Grandiose «Fake News» im Mittelalter: Eine phantastische Ausstellung im Speyerer Pfalzmuseum.
Donald Trump, der Möchte-gern-wieder-Ex-US-Präsident, gilt mit seinen Lügengebirgen nach der Wahlniederlage 2020 weithin als Erfinder von «fake news». Zumindest als Erfinder von diesem Begriff. Davor sprach man halt von «Lügen», «erfundenen Geschichten», «Fehlinformation», «Falschmeldung» und dergleichen. Seit Trump ist allerdings die Definition des Wortes hinsichtlich dessen Handhabung ausgeweitet worden. «Fake news» steht inzwischen für eine bestimmte Strategie: Es wird eine falsche Behauptung in den Raum gestellt und anschliessend unaufhörlich als «richtig» wiederholt, bis jedermann die (angebliche) Richtigkeit als solche akzeptiert. Diese Kunstfertigkeit wird von Trump, ohne Zweifel, sehr gekonnt beherrscht. Aber erfunden hat er sie nicht. Das geschah vielmehr schon vor vielen Jahrhunderten – durch einen Habsburger.
Um es schlicht so zu benennen: Es handelt sich um eine (wenn auch mit dem bedeutsamen Namen «privilegium maius» garniert) der geschicktesten Urkundenfälschungen des Mittelalters. Um ein Dokument, allerdings, mit dem sich die Habsburg-Dynastie eine Reihe wichtiger Sonderrechte im frühen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation sicherte.
Die Urkunde ist im Original zurzeit zu sehen im Historischen Museum der Pfalz in Speyer, wo bis zum 16. April 2023 die Ausstellung «Die Habsburger im Mittelalter. Aufstieg einer Dynastie» läuft. Es ist ein ausladendes Dokument mit ausführlichen Texten auf gut und gerne einem Quadratmeter Pergament. Wirklich interessant aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund der Frage nach Fakt und Lüge, Wahrheit und geschicktem «marketing» ist freilich ein Wort, das dort nur ein einziges Mal erscheint: «palatinus archidux» – Pfalz-Erzherzog.
Aristokratische Eitelkeit
Dahinter verbirgt sich ganz einfach verletzte aristokratische Eitelkeit. Rudolf I., der erste Regent aus der Habsburger-Reihe, hatte 1273 in der – mittlerweile zum Weltkulturerbe zählenden – so genannten Goldenen Bulle festgelegt, wo und vom wem fürderhin der oberste Herrscher im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gekürt werden solle: Nämlich immer in Frankfurt von den Bischöfen von Mainz, Trier und Köln plus dem König von Böhmen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg. Schön nachzulesen in Friedrich Schillers Ballade «Der Graf von Habsburg»: «… es schenkte der Böhme des perlenden Weins …» Indes, wer fehlt in der erlauchten Schar? Na klar – ein Habsburger.
Und das ärgerte den Kärntner Albrecht I. von Österreich offensichtlich so masslos, dass er darum von den Weisen seines (noch) kleinen Reiches einen Stammbaum schreiben liess, der buchstäblich bis Gaius Julius Cäsar zurückreichte und das aufwertende (und im ganzen Reich bisher nirgendwo vorhandene) «Erz» vor den Titel Herzog stellte. Interessanterweise hat Albrechts Schwiegervater, Kaiser Karl IV. (Gründer u. a. der Kurstadt Karlsbad sowie der Unis von Wien und Prag), weder Dokument noch Titel anerkannt – aber stillschweigend geduldet. Eine eigens geschaffene Krone, der «Erzherzogshut» in Form der Kurfürsten-Kopfbedeckungen, zeugt als Insignie des «benachteiligten» Kärntners und seiner Nachfolger für den Anspruch auf soziale Stellung.
Und so blieb es dann auch. Erst freche Anmassung, dann Gewohnheits- und schliesslich allgemein akzeptiertes Reichsrecht. Durch Behauptung, Hinnahme und blosse Wiederholung. Seither jedenfalls gibt es den – allein und ausschliesslich mit dem Haus Habsburg verbundenen – «Erzherzog». Somit auch den «Erzherzog-Johann»-Jodler sowie die Tragödien um den letztlich unaufgeklärten, wahrscheinlichen Selbstmord von Erzherzog Rudolf und dessen Geliebten, der Gräfin Vetsera, 1889 im Schloss Mayerling sowie um das (den Ersten Weltkrieg auslösende) tödliche Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek von Hohenburg am 28. Juni 1914.
Trumps pfälzische Wurzeln
Dass für diese blutigen Ereignissen der vor einem halben Jahrtausend künstlich emporgehievte Titel «Erz»herzog ursächlich verantwortlich wäre, ist allerdings genauso wenig wahrscheinlich wie die Möglichkeit, dass Donald Trump seine «fake news» auf das habsburgische Vorbild zurückführen würde. Insofern hat auch die Ausstellung im pfälzischen Speyer nichts mit der Tatsache gemein, dass der Grossvater des ebenso macht- wie von Phantasie besessenen US-Milliardärs vor gar noch nicht einmal allzu langer Zeit aus dem pfälzischen Kallstadt in die Neue Welt ausgewandert war. Die umfangreiche und in ihrer Form bisher einzigartige Speyerer Schau vom Aufstieg der Habsburger Dynastie im Mittelalter gründet vielmehr auf der Tatsache, dass mit Rudolf I. und seinem Sohn Albrecht I. zwei Vertreter dieses in der europäischen Geschichte einzigartigen Herrschergeschlechts in dem nur einen Steinwurf entfernten mächtigen romanischen Dom zu Grabe getragen wurden.
Die Speyerer Ausstellung begleitet die Geschichte und Geschicke des Hauses Habsburg nicht vom Anfang mit der Thronbesteigung Rudolfs bis zum Ende 1918, sondern deckt lediglich sozusagen die erste Halbzeit ab – also bis zu Kaiser Maximilian I., dem «letzten Ritter», im frühen 16. Jahrhundert. Eine Zeitspanne, die vor rund 750 Jahren mit einem kleinen, bis dahin weitgehend unbekannten Grafen aus einer allenfalls mittelgrossen Burg im schweizerischen Aargau begann und bis zum mächtigen Maximilian etwa 300 mittelalterliche Jahre dokumentiert. Es ist zugleich die Abbildung einer politischen Epoche mit unvergleichlichen Erfolgen, dramatischen Rückschlägen und entscheidenden Einflussnahmen auf praktisch alle Entwicklungen in Europa. Mithilfe von wertvollen Exponaten aus Museen und Bibliotheken in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz kann der Besucher erbitterte Kämpfe um Thron und Krone, um Machtgewinn und tiefen Sturz nachvollziehen, aber auch das geschickte Taktieren der Habsburger über Erbverträge und kluge Vermählungen bewundern.
«… du glückliches Österreich, heirate»
Wem schiesst nicht die Erinnerung aus dem Geschichtsunterricht in der Schule wieder in den Kopf: «Kriege mögen andere führen. Du glückliches Österreich, heirate». Oder war es vielleicht doch in der Lateinstunde: «Bella gerant alii, tu felix austria nube …»? Gerade Maximilian I. ist beispielgebend für diese Maxime. Obwohl wegen seiner Prunksucht immer klamm und in wachsender Schuld bei seinem Augsburger Hausbankier Jakob Fugger stehend, machte er durch seine Heirat mit Maria von Burgund das bis dahin überschaubare Reich zur führenden europäischen Grossmacht. Wahrscheinlich wird der Betrachter am meisten von diesem Maximilian fasziniert sein. Das mag mit dem berühmten, vom Nürnberger Meister Albrecht Dürer geschaffenen, Bildnis beginnen, das bereits die «Habsburger-Lippe» mit ihrem ausgeprägten «Habsburger Kinn» erkennen lässt, und weiterführen bis zu den zumeist (siehe oben: Schulden und Fugger) unvollendet gebliebenen Zeugnissen seiner nach Monumentalität strebenden Kunstträume. Die 40 in der Ausstellung präsentierten kleinen Modelle hochmittelalterlicher Persönlichkeiten sollten ursprünglich als grosse Bronzefiguren gegossen werden, um in der Innsbrucker Hofkirche das – in 80 Jahren Arbeit geschaffene – Grabmal Maximilians I. zu «bewachen». Tatsächlich existieren heute nicht 40, sondern 28 «Schwarze Mander» und stehen in der Hofkirche Spalier neben dem prunkvollen (leeren!) Marmor-Hochgrab, an dessen Gestaltung sich der Kaiser selbst beteiligt hatte. Maximilian wurde im österreichischen Wels beerdigt.
Nur noch ein paar Fragmente
Unvollendet und daher nur noch in Fragmenten erhalten blieb auch das vom Regenten für den Speyerer Dom gewünschte gewaltige Denkmal für die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Hochmittelalter. Dies sollte ursprünglich einen Rundtempel aus 12 achteckigen Säulen, zusammengehalten und gekrönt durch eine mächtige Krone, bilden. Doch lange vor der Fertigstellung starb der «letzte Ritter», und von dem Denkmals-Traum legen nur noch ein paar steinerne Fragmente Zeugnis ab. Wie prachtvoll es hätte aussehen sollen, kann der Besucher immerhin virtuell erfahren.
Mag sich mancher Besucher auch durch die Fülle der ausgestellten Urkunden und sonstigen (nicht selten einmaligen) Dokumente ermüdet oder überfordert fühlen – es sind die vielen spannenden, mitunter kaum glaubhaften Geschichte und Episoden, die das frühe Wirken dieser einzigartigen Herrscher-Dynastie wieder lebendig werden und als spannenden Teil der eigenen, europäischen Geschichte erleben lassen.
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 h.
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