Seit der Präsident der zweitgrössten Handelsnation der Welt die Attacken auf den freien Welthandel eröffnet hat, applaudieren seine Claqueure. Der Freihandel ist gefährdet, doch wer unter Kurzsichtigkeit leidet, kann das nicht sehen.
Offene Grenzen
Die wichtigsten städtischen Zentren der Schweiz sind seit vielen Jahrhunderten in der europäischen Wirtschaft integriert. Ebenso lang profitieren Teile Europas von offenen Grenzen, die Handelsströme erleichtern und erst ermöglichen. Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann hat für diese involvierten Nationen den Begriff „Blaue Banane“ (von Norditalien bis England gezeichnet) kreiert. Folgerichtig ist der Freihandel seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Antreiber und Garant steigender Handelsvolumen und prosperierender Völker, die das zu nutzen wissen. Ein eindrückliches Regelwerk zwischen Nationen ist das Fundament des Welthandels.
Wenn Donald Trump nun beginnt, seine Drohungen wahrzunehmen, um „unfaire“ Exportpraktiken anderer Länder zu bestrafen, schadet er vor allem sich und den USA selbst. Doch die Folgen dieses chaotischen Tuns zeigen sich nun mal nicht gleichzeitig. Sie treffen mit einiger Verzögerung den Absender dieser unzeitgemässen und unüberlegten, populistischen Strategie. Im konkreten Fall der Stahlimporte aus China (25 Prozent Strafzoll auf Stahl-, 10 Prozent auf Aluminiumimporte) applaudieren zwar die amerikanischen Stahlproduzenten. Doch gleichzeitig dämmert es den dortigen stahlverarbeitenden Betrieben und Nachfolgeunternehmen, dass sie zukünftig höhere Preise für Stahl bezahlen müssen, was ihre Verkaufspreise erhöhen und weniger konkurrenzfähig machen wird.
Wenn nun China gleichzeitig ins Auge fasst, seinerseits Zölle auch für andere aus Amerika importierte Waren (wie landwirtschaftliche Produkte) einzuführen, werden das die begeisterten Trump-Wählerinnen und -wähler aus dem Soybean-Lager über kurz oder lang schmerzhaft selbst zu spüren bekommen – wenn ihre Exporte zusammenbrechen. „Wie du mir, so ich dir“ ist der populäre, aber brandgefährliche Slogan jener Kreise, welche die globalen Zusammenhänge der Weltwirtschaft nicht verstanden haben.
Drohender Handelskrieg und seine Folgen
Mit offensichtlicher Lust und gegen den Willen seines eigenen Parteiestablishments stürzt sich also der amerikanische Präsident in „seinen“ Handelskrieg – nicht nur gegen China, auch die EU und die Schweiz werden betroffen sein. Mal abgesehen von China, das sich tatsächlich um gemeinsame Regeln foutiert und solche nur dann akzeptiert, wo sie ihnen nützen – so gesehen, ist China der unfairste Protektionist der Welt – sitzen Europäer und Amerikaner im gleichen Boot. Es ist zu hoffen, dass ihre gemeinsamen Interessen die Ära Trump überleben werden. Noch im März 2018 meinte Martin Riechenhagen, Chef eines grossen US-Unternehmens und während eines kurzen Jahres Trumps Berater, dass dieser zwar liebend gerne als grosser Präsident der USA in die Geschichte eingehen möchte. Da er jedoch von Strafzöllen und ihren Folgen keine Ahnung hätte, verstünde er bis heute nicht, dass solche den falschen Weg bedeuteten. Effektiv sind diese erste Anzeichen eines „kriegerischen Vorgeplänkels“, so meine persönliche Meinung, Vorboten einer gefährlichen „kriegerischen Eskalation“. Diese Schritte sind keineswegs nur eine sinnlose Selbstbeschädigung – tatsächlich bedeuten sie ein potenzielles Desaster.
Das sich abzeichnende kleinliche Geplänkel verspricht nichts Gutes. So stehen bereits Drohungen im Raum, dass auch die EU auf die ihr angedrohten Sanktionen mit der Retourkutsche antworten würde: Zölle auf Harley-Davidson Motorräder oder Bourbon etwa, als Antwort auf solche auf europäischen Autos in den USA. Verstärkt wird die Gefahr durch Trumps sprunghafte Vorstellungskraft. So begründet er etwa die Massnahmen gegen Mexiko mit einem Gesetz auf der Basis gefährdeter nationaler Sicherheit. So fadenscheinig das Argument, so lächerlich die Aufbietung der National Guards aus den gleichen Gründen.
Die Gefahr steigt
Der Economist bezeichnete im März 2018 Trumps Administration als chaotisch und das White House als in protektionistische Hände gefallen. „Das globale Handelssystem war seit seinem Beginn, Ende des Zweiten Weltkrieges, nie solchermassen in Gefahr geraten“ („not since the inception at the end of the second world war has the global trading system faced such danger“). Das sind deutliche Worte in einer Welt der passiven Dulder, die sich zu wenig Gedanken macht um die langfristigen Auswirkungen aggressiver Machtmenschen.
Die WTO (World Trade Organisation) sitzt in der Falle
Seit vielen Jahren ist es klar, dass die WTO dringende Reformen auf unbestimmte Zeiten vor sich herschiebt. Diese Organisation hat in keiner Weise mit den raschen Veränderungen des Welthandels Schritt gehalten. Nichts macht dies sichtbarer als der Kollaps der Doha-Runde 2015 – nach 14 Jahren vergeblicher Vorbereitungen. Doch, was immer die Gründe für diese Situation sind, wäre es ein echtes Desaster, würde diese Organisation weiter geschwächt, ja untergraben. Zweifellos würden andere Länder Amerikas Vorprellen folgen, was letztlich das Fundament des globalisierten Welthandels zerstören würde. Vergessen wir nicht, dass die acht früheren Doha-Runden jeweils Handelsbarrieren abbauten. Importe sind seither willkommen, Konsumenten auf der ganzen Welt können davon profitieren.
Wie kommt die Welt aus diesem WTO-Schlamassel heraus? Auch in Trump-Zeiten, in welcher jener sich mit erstaunlicher Unverantwortlichkeit benimmt (ob er das überhaupt realisiert?) müssen andere ihren klaren Kopf bewahren. Der Economist jedenfalls rät den übrigen Mitgliedländern, ihre Aktionen zu koordinieren und auf diese Weise eine WTO-Klage gegen Trumps Tarifpolitik einzubringen. Auch wenn wir heute zum Glück weit entfernt sind von den 1930er Jahren, haben Ignoranz, Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit das Welthandelssystem in grosse Gefahr gebracht. Deshalb müssen alle Länder realisieren, dass die WTO ihnen hilft, die Grenzen offen zu halten gegenüber den nationalen Protektionisten. Dass also solche internationale Handelsregeln gestärkt werden, wird nicht einfach sein. Denn erstmals seit Jahrzehnten sitzt der Feind im Oval Office („For the first time in decades, their biggest foe is the man in the Oval Office.”)
Auch die Schweiz ist gefordert
In letzter Zeit koordiniert der Bauernverband in unserem Land einen gesteuerten Aufstand der Bauernlobby gegen weitere Grenzöffnungen auf dem Agrarmarkt. Das Powerplay dieser Politiker und Funktionäre gegen die Liberalisierungspläne des Bundesrats ist extrem einäugig. Zusammen wird der „Club der vereinten FDP, SVP und CVP-Papierbauern“ – egoistisch, rückwärtsgewandt und zukunftsverschlossen seit Jahrzehnten – alles daran setzen, unsere Grenzen mit Mauern hoher Schutzzölle auf landwirtschaftlichen Produkten abzuriegeln. Vergessen geht dabei nicht nur, dass wir keine mächtige Welthandelsmacht sind, sondern auch, dass Subventionen für die Landwirtschaft zuvor erwirtschaftet werden müssen – zu einem grossen Teil von der Exportwirtschaft. Bevor wir also über andere den Stab brechen, wäre es weise, sich mit den Handelsbedingungen und wirtschaftlichen Zusammenhängen des 21. helvetischen Jahrhunderts vertraut zu machen.