In Jemen sind die nach Süden vordringenden Huthi-Kämpfer an ihre natürlichen Grenzen gestossen. Das war zu erwarten. Diese Grenzen liegen dort, wo die lokale Bevölkerung rein sunnitisch und nicht zaiditisch ist.
Doch es gab eine Überraschung. Widerstand leisten den Huthis vor allem Kämpfer der AQAP, das ist die arabische al-Qaeda-Filiale. AQAP gab bekannt, sie habe ein Bündnis mit den Stämmen der Provinz Ibb geschlossen, um "die Schiiten" zu bekämpfen. Ibb und al-Bayda sind Nachbarprovinzen in Zentraljemen, südlich der Hauptstadt.
Verluste der Huthis
Bei den Kämpfen mussten die Huthis schwere Verluste hinnehmen. Zwei Mal sind sie in Hinterhalte der AQAP und lokaler Stämme geraten. Dabei wurden einmal 60, das andere Mal 80 Huthi-Kämpfer getötet.
Am Freitag und Samstag wurde am Jebel Asbil, im Bezirk von Radaa, der zur Provinz al-Bayda gehört, gekämpft. Die Amerikaner sollen eine Drohne eingesetzt haben. Jementische Quellen wollen wissen, dass diese Drohne ein Auto mit zehn Personen, „wahrscheinlich Zivilisten“, getroffen habe. Die amerikanischen Drohnen sind gegenwärtig ausserhalb Jemens, in Djbouti, basiert und werden von der dortigen Lemonnier Base aus gestartet. Dieses Jahr soll es bisher 26 Drohnenschläge in Jemen gegeben haben.
al-Qaeda gegen „schiitische Eindringlinge“
Das Bündnis der Qaeda-Kämpfer mit den lokalen Stämmen "gegen die Schiiten" ist gefährlich. Es erlaubt al-Qaeda, ihre Machtbasis auszudehnen. Es gibt in Jemen ohne Zweifel Tausende, vielleicht Hundertausende von bewaffneten Stammesleuten, die mobilisierbar sind, wenn sie im Namen des Sunnismus aufgerufen werden, sich gegen eindringende Schiiten zu wehren.
Für die extremistische Ideologie der al-Qaeda lassen sich sonst nur kleinere Bevölkerungsteile gewinnen. Im Wesentlichen sind das Einzelpersonen oder Gruppen, die spezifische Gründe haben. Dazu gehören Ressentiments wegen Diskriminierung oder Arbeitslosigkeit, Rachebedürfnisse und Ähnliches. Aus solchen Motiven schliessen sich einige wenige den Extremisten an. Wenn AQAP aber der Fisch ist, geben die sunnitischen Stämme, die nun gegen die "schiitischen Eindringlinge" mobilisiert werden, das Wasser ab, in dem der Fisch frei zu schwimmen und sich zu vermehren vermag.
Al-Qaeda-Attentate in Sanaa
Doch die jemenitische al-Qaeda-Filiale hat nicht nur ihre Kämpfe mit den Huthis intensiviert: sie führt auch weiterhin Anschläge gegen jemenitische Soldaten und Sicherheitsleute durch. Die gegenwärtigen Wirren in der Hauptstadt Sanaa haben die al-Qaeda-Kämpfer benutzt, um zahlreiche Attentate durchzuführen.
Die Provinzen Ibb und al-Bayda sowie die weiten Wüstenregionen von Marib und Hadramaut, werden von al-Qaeda dominiert. Dort haben die jemenitische Regierung und die Huthis nichts zu sagen. Die Wüste des Jawf, weiter nördlich an Marib anschliessend, gilt als geteilt: in der nördlichen Hälfte herrschen die Huthis, in der südlichen al-Qaeda.
Wahl zwischen zwei Übeln
Die Regierung von Sanaa, soweit es eine solche zurzeit gibt, muss sich entscheiden zwischen zwei Übeln: den Huthis oder al-Qaeda. Sie hat offenbar die Zusammenarbeit mit den Huthis gewählt. Eine Regierung gibt es zurzeit eigentlich nicht, ein neuer Ministerpräsident, der Diplomat Khaled Bahah, ist mit Zustimmung der Huthis ernannt worden. Doch bisher ist es ihm nicht gelungen, eine Regierung zu bilden, weil die verschiedenen Gruppen, die mitsprechen sollen, sich über die Besetzung der Ministerposten streiten.
Eine Formel soll aufgestellt worden sein: 6 plus 6 und 9 plus 9. Das bedeutet, sechs Minister für die Huthis und sechs für die südlichen Separatisten, sowie neun für die Parteikoalition des ehemaligen Präsidenten Ali Saleh Abdullah - und ebenfalls neun für das Parteienbündel, als dessen führende Kraft Islah gilt, die jementische Version der Muslimbrüder. Doch die Huthis weigern sich, dem Begehren des Präsidenten nachzukommen. Er fordert das Recht, den Aussen- und Innenminister zu ernennen. Ebenso wird darüber gestritten, ob der Präsident die Beschlüsse des Konferenzdialogs vom vergangenen Jahr interpretieren und beaufsichtigen soll – oder, ob es die Regierung ist.
Jemenitische Armee-Waffen für die Huthis
Es gibt Anzeichen dafür und erste Berichte darüber, dass der Präsident der jemenitischen Armee befohlen habe, den Huthis in ihrem Kampf gegen al-Qaeda beizustehen. Er soll angeordnet haben, Waffen aus den Armeebeständen den kämpfenden Huthis zu übergeben. Stammeskämpfer, die im Bündnis mit al-Qaeda stehen, erklären, die jemenitische Artillerie käme den Huthis in ihrem Kampf zu Hilfe. Der Anführer der Huthis, Abdel Malek al-Huthi, hat seinerseits am Freitag am Fernsehen erklärt, die Huthis seien bereit, mit der Armee gegen AQAP zusammenzuarbeiten.
Es ist in der Tat logisch, dass der Präsident und die zentrale Landesregierung, soweit es sie überhaupt gibt, sich gegen AQAP und damit für die Huthis entscheiden, weil der Krieg gegen AQAP eine Existenzfrage darstellt. In ihm gibt es weder Verhandlungen noch Kompromisse. Es geht um Tod oder Leben für die eine oder die andere Seite. Mit den Huthis dagegen wird ständig verhandelt. Der Regierung gelang es auch immer wieder, Waffenstillstände mit den Huthis auszuhandeln. Allerdings halten sie sie selten ein, weil sie politische Forderungen aufstellen, die zuerst erfüllt werden müssten.
Überforderte Amerikaner
Die Bildung der geplanten neuen Regierung war eine dieser Forderungen. Doch über die Bildung des Kabinetts wird gestritten – und solange gestritten wird, versuchen die Huthis weiter Gelände zu gewinnen. Dies gelang ihnen bisher. Doch nun stossen sie offensichtlich an ihre Grenzen.
Die Amerikaner dürften durch das subtile Spiel, das in Jemen vor sich geht, wie üblich weit überfordert sein. Sie haben beide Formationen, AQAP und die Huthis, auf ihre Liste von Terrorgruppen gesetzt. Sie verbauen sich selbst durch diese Liste die Möglichkeit, mit einer der beiden Formationen gegen die andere zusammenzuarbeiten, wie es nun offenbar Präsident Abdrabbo Mansur al-Hadi in Sanaa versucht.