An den Gedenkanlässen für Charlie Hebdo fallen Plakate auf mit dem Slogan „Je pense donc je suis Charlie“. Damit soll offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden, dass die Attacke auf die Karikaturisten eine Attacke auf den Geist der Karikatur war, ergo auf den Geist cartesianischer Prägung, ergo, wie Pariser Kleinfürsten der Philosophie implizite auch gern weiter folgern, auf den „Gallozentrismus“ der Rationalität.
Je pense donc je ne ris pas
Das ist nett gedacht, zielt aber daneben. Descartes hatte nicht viel am Hut mit Humor. Gewiss, seine bahnbrechende Entdeckung war, dass der Mensch zum Menschen wird, weil er frei und selbständig denkt. Unter diesem Denken (cogitatio) kommen Akte vor wie Zweifel, Bejahung, Verneinung, Abwägen, Wollen usw. Im berühmten „Discours de la méthode“ (1637) fehlt freilich das Lachen. Je pense donc je ne ris pas. Und das ist äusserst bezeichnend. Denn wie Descartes in seinem späteren Werk „Passions de l’âme“ (1647) ausführt, ist Lachen ein „mechanischer“ Vorgang, quasi eine subtile Hydraulik in der Körpermaschine des Menschen. Lachen hat nichts zu tun mit dem menschlichen Geist. Man muss sich den Artikel 124 einmal zu Gemüte führen: „Das Lachen kommt daher, dass das aus der rechten Herzkammer durch die Arterienvene strömende Blut die Lungen plötzlich und wiederholt aufbläht, sodass die darin befindliche Luft mit Heftigkeit durch die Luftröhre austritt, wo sie einen unartikulierten und schallenden Ton hervorruft (..) Diese (..) Töne samt (den) Bewegungen des Gesichts bezeichnet man als Lachen.“ – Wenn das nicht zum Lachen ist.
Der Affekt, der in ein Nichts explodiert
Der grosse Aufklärer Kant war, wie man hört, ein recht humorvoller Gastgeber. Aber seine Philosophie rümpft sozusagen die Nase über dem Humor. Humor, Witz, Satire sind mit den niedrigen, vernunftfernen Affekten – mit dem Körper – verbunden; im Grunde also auch mit nicht zivilisierten Kulturen. Wenn Kant in seinen Abhandlungen Witze erzählt – ein eher spärliches Vorkommnis -, dann oft über Angehörige anderer Kulturen: „Neger“ oder „Indianer“ (Inder). In seiner Kritik der ästhetischen Urteilskraft schreibt er (A223): „Es muss in allem, was ein lebhaft erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein (woran der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden kann). Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.“ Es brauchte Nietzsche, der – man könnte geradezu sagen - seinen Lachhammer gegen die Aufklärung schwang. Er entdeckte das „Nichts“ des Lachens als höchsten Ausdruck des Denkens und als „Sieg über den Geist der Schwere“.
Die Fabel als Ahnin von Witz und Roman
Die Diskussion über die „Werte“ des Westens, die jetzt wieder einmal Fahrt aufnimmt, ist ermüdend und einäugig. Man schaut in der Regel nur auf den Strang, der von Descartes’ „Discours de la méthode“ in die Moderne führt. Und man vergisst dabei den andern Strang, der über Rabelais weit zurück ins Mittelalter und in die islamische Kultur reicht. Der Islam pflegt ja die Kultur des Geschichtenerzählens. Die dominante Denkform hier ist die Fabel, die Anekdote, das Exemplarische, nicht das Logisch-Deduktive. Und in dieser Denkform haben natürlich auch Witz und Satire ihre zentrale Stellung. Man denke nur an die meist komischen bis bizarren Geschichten im Sufismus. Diese Geschichten begleiteten oft das Possenspiel auf dem Jahrmarkt. Lachen entspringt nicht einsamer luftiger Gedanken-Äquilibritik von Philosophen. Lachen braucht die Wärme, die Gestik, die Berührung von Menschen.
Der Witz und der Roman haben eine gemeinsame Ahnin: die Fabel. Der Roman gewann in der Renaissance an künstlerischer Respektabilität und stieg in die höheren Etagen der Kultur auf. Am Witz haftete lange der Geruch des Vulgären, Zotigen, Blasphemischen. Obwohl doch gerade viele frühe Werke der europäischen Literatur – „Simplicius“, „Narrenschiff“, „Dekameron“ oder „Gargantua und Pantagruel“ - nur so wimmeln von Witzen über gehörnte Ehemänner, Schelme, Tölpel; Geschichten, die nicht selten in islamischen mündlichen Erzählungen ihren Anfang genommen haben sollen.
Nichtlach-und-Schiessgesellen
Man kann eine tieftraurige Ironie darin sehen, dass diese altehrwürdige Tradition, der wir im Westen so viel verdanken, sich unserer Wahrnehmung immer mehr nur noch in brutalen Perversionen aufdrängt. Die islamistischen Attentäter denken durchaus. Aber diese Feinde der Moderne haben eine zutiefst unmenschliche Defizienz. Sie lachen nicht. Sie schiessen. Sie nehmen Kants Definition des Lachens todernst: Der einziger Affekt, der ihre gespannte Erwartung in nichts verwandelt, ist die Explosion. Dagegen hilft nur eine andere Explosion: jene des Humors. Vielleicht müsste man eine neue Aufklärung – mit Angehörigen anderer Kulturen zusammen - im Geiste des Lachens ins Auge fassen. Lachen als die grosse vereinigende Vernunft. Nous rions donc nous sommes.