Amélie Losier ist eine junge Fotografin, deren Stationen bemerkenswert sind. Geboren 1976 in Versailles, studierte sie in Paris und Berlin Germanistik. Daneben erhielt sie Zeichenunterricht an der École des Beaux-Arts in Paris. Es folgte ein Studium der dokumentarischen Fotografie. Seit dem Jahr 2001 ist sie regelmässig in internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen präsent.
Das erste Mal war sie im Jahr 2000 in New York. Die Bilder dieses Bandes entstanden während ihres zweiten Aufenthaltes im März und April 2012. Wie wollte sie diese Stadt fotografieren, in der, wie ihr nur zu bewusst war, die berühmtesten Fotografen ihre unverwechselbaren Bilder gemacht haben? Ihr half der Satz ihres Lehrers Arno Fischer: „Amélie, schau mit Deinen Augen!“
Das Herz New Yorks
Dabei ist etwas sehr Interessantes geschehen. Es ist Amélie Losier tatsächlich gelungen, unverwechselbare Bilder zu machen. In ihren Bildern pocht das Herz von New York. Aber nicht in ihren Worten. Der Titel der Ausstellung in der Galerie im Tempelhof Museum Berlin, auf den der Band mit einer erweiterten Bildauswahl Bezug nimmt, heisst: „Just like a woman“.
Das ist ein Song von Bob Dylan. Der hatte es Amélie Losier angetan, wobei man klar sagen kann, dass es ganz sicher mehr die Melodie als der Text gewesen sein muss. Denn der Text liest sich nicht gerade wie ein Empfehlungsschreiben. Die Frau, die Dylan beschreibt, ist falsch. Das meint Amélie Losier aber nicht. Sie ist auf die Vielschichtigkeit und Ambivalenz dieser Stadt aus.
Zudem liest sich „Just like a women“ so, als sollten die Bilder von Amélie Losier in ein milderes Licht getaucht werden, so dass sie nicht allzu hart dem Vergleich mit den anderen Werken männlicher Kollegen ausgesetzt werden. Einen solchen Goodwill haben diese Bilder aber gar nicht nötig. Sie halten jeden Vergleich aus. Die verbale Verpackung erweckt einen falschen Eindruck.
Denn es gelingt Amélie Losier, das pulsierende Leben New Yorks mit Augen zu sehen, die verträumt und präzis zugleich sind. Die Bilder sind nicht romantisch, aber sie leben vom Überschuss eines fantasiebegabten Blicks. Dieser Blick erschliesst die Stadt völlig neu.
Blättert man den Band ein erstes Mal durch, entsteht der Verdacht, dass die Fotografin sich reichlich aus der Trickkiste der Fotobearbeitung bedient hat. Da gibt es Überlagerungen, unwahrscheinliche Kompositionen, halsbrecherisches Spiel mit Unschärfen, abenteuerliche Kompositionen aus Hell und Dunkel. Aber Amélie Losier ist eben auch Pressefotografin und als solche den Codices der wichtigen Bildagenturen verpflichtet. Diese Codices setzen der Bearbeitung weitaus engere Grenzen, als sich der Laie vorstellt.
Aber das Motto, „Just like a woman“, gibt weiter zu denken. Denn die Fotografin hat das Gefühl gehabt, wenigstens in manchen ihrer Bilder das Thema Frau besonders herausstellen zu sollen. Daher finden sich in dem Bildband eine Reihe von Porträts. Auffallend an diesen Porträts ist die Intimität, die Amélie Losier hergestellt hat. Man spürt buchstäblich „den Draht“. Aber wie verhalten sich diese Porträts zu den anderen Bildern von New York?
Der Ausdruck von Dynamik
Da gerät man ins Philosophieren. Manche Frauenporträts sind frontal aufgenommen und wirken geradezu konventionell. Aber dann gibt es andere, von hinten, etwas verhuscht aufgenommen, die eine starke suggestive Kraft enthalten. Es sind diese Perspektiven, die die Brücke zu den anderen Bildern New Yorks bilden.
Denn dort stösst man immer wieder auf Fotos, die in ihrer provozierenden Unschärfe, ihren verschwimmenden Konturen dem Eindruck von New York eine Schärfe verleihen, wie es sonst nur grosse Literatur kann, indem sie sich scheinbar im Beiläufigen erschöpft.
Und so wird man diesen Band so nehmen wie die Stadt New York, unglaublich dynamisch und voller Fragen. Kann Fotografie mehr leisten?
Amélie Losier, Just like a Woman. New York City Fotografien, herausgegeben von Franziska Schmidt, Nimbus. Kunst und Bücher 2014