill Clintons, der in Camp David zwischen den Parteien zerrieben wurde und an dem seine engsten Mitarbeiter am Ende verzweifelten, weil ihm jene „leadership“ abhanden gekommen war, auf die er sich viel zugute hielt? Ist Obama an der Missachtung von Frühwarnsystemen aus der Wissenschaft und der Publizistik gescheitert, die den Pressechef des State Department zu dem Gelöbnis Zuflucht nehmen ließ, an „unserem langfristigen Ziel“ werde festgehalten? Diesmal reichte es aus, dass Abbas von Netanyahu als „Partner für den Frieden“ bezeichnet wurde, um Washington zu beruhigen.
Vier Thesen
Die Fehlschläge der internationalen Diplomatie lassen sich auf vier Thesen reduzieren:
Sie waren den zwischenstaatlichen Ränkespielen in der Region nicht gewachsen, ließen sich von den dortigen Regierungen vorführen, setzten auf die Kraft von Vernunft und Rationalität und überdehnten ihre politischen Ambitionen im Widerspruch zu Bestrebungen und Interessen vor Ort. Schließlich und letzten Endes gestanden sie ihre politischen Fehler erst ein, nachdem sie aus dem Amt geschieden waren.
Sie unterschätzten die autochthonen kulturellen und religiösen Ideologien und verlegten sich auf kleinteiliges Krisenmanagement, das beim nächsten Streit zwischen den Konfliktparteien über Bord ging. Ein strategisches Gesamtkonzept, das die arabischen Anrainer einbindet, ist ausgeblieben.
Die westliche Diplomatie verdrängte die Anschlussfähigkeit ihrer Empfehlungen und Vorschläge an arabische und israelische Stimmungen. Da sie den Abschied von Illusionen erzwungen hätte, war das Motto „Der Chef spricht nur mit dem Chef“ bequemer. Die Zögerlichkeit und das Zuwarten haben dazu geführt, dass der Knesset mehrere Gesetzentwürfe vorliegen, um die zivilgesellschaftliche Gruppen aus dem Westen an die staatliche Leine zu legen, während in Ägypten der Ausgang der nächsten Parlamentswahlen im November wie eh und je feststeht.
Um politisch zielgenaue Schlussfolgerungen zu vermeiden, versteifte sich der Westen auf „vertrauensbildenden Maßnahmen“. Die Förderung des „wirtschaftlichen Friedens“ in den palästinensischen Gebieten stößt, wie nicht anders zu erwarten, auf das Wohlwollen Jerusalems. Andere Übungen stellen auf Konferenzen, auf Erklärungen und Resolutionen sowie auf wohlmeinende Ermahnungen ab, die bei den Adressaten regelmäßig auf Verachtung stoßen. Die arabische Welt selbst ist kein politisch ernst zu nehmender Faktor, um für die Palästinenser ein Sicherheitsnetz der politischen Verlässlichkeit aufzubauen, wie zu aller Erstaunen jüngst vom früheren jordanischen Außenminister Marwan Muasher behauptet wurde. Hinzu kommt, dass innerpalästinensisch die Asymmetrie zu Israel durch den Niedergang der Institutionen und durch die ideologische Rivalität zwischen Ramallah (Fatah) und Gaza (Hamas) untermauert wird.
„Belastung“ oder „strategische Bonanza“?
Vor kurzem hat in Amerika eine hochinteressante dreiteilige Diskussion von sich reden gemacht: „Worauf gründen die Beziehungen zu Israel?“ Dass sich an die Spitze der Wortführer Anthony H. Cordesman stellte, ist insofern bemerkenswert, weil ausgerechnet der höchst respektierte Direktor des „Center for Strategic and International Studies“ hinter den Verpflichtungen gegenüber Israel weniger strategische Interessen erkennen will, sondern ihnen vorrangig moralische und ethische Motive beimisst. Dass Cordesman die Unterstützung Washingtons für den Frieden in der Region mit der Sicherheit Israels verbindet, lässt auf den ersten Blick vermuten, dass er zum Unterstützerkreis der besonderen amerikanisch-israelischen Beziehungen gehört.
Weit gefehlt. Cordesman schreibt seiner Administration ins Stammbuch, dass die moralischen Verpflichtungen keineswegs die Siedlungspolitik in der Westbank, die demographische Judaisierung Jerusalems sowie Eskapaden wie den Libanon-Krieg 2006 gegen die Hisbollah und den Gaza-Krieg (2008/09) gegen die Hamas rechtfertigen oder entschuldigen können. Die Treuepflicht dürfe nicht bedeuten, dass die USA eine israelische Regierung unterstützen, wenn diese nachweislich bei der Suche nach Frieden versage. Israel werde allmählich zur Belastung Amerikas und verliere seine strategische Nützlichkeit. „Die Vereinigten Staaten brauchen keine unnötigen Probleme in einem der gefährlichsten Teile der Welt, besonders wenn israelische Aktionen eine Form annehmen, die Israels eigenen strategischen Interessen nicht dienen“, beschließt Cordesman seine Philippika.
Für Robert Satloff, den leitenden Mitarbeiter des konservativen „Washington Institute for Near East Policy“, ist Israel demgegenüber für die USA eine „strategische Bonanza“ und ein „Sonderangebot“ im IT-Sektor, in der Hightech-Medizin und bei grünen Technologien. Das ist zu vordergründig, um den gewünschten Effekt der Unverbrüchlichkeit zu hinterlassen. Indem Satloff ferner vorrechnete, dass „höchst erfolgreiche diplomatische Initiativen“ Washingtons ohne den „Friedensprozess“ nicht möglich gewesen wären und dass dieser ein Vehikel für den amerikanischen Einfluss in allen Teilen der Region darstellen würde, bediente er sich einer gefährlichen Argumentation, die alle Urteile und Vorurteile über Qualität und Ausmaß der bilateralen Allianz bestätigt. Denn Satloff wollte sich nicht den Bemerkung verkneifen, dass sich Israel an der Seite der USA im Irak als erstrangiger Bezug im Kampf gegen Terroristen und Aufständische bewährt habe.
Als Dritter meldete sich Charles („Chas“) Freeman zu Wort, der die Belastungen des amerikanischen Steuerzahlers durch Milliardensummen und das vierzigmalige Veto im UN-Sicherheitsrat zugunsten Israels hervorhob. Der frühere Botschafter in Saudi-Arabien und stellvertretende Verteidigungsminister, der im März 2009 gezwungen wurde, seine Kandidatur als Chef der „National Intelligence Agency“ aufzugeben, nachdem er wegen „unangemessener Meinungen“ zu Israel kritisiert worden war, lieferte mit seiner Nüchternheit einen eindrucksvollen Beleg für die Reichweite der Frustration und des Argwohns auch im politisch konservativen Milieu, von denen Kräfte in der „Tea Party“ nicht ausgenommen sind.
Warnende Stimmen wie die von Cordesman und Freeman haben in der US-Administration bislang wenig Gehör gefunden. Doch das dürfte sich ändern, nachdem zwei klassische Parameter ins Wanken geraten sind: Zum einen wächst im Wahlvolk das demographische Gewicht des hispanischen Bevölkerungsteils und nichteuropäischer Staatsbürger, die ohne die Belastung durch Shoah-Erfahrungen aufgewachsen sind und deshalb einen anderen Blick auf den Nahen Osten werfen als die bisherigen politischen und intellektuellen Eliten. Zum anderen ist in der jüdischen Gemeinschaft eine politische Ausdifferenzierung in Gang gekommen, die ihr imponierendes Modell in der jüdisch-liberalen Organisation „J-Street“ als Gegengewicht zur „jüdischen Lobby“ findet – und neuerdings in Europa als „JCall“ den Dialog mit den Regierungen aufnehmen will. Denn was zwischen den EU-Staaten bei der Reform des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspakts möglich ist, muss auch für den Nahen Osten gelten können: die Verständigung auf einen gemeinsamen Arbeitsplan.
Der Autor ist Nahost-Historiker in München und hat seit 2004 im deutschsprachigen Raum für die palästinensisch-israelische „Genfer Initiative“ für die Zweistaatenregelung geworben.