Vorrangiges Ziel der Notenbanken ist es, die Preisstabilität innerhalb ihres Wirkungsraums zu gewährleisten. Doch es war absehbar: Weltweit steigt die Inflation rasant. Hat da jemand gesagt: «Dies war nicht voraussehbar?»
Sechsmal habe ich mich in den letzten fünf Jahren mit den negativen Auswirkungen der Politik der Notenbanken (in Amerika: US-Fed, in der Eurozone: EZB, Europäische Zentralbank, in der Schweiz: SNB, Schweizerische Nationalbank) auseinandergesetzt. Die durch diese Politik geschaffenen Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten werden platzen – gleichzeitig sorgen Tiefst- oder Negativzinsen für eine fiese Enteignung aller Sparenden dieser Welt. So warnte auch Tobias Straumann, Privatdozent für Wirtschaftsgeschichte: «Eine langanhaltende Tiefzinsphase ermöglicht enorme Fehlinvestitionen.»
«Wenn die Brandstifter Feuerwehr spielen»
Zweifellos hat die US-Zentralbank (Fed) mit ihrer Geldpolitik den grössten weltweiten Einfluss. Der bissige Kommentar der NZZ im November 2021 sagt mehr als ganze Seiten: «Wenn die Brandstifter Feuerwehr spielen» – wenn die US-Zentralbank vor enormen Risiken an den Finanzmärkten warnt, den Folgen ihrer eigenen, jahrelangen Flutung der Märkte mit billigen Geldmengen und extremer Tiefhaltung der Zinsen – dann stehen wir wohl kurz vor dem Einsturz des Kartenhauses der allmächtigen Gelddrucker.
Tatsächlich ist in den USA, trotz rekordhoher Inflation von über 7 Prozent, vorerst wenig politischer Wille auszumachen, diese bedrohliche Entwicklung mit höheren Zinsen zu bekämpfen. Eine solche, durch Schulden finanzierte Spekulationsblase wird irgendwann platzen. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass die Fed viel zu stark auf die Aktienmärkte schiele, sie reden von einer eigentlichen Perspektivenverzerrung. Beobachter fragen sich indessen, ob die Fed 2022 statt der angekündigten marginalen Zinsschritte «den Leitzins nicht doch um sechs bis sieben Mal erhöhen» (NZZ) sollte. Andere prominente Stimmen in den USA vertreten seit einiger Zeit die Ansicht, die Fed sei bei der Inflationsbekämpfung viel zu spät dran und der Leitzins hätte längst auf über 3 Prozent angehoben werden müssen – statt das aktuellen 0,25 Prozent.
Die EZB und ihre Staaten-Finanzierung
Wenn man sich vor Augen hält, dass die EZB seit 2015 Wertpapiere für über fünf Billionen Euro gekauft hat, um marode Staaten zu stützen, dann ist das eindrücklich. Noch eindrücklicher ist, dass sie das stets mit dem gleichen Argument getan hat: Die Inflation läge unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent. Da müsste die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, doch zur Kenntnis nehmen: Diese Teuerungsrate lag im Euroraum schon im Dezember 2021 bei über 5 Prozent …
Jetzt fragt man sich, ob die EZB mit ihrer Politik der Finanzierung der schwächeren Eurostaaten nicht längst vom einstigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität abgewichen ist und gleichzeitig die Inflationsgefahr massiv unterschätzt. Diese ist kein vorübergehendes Phänomen, wie die EZB immer noch betont. Die lockere Geldpolitik der EZB hat natürlich eine lange Tradition: Schon Mario Draghi, Vorgänger von Christine Lagarde, tat alles, um sein Land – Italien – vor dem drohenden Finanzkollaps zu retten. Mit immer neuen Argumenten werden hier finanz- statt geldpolitische Ziele verfolgt.
Seit Monaten fordern Beobachter des Geschehens den Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes, doch die EZB zögert. Auch 2022 will sie nochmals über 300 Milliarden Euro in die Märkte pumpen. Vergessen geht dabei auch eine Nebenwirkung dieser Politik: Die Käufe von Schuldpapieren von Staaten haben gleichzeitig zu einer starken Reduktion sicherer Renditen aus festverzinslichen Kapitalanlagen geführt, was sich stark negativ auf die Altersvorsorge der Bevölkerung auswirkt. Ein Aspekt, der auch der Schweizer Bevölkerung zu denken geben muss. Die SNB segelt im Schatten der EZB, und auch in der Schweiz sind die sinkenden Renditen für Sparende und Altersvorsorgende schwerverdaulich.
Die Schweizerische Nationalbank lässt sich nicht dreinreden
Wer am 31. Januar 2022 auf SRF 1 die Sendung Eco Talk verfolgte, war beeindruckt. Thomas Jordan, Präsident der SNB, liess keine Zweifel über die Richtigkeit seiner Politik aufkommen – allen Kritikern hielt er für jede Frage die Antwort bereit: «Unsere Politik hat sich in den letzten 100 Jahren bewährt! Unser Kampf um Preisstabilität ist erfolgreich (Teuerung in der Schweiz: 1,5%, Euroraum: 5,0%, USA: über 7%).» Chapeau! Allerdings kritisieren immer mehr Ökonomen diese Art der Debattenführung.
«Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann!» Tatsächlich erweist sich dieses alte Sprichwort als perfekter Beschrieb der SNB-Politik. Jordan betrachtet die aktuelle Inflation im Land mit 1,5% als bereits auf dem Höhepunkt, eine Meinung, die ich nicht teilen kann. Erst wenn sie auf über 2% steigen würde, wäre eine Änderung der Geldpolitik notwendig, meint er. Auf eine gelegentliche Zinserhöhung (aktuell: minus 0,75%) angesprochen, beruhigt Jordan. Eine solche werde im Gefolge der internationalen Entwicklung sicher kommen und das käme einer Normalisierung gleich: positiv für die Sparer, negativ für die Aktienboom-Profiteure.
Zu denken geben darf Jordans Argumentation bezüglich Frankenkursentwicklung. Jordan verteidigt ja seit Jahren die massiven Anleihenkäufe der SNB, der entsprechende «Berg» beträgt mittlerweile 1000 Milliarden Franken (Ausschüttung 2021 an Bund und Kantone: 26 Milliarden Franken), mit dem Argument, der Franken dürfe sich nicht aufwerten, das wäre ein Riesenproblem für unsere Exportwirtschaft. Fakt ist: Innerhalb eines Jahres ist der Kurs trotzdem von 1.11 auf 1.02/Euro gesunken – eine Verteuerung des Frankens von 9 Prozent. Derweilen boomt unsere Exportindustrie, überall fehlen Arbeitnehmer.
Und das Klima?
Immer mehr setzt sich weltweit ein neuer Trend durch: Investoren sollten sich auch um die Klimaerwärmung kümmern. Wer heute noch in nichterneuerbare Energie investiert (Erdöl, Erdgas), fördert klimaschädliches Verhalten.
Für Jordan ist das kein Thema. Er verfolgt die Devise eines breit gestreuten Anlagehorizontes – es sei nicht Aufgabe der SNB, Klimapolitik zu betreiben. Da kann man sich allerdings fragen: Was ist wichtiger: Rendite der SNB-Geldpolitik oder die Thematik Klimaerwärmung?
Unterschätzte Nebenwirkungen der SNB-Politik?
Seit über 100 Jahren funktioniert unsere Nationalbank nach der immer gleichen Struktur. Eine beachtliche Machtfülle des leitenden Dreiergremiums ist die Konsequenz, eigentlich in Zeiten des Epochenwandels und für die älteste Demokratie der Welt aussergewöhnlich. Zwar lässt sich der Erfolg durchaus sehen, doch wäre wohl gelegentlich eine Ausweitung der Perspektive als Alternative zu prüfen.
Schweizerinnen und Schweizer (traditionell ein Volk von Sparern) werden seit Jahren um den Ertrag auf ihrem Ersparten geprellt, ja, sie werden graduell enteignet. Dafür wird jenen Gamblern, die auf Pump kaufen und leben, der rote Teppich ausgelegt. Die negativen Folgen sind überall sichtbar: Immobilienpreise explodieren, Aktienkurse steigen unaufhaltsam (viele Schlaue kaufen Aktien mit Bankkrediten), die Blasenhaut wird dünner und dünner …
Um Negativzinsen auf ihren Barbeständen zu vermeiden, sind Grosskonzerne längst dazu übergegangen, gewaltige Summen in Renovationen ihrer Liegenschaften zu investieren, auch dort, wo diese noch jahrzehntelang aufgeschoben werden könnten. Die Folge: Entsprechende Mieten steigen stark, der Inflationsdruck steigt, der Mieter bezahlt … Auch massive Zukäufe zum Immobilienportefeuille sind lockende Alternativen, die Folgen auch hier: Immobilienpreise in der Schweiz gehen durch die Decke, mit allen negativen Folgen auf die Sozialpolitik und für Arbeitnehmende.
Das vorgegaukelte Leben auf Pump
Zusammengefasst sehen wir, dass sich die Notenbanken mit der gigantischen Ausweitung der Geldmenge und der Zinspolitik der niedrigen oder gar negativen Zinsen verrannt haben. Nicht erst seit 2022 ist bekannt, dass diese Politik unweigerlich die Inflation anheizt, eine Tatsache, die jetzt die Fed verschreckt, weil die Inflation in den USA inzwischen auf über sieben Prozent geklettert ist. Die EZB rätselt noch darüber, ob die rasant steigende Teuerung im EU-Raum vorübergehender oder dauerhafter Natur sei. Und in der Schweiz, wo sich mehr und mehr Ökonomen ob der festgefahrenen Nationalbankpolitik wundern, interpretierte das Dreiergremium an der Spitze solche Fragen als Angriff auf die Unabhängigkeit der SNB.
Natürlich stand am Anfang dieser Geldschwemme eine korrekte Reaktion der Notenbanken auf die Finanzkrise 2008, die tatsächlich geholfen hat, Schlimmes zu vermeiden. Anschliessend hat man es jedoch verpasst, den Hebel wieder zurückzuwerfen (auf Druck hochverschuldeter Nationen?). So hat sich seither das Volumen der Notenbankbilanzen der USA, der Eurozone, Japans und Chinas von 5 auf 30 Billionen Dollar versechsfacht (NZZ). Die Bilanzsumme unserer SNB hat sich seither … verneunfacht. All dies führt dazu, dass sich sowohl Menschen (die Bevölkerung), Politiker (der Staat) und Manager (die Wirtschaft) versucht fühlen, ein bequemes Leben auf Pump zu führen.
Wie dieses Leben im Schlaraffenland je wieder beendet werden kann, dafür fehlen weltweit Rezepte. Also macht man am besten nichts und überlässt das Problem den nachfolgenden Generationen. Allerdings: Es gibt keinen «free lunch».