Wer Münchens Pinakotheken-Viertel besucht, hat meist Grünewald, Rembrandt, Rubens oder El Greco in der Alten Pinakothek, Goya, Kaulbach oder Hans von Marées in der Neuen Pinakothek oder Beuys, Arnulf Rainer und Polke in der Pinakothek der Moderne im Kopf. Oder er besucht die Sammlung Brandhorst mit Warhol und Cy Twombly just daneben. Da mag man schon überrascht sein, an eben dieser Stelle – neben der Sammlung Brandhorst und in gradliniger Verlängerung zum Klenze-Portal der Alten Pinakothek – im kleinen Architektur-Rest der „Türken-Kaserne“ aus dem 19. Jahrhundert einer Installation Walter de Marias (1935–2013) zu begegnen: „Large Red Sphere“, dauerhaft hier installiert, raubt einem mit direkter und mächtiger Präsenz buchstäblich den Atem. Ein Verweilen vor diesem Werk wird zum Erlebnis.
Pionier der Minimal Art
De Maria war einer der Pioniere und zugleich Vollender von Minimal Art und Land Art. Er hat den Paradigmenwechsel in der Kunst der späten 1960er Jahre entscheidend mitgeprägt, war bei „When attitudes became form“ in Bern (1969) dabei und schuf für die Documenta 6 (1977) in Kassel das Werk „Vertikaler Erdkilometer“. Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist „The Lightning Field” (1977) in der Wüste New Mexicos. De Maria liess 400 Stahlmasten in den Boden rammen, in die sich während der Gewittersaison die Blitze entladen – ein hochdramatisches Bild.
Der alte Torbau aus dem Jahr 1826, das „Türkentor“ – der Name rührt daher, dass die Kaserne eines Königlichen Regimentes an der Türkenstrasse lag – ist von komplexen Vergangenheitsbezügen geprägt wie auch die ganze städtebauliche Situation der Münchner Maxvorstadt, in der er steht. Restauriert und für seine neue Funktion hergerichtet wurde er von Sauerbruch Hutton Architects, den Erbauern der unmittelbar benachbarten Sammlung Brandhorst. Betritt mal ein Besucher den Raum in diesem Torbau, so erschreckt er fast den Aufseher, der darüber wacht, dass niemand die rote Granitkugel mit einem Durchmesser von 260 cm und einem Gewicht von 25 Tonnen mitlaufen lässt oder auch nur ihre spiegelglatt geschliffene Oberfläche beschädigt.
Innen und Aussen
Die Kugel steht auf einem dreistufigen steinernen Sockel und zwischen vier steinernen Pfeilern, die ein Holzgebälk tragen. Der so im kleinen Raum gebildete Kubus – eine Situation von archaischer Einfachheit und Kraft – bildet den Rahmen für „Large Red Sphere“. So betitelte De Maria sein 2001 konzipiertes Werk. „Large Red Sphere“ scheint den kleinen Raum zu sprengen, zieht unsere Aufmerksamkeit kompromisslos auf sich und bezieht mit seinen Spiegeleffekten zugleich den ganzen Umraum bis hinaus aufs weite Feld zwischen den Pinakotheksgebäuden in den Kubus ein – das perfekte Wechselspiel von Innen und Aussen. Unmöglich für die Besucherinnen und Besucher, sich aus diesem Spiel herauszuhalten. Sie begegnen auf der sphärischen Kugeloberfläche ihrem eigenen verzerrten Spiegelbild.
Diese direkte Konfrontation mit dem Umraum und mit dem eigenen Bild ist das eine. Ein anderes: Die Form der Kugel hat als existentielles Urelement im Lauf der ganzen Kulturgeschichte tausendfache symbolische Aufladung erfahren. Noch ein anderes: Die Materialität des zur Perfektion geschliffenen Steins von gewaltiger Dimension. All das zusammen beschert den Eintretenden ein ästhetisches Erleben von seltener und vielschichtiger Qualität. „Large Red Sphere“ kann durchaus zum Ort der Meditation und Einkehr werden.
De Marias Werk wurde von der Udo und Anette Brandhorst Stiftung erworben. Ihr 2009 eröffnetes Museum nebenan wird von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen betrieben. Insgesamt umfasst die hier beheimatete Sammlung Brandhorst über 700 Kunstwerke. Schwerpunkte bilden Werke von Künstlern, die die Kunst seit 1945 entscheidend beeinflusst haben. Im Gegensatz zur Pinakothek der Moderne, die einen kunstgeschichtlichen Überblick bieten will, sucht das Museum Brandhorst die vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen Künstler-Persönlichkeiten.
Täglich von 11 bis 17 Uhr, November bis März von 12 bis 15 Uhr zugänglich. München, Türkenstrasse 17