«The Power of the Dog» spielt in Montana in der Mitte der zwanziger Jahre. Im Zentrum steht ein Cowboy alter Schule, und an seinem Beispiel demonstriert Jane Campion, was toxische Männlichkeit bedeutet. Das ist höchst aktuell angesichts der Renaissance alter Männerbilder – zuletzt sogar in geopolitischer Dimension.
«Entreisse meine Seele dem tödlichen Schwert, rette mein Leben vor den Krallen dieser Hunde!» – Diese Bibelstelle schlägt Peter (Kodi Smit-McPhee) auf, nachdem es vollbracht ist. Beim Text handelt es sich um eine Passage aus dem Psalm 22, einer Anrufung Gottes aus tiefster Verzweiflung. Den ersten Satz dieses Psalms spricht Jesus nach dem Markus- und dem Matthäusevangelium vor seinem Tod am Kreuz.
Doch nun ist es vorbei, Petes Widersacher ist aus dem Weg geräumt: nämlich Phil, der Bruder seines Stiefvaters und Mitinhaber der Ranch, der ihm und vor allem seiner Mutter das Leben zur Hölle gemacht hat.
Muttersöhnchen
Phil und George Burbank haben die Familienranch gemeinsam geführt, seitdem sich die Eltern aus dem Geschäft zurückgezogen haben. Doch dann hat George (Jesse Plemons) geheiratet, und Phil (Benedict Cumberbatch) konnte das nie akzeptieren. Er hat seine Schwägerin (Kirsten Dunst) von Anfang zurückgestossen und nicht weniger deren achtzehnjährigen Sohn, der von der Erscheinung her zerbrechlich wirkt, kunstvolle Papierblumen bastelt und Medizin studiert.
Phil kann gar nicht mit feinen Pinkeln, in Peter sieht er ein Weichei, ein Muttersöhnchen, das er vor seinen Arbeitern als «Miss Nancy» verspottet. Die Mutter lässt er demonstrativ links liegen und ihre zaghaften Versuche am Klavier kommentiert er höhnisch auf seinem Banjo, bis sie wegen Migräneattacken schliesslich zur Flasche greift.
Selbstdressur
Phil hasst Schwäche, im Grunde alles, was nicht männlich-hart ist. Das ist seinem Vorbild geschuldet, Bronco Henry, dem Über-Cowboy, der ihn und seinen Bruder vor einem Vierteljahrhundert ins Rancherleben eingeführt hat und mit dem er sich bis zur Selbstaufgabe identifiziert.
Dabei ist Phil selbst gar nicht der empfindungslose Klotz, als den er sich gibt. Er ist äusserst wach, sensibel, spielt Banjo und schnitzt filigranes Holzspielzeug. Welche Gefühle gegenüber dem Lehrmeister im Spiel waren, das zeigt sich an der Zärtlichkeit, mit der er dessen Sattel pflegt, sowie am Ritual mit einem Tüchlein, auf das die Initialen "BH" gestickt sind. Bronco ist bei einem Unfall im Corral ums Leben gekommen und Phil über den Verlust nie hinweggekommen.
Spiegelbilder
Phil wird sich Pete schliesslich annähern, vordergründig aus der Absicht, ihn der Mutter zu entfremden, aber da geht es noch um anderes. Im Umgang mit dem Jungen versucht er die eigene Geschichte zu wiederholen, eine Initiation ins Mannsein, wie er sie selber erfahren hat.
Und Pete wird sich als gelehriger Schüler erweisen, beim Flechten von Seilen aus Lederstreifen, beim Reiten, beim unsentimentalen Umgang mit Tieren. Überhaupt offenbart sich eine Verwandtschaft zwischen ihm und Phil, welche der zuletzt erwartet hätte. In dem Jungen steckt eine Härte, die der von Phil in nichts nachsteht. Auch er ist kontrolliert bis zum Äussersten, lässt nichts an sich herankommen, weder Gefühle noch andere Menschen, und auch er verfolgt einen maskulinen Plan: Er sieht sich als Beschützer der Mutter, seitdem sein schwacher, alkoholkranker Vater sich erhängt hat.
Der den Hund sieht
Wirkliche Nähe scheint sich herzustellen, als Pete in einer nahen Hügelformation das Bild eines bellenden Hundes erkennt, das war bisher Phils Geheimnis, das er allenfalls mit Bronco geteilt hat. Wer den Hund sieht, gehört offenbar einer Gemeinschaft auserwählter Männer an, die eine exquisite Befindlichkeit teilen: Verachtung für die Schwachheit des gewöhnlichen Lebens, ein Differenzierungsbedürfnis, das sich von der Angst nährt, berührt zu werden.
Peter hätte auch das Zeug dazu, doch er wird in diesem Männerbund zum Dissidenten und heckt einen teuflischen Plan aus. Er wird den Über-Cowboy stürzen und sich dabei eine Marotte von Phil zunutze machen, der stets ohne Handschuhe arbeitet, um seine Unverletzlichkeit zu demonstrieren.
Aber kann Peter so die Hunde zum Schweigen bringen? Wir erfahren es nicht, wir wissen nur, dass Phil ihm das Lederseil hinterlässt, das er eigens für ihn geflochten hat.
Fatale Renaissance
Thomas Savage (1915-2003) hat die Romanvorlage 1967 veröffentlicht, in einer Zeit, in der es möglich wurde, Heteronormalität in Frage zu stellen und wo forciert zur Schau gestellte Männlichkeit sich plötzlich als Ausdruck nackter Angst verstehen liess. Savage hat in seinem Werk biographische Erfahrungen verarbeitet, nicht zuletzt die eigene innere Repression seiner Andersheit. Und eine Weile sah es in der Tat so aus, als könnten wir destruktive Idealbilder überwinden.
Doch seit einigen Jahren feiert das Klischee vom Marlboro Mann wieder Auferstehung, nicht nur im Dunstkreis populistischer Fantasmen, sondern zuletzt – in Putins Krieg – auch in einer geopolitischen Dimension. Deshalb ist Jane Campions kongeniale Adaption des Romans so aktuell. Sie zeigt schonungslos, was es bedeutet, sich gegen das Leben zu panzern, was einer sich selbst und seinen Nächsten damit antut.
«The Power oft he Dog», Neuseeland/Australien 2021, Regie: Jane Campion
Jetzt im Kino und bei Netflix zu sehen