Es gibt Anzeichen dafür, dass die Allianz zwischen dem früheren jemenitischen Präsidenten Ali Saleh Abdullah und den Huthis zusammenbrechen könnte. Diese Allianz hatte es 2014 den Huthis erlaubt, aus ihrem Stammesgebiet im Norden Jemens auszubrechen. Zuerst eroberten sie die Hauptstadt Sanaa und später fast ganz Jemen bis hinab nach Aden.
Ali Saleh Abdullah konnte einen bedeutenden Teil der jemenitischen Armee in diese Allianz integrieren. Das sind Armeeteile, die ihm loyal geblieben sind, obwohl sein Vizepräsident, Abdo Rabbo Mansur al-Hadi, mit Hilfe der Uno und der Golfstaaten zum neuen Übergangspräsidenten bestimmt wurde. Mit ihm, a-Hadi, ist ein anderer Teil der jemenitischen Armee solidarisch.
Ungebrochene Macht der Huthis
Abdel Rabbo Mansur al-Hadi wurde zuerst aus Sanaa nach Aden vertrieben. Schliesslich musst er nach Saudi-Arabien fliehen. Riad entschloss sich, zu seinen Gunsten in den jemenitischen Bürgerkrieg einzugreifen und begann am 26. März 2015 mit der Bombardierung der Huthis und den Kräften, die den früheren Präsidenten Saleh unterstützen. Diese Bombenangriffe dauern bis heute an. Sie haben das Land ins Elend getrieben, ohne jedoch die Macht der Huthis brechen zu können.
Die Saudis fürchten in erster Linie die Huthis, weil sie glauben, Iran stehe hinter ihnen. Die Huthis gehören zu einer Variante des Schiismus, dem sogenannten „5er Schiismus“, die sich wesentlich vom „12er Schiimsus“ der Iraner unterscheidet. In mancher Hinsicht steht der 5er Schiismus den Sunniten näher als dem 12er Schiismus.
Dennoch sehen die Saudis die Huthis als einen verlängerten Arm Irans an, der den iranischen Einfluss an der Südgrenze Saudi-Arabiens verstärken könnte. Gewisse Verbindungen zwischen den Huthis und Teheran bestehen tatsächlich. Doch kann man sich fragen, ob sie nicht erst durch die bittere Feindschaft der Saudis gegenüber ihren Huthi-Nachbarn im Süden entstanden sind. Die Huthis sahen sich angesichts des saudischen Drucks geradezu gezwungen, Teheran um Hilfe mit Geldern und Waffen zu ersuchen.
Zuerst Feind, dann Freund – nun wieder Feind?
Ali Saleh Abdullah war in seiner Zeit als Präsident auch ein bitterer Feind der Huthis und ein Verbündeter Saudi-Arabiens. In den Jahren zwischen 2004 und 2010 hat der damalige Präsident sechsmal Krieg gegen die Huthis geführt. Ihr Einfluss konzentrierte sich damals im äussersten Norden Jemens, in der Provinz Saadeh. Soldaten der jemenitischen Armee unter Ali Saleh Abdullah hatten 2004 den charismatischen Gründer, Hossein Badr ed-Din al-Huthi, im Kampf erschossen. Die Huthi-Bewegung nennt sich selbst „Bewegung der Parteigänger Gottes“.
Al-Huthis Bruder, Abdel Malik al-Houthi, übernahm anschliessend die Führung der Bewegung. Sie entwickelte sich unter dem Druck der Angriffe der offiziellen Armee zu einer Kriegsgemeinschaft, die im Zeichen des „Heiligen Krieges“ (Jihad) in den Kampf zog. Dazu trug auch bei, dass die von Riad mit Geldern geförderten Wahhabiten gegen die Huthis Stellung bezogen.
Zwei Ausgeschlossene fanden zusammen
Das Bündnis mit Ali Saleh Abdullah, das anfänglich geheim gehalten wurde, kam dadurch zustande, dass sich beide Partner von den politischen Entwicklungen und der Friedenssuche im Jemen ausgeschlossen fühlten. Nach den Massendemonstrationen von 2011 und in den Jahren danach organisierte die Uno eine „Nationale Konferenzorganisation“, die von den Golfstaaten finanziell unterstützt wurde. Ali Saleh Abdullah wurde zur Abdankung gezwungen, nachdem 2011 zehn Monate lang gegen ihn in Sanaa und anderen jemenitischen Städten demonstriert worden war. Doch es gelang ihm, in Sanaa Vorsitzender seiner bisherigen Staatspartei, dem „Allgemeinen Jemenitischen Volkskongress“, zu bleiben.
Die Huthis durften zwar Delegierte an die „Nationale Konferenzorganisation“ entsenden. Doch diese vermochten ihre Vorstellungen von einem zaiditisch bestimmten nordjemenitischen Landesteil nicht durchzusetzen. Einer ihrer Delegierten, Dr. Ahmed Sharaf ad-Din, wurde gegen Ende der zehnmonatigen Friedensverhandlungen im Januar 2014 in Sanaa ermordet.
Heimliche Allianz
Im Februar 2014 beschloss Präsident al-Hadi, gestützt auf die Mehrheit der Empfehlungen der Konferenz, das Land in sechs föderale Teilstaaten aufzuteilen. Gegen diesen Beschluss wehrten sich die Huthis im Norden und die Bevölkerung im südlichen Teil Jemens. Die Huthis protestierten dagegen, dass sie auf die nördliche Provinz Saada, die ärmste aller jemenitischen Provinzen, zurückgedrängt würden. Die meisten Südländer lehnten das Vorhaben ab, ihre Region in unterschiedliche föderale Staaten aufzuteilen.
Damals sind wohl der abgesetzte Präsident und die Huthis, seine einstigen Feinde, heimlich übereingekommen, sich gegen den neuen Präsidenten al-Hadi zusammenzuschliessen. Der Ex-Präsident war in der Lage, einen bedeutenden Teil der jemenitischen Armee in die Allianz einzubringen. Dies auch, weil viele der führenden Offiziere ihm selbst und seinem Sohn, Oberst Ahmed Ali Abdullah Saleh, loyal verblieben waren. Oberst Ali Abdullah Saleh war Kommandant der Präsidialgarde. Als Eliteeinheit erhielt sie von den USA Waffen und wurde von den Amerikanern ausgebildet.
Siegeszug der Huthis
Sie alle, die sich um den früheren Präsidenten scharten, erhielten die Anweisung, nicht gegen die Huthis vorzugehen, sondern ihnen diskret zu helfen. Dies erlaubte es den Huthis, rasch gegen Süden vorzustossen. Im September 2014 marschierten sie in Sanaa ein. Am 20. Januar 2015 stürmten sie den Palast des Präsidenten al-Hadi in der Hauptstadt. Zwei Tage später trat al-Hadi zurück. Am 6. Februar erklärten die Huthis, das Parlament sei aufgelöst und ein fünfköpfiger Regierungsrat übernehme vorläufig die Macht in Jemen. Gleichzeitig setzten die Huthis ihren Vormarsch nach Süden fort, und ihre Truppen erreichten Aden im April 2015. Doch ganz erobern konnten sie die südliche Hauptstadt nie.
Al-Hadi war nach seinem Rücktritt über Aden nach Saudi-Arabien geflohen. Von Rücktritt wollte er nichts wissen. Am 26. März 2015 begannen die Saudis, Jemen zu bombardieren. Ihr Ziel ist es, al-Hadi und seine „legale Regierung“ wieder an die Macht zu bringen.
Riad sah die Huthis in erster Linie als ein Instrument der Iraner an und fürchtete, sie könnten die saudische Grenze bedrohen und destabilisieren, so, wie es die Hizbullah-Milizen in Libanon tun. Diese sind dort an der Südgrenze Libanons mit iranischer Hilfe gegen Israel aktiv.
Der Süden gegen die Huthis
Saudi-Arabien zimmerte eine Koalition von Staaten zusammen, die alle die Huthis und ihre Verbündeten bekämpfen wollten. Die „Vereinigten Arabischen Emirate“ (VAE) erwiesen sich als der aktivste Partner der Saudis in dieser Koalition. Es gelang den al-Hadi-getreuen Teilen der jemenitischen Armee – mit Unterstützung Saudi-Arabiens und der VAE –, die Huthis aus den südlichen Teilen Jemens zu vertreiben.
Dies wurde dadurch erleichtert, dass sich die südliche Bevölkerung, Sunniten und Südländer, gegen eine Besetzung durch die zaiditischen Nordländer wehrt. Deshalb kämpfen sie aufseiten al-Hadis. Doch weiter im Norden und in der Hauptstadt können sich die Huthis halten – trotz der saudischen Bombardierungen.
Im September 2015 konnte al-Hadi nach Aden zurückkehren und die Stadt zum provisorischen Sitz seiner Regierung erklären. Doch Aden bleibt bis heute unsicher. Deshalb hält sich al-Hadi auch meistens in Riad auf.
Reibungen zwischen den Aliierten
Jetzt droht plötzlich die Allianz zwischen Huthis und Saleh Abdulla zu zerbrechen. Die Huthis werfen dem Ex-Präsidenten in einer öffentlichen Erklärung vor, er sei ein „Verräter“. Salehs Anhänger ihrerseits beklagen sich darüber, dass die Huthis ihre eigene Führung beibehalten hätten. Diese hätte, so sehen es die Anhänger Salehs, aufgelöst werden müssen, nachdem beide zusammen im vergangenen November eine provisorische Regierung der „Nationalen Rettung“ in Sanaa gebildet hatten.
Die Huthis, so sagen die Anhänger des früheren Präsidenten, versuchten alle Macht in Sanaa an sich zu reissen. Der Ex-Präsident, so vermuten die Huthis, versucht Fühler nach Saudi-Arabien auszustrecken, um auf Kosten der Huthis mit den Saudis zu verhandeln.
Der Ex-Präsident wittert Chancen
In der Tat geht es den Saudis zweifellos in erster Linie darum, die Huthis aus der Welt zu schaffen. Möglicherweise sieht daher der Ex-Präsident eine Chance, sich mit Riad auf Kosten der Huthis und auf Kosten des jetzigen Präsidenten al-Hadi zu verständigen. Das würde bedeuten, dass die Saudis al-Hadi fallen lassen müssten. Die Möglichkeit einer solchen Übereinkunft wird umso glaubwürdiger, je deutlicher die Saudis erkennen müssen, dass sie nicht in der Lage sind, Sanaa einzunehmen und die Huthis militärisch zu schlagen. Vor allem nicht, weil ein grosser Teil der jemenitischen Armee aufseiten der Huthis steht.
Die offiziösen saudischen Blätter sprachen des öfteren davon, dass der Jemen-Krieg zu Ende gehen werde, wenn es in diesem Land „keine Milizen mehr“ gäbe. Der saudische Aussenminister hat sich ähnlich geäussert. Weil Ali Saleh Abdullah die Huthis neuerdings als „Miliz“ bezeichnet, fürchten die Huthis, dass der Ex-Präsident die Seiten wechseln könnte. Abdel Malik al-Huthi erklärte darauf in einer Fernsehansprache, „Verräter Ali Saleh Abdullah“ werde für diese „Beleidigung“ büssen.
Aufmarsch beider Seiten
Beide Seiten mobilisierten in der Hauptstadt Sanaa ihre Anhängerschaft und versammelten sich zu Grossdemonstrationen. Die Manifestationen der Huthis hatten einen militärischen Charakter. Im August des vergangenen Jahres und erneut im Januar 2017 defilierten auch weibliche Soldaten.
An einer Grossdemonstration des früheren Präsidenten nahmen am 24. August in Sanaa mehrere hunderttausend Menschen teil. Sie feierten den 35-jährigen Jahrestag der Gründung der „Pro-Saleh-Partei“. Der 71-jährige Ali Abdullah Saleh hielt neben schwer bewaffneten Leibwächtern hinter einem Plexiglas-Schutzschild eine kurze Rede. Er erklärte, „Wir“, das heisst seine Partei, „sind bereit, Zehntausende von Kämpfern in den Krieg zu schicken, sobald die Regierung sie bewaffnet und entlöhnt.“
Die Huthis, „Operettenpartner“?
Um dies zu verstehen, muss man wissen, dass die Pro-Saleh-Partei den Huthis vorwirft, sie hätten das Verteidigungsministerium und seine Ressourcen für sich allein in Anspruch genommen. Aref Zourka, der Zweite Mann der Partei, sagte in seiner Rede, die Partei sei nicht bereit mit „Operettenpartnern zusammenzuarbeiten“.
Andererseits trat auch Huthi-Chef Abdel Malik al-Huthi im Fernsehen auf. In einer Rede sagte er, die Anhänger des Ex-Präsidenten überliessen die ganze Last des Krieges den Huthis.
Erste Zusammenstösse
Am Tag der Grossdemonstration in Sanaa ereigneten sich in den Strassen der Hauptstadt Zusammenstösse. Am Tag danach wurden erste Todesopfer vermeldet. Ein Oberst der regulären Armee, der zu Ali Abdullah Saleh hält, geriet in Streit mit Huthis, die eine Strassensperre ausserhalb Sanaas errichten hatten. Der Oberst selbst und zwei der Huthi-Soldaten kamen ums Leben.
In Sanaa leben Zaiditen mit Sunniten zusammen. (Die Sunniten werden in Jemem meist Schafiiten genannt, nach der schafiitischen Rechtsschule der jemenitischen Sunnis). Man kann vermuten, dass die Mehrheit der Zaiditen zu den Huthis hält. Die Hauptstadt hat gegen 1,7 Millionen Einwohner.
Die überwiegend aus Huthi-Anhängern bestehende „Rettungsregierung“ ist seit Monaten nicht in der Lage, den Regierungsangestellten ihre Gehälter zu bezahlen, nicht einmal den Ärzten und dem Personal der wenigen noch funktionierenden Spitäler. In diesen häufen sich die Cholera-Patienten. Die Lebensmittel werden teurer und teurer, Elektrizität, Trinkwasser und Butan-Gas fehlen, Benzin ist nur auf dem Schwarzmarkt zu finden – und die Bombardierungen dauern an. All das verschärft die Spannungen in der Hauptstadt.
Lassen die Saudis al-Hadi fallen?
Die saudischen Kommentatoren, die stets der Regierung nahestehen, sind der Ansicht, dass sich der Ex-Präsident erst dann definitiv von den Huthis trenne, wenn Kämpfe zwischen seinen Anhängern und den Huthis ausbrächen. Doch sowohl die Huthis wie auch der Ex-Präsident wissen, dass sie den Krieg gegen die Saudis verlieren werden, wenn sie sich gegenseitig bekriegen.
Aus diesem Grund wird der Ex-Präsident mit den Huthis wohl erst dann endgültig brechen, wenn er von Riad die verbindliche Zusage erhält, dass nach dem Krieg er, und nicht al-Hadi, der neue Machthaber sein wird.