Der Deutsche, der in London den italienischen Opern vor zweihundert Jahren den Weg bahnte, reisst das Publikum jetzt im Theater St. Gallen hin: Georg Friedrich Händel mit «Giulio Cesare in Egitto». Obwohl der Alexandrinische Krieg und die Auseinandersetzungen zwischen Cäsar, Achillas, Ptolemaios und Cleopatra nach zwei Jahrtausenden die brennende Aktualität verloren hat. Aber das Libretto von Nicola Francesco Haym bietet eine Fülle inspirierender Trümpfe, die ewigen Verirrungen und Verwirrungen der Macht und der Liebe, der Bedrohung und der Befreiung spannend auf die Bühne und zu Gehör zu bringen.
Schauerlich und bewegend
Fabio Ceresa als Regisseur nimmt die Chance wahr. Mit dem Bühnenbild von Massimo Checchetto, den Kostümen von Guiseppe Palella, der Lichtführung von George Tellos und der Choreografie von Mattia Agatiello lässt er uns eintauchen in ein märchenhaft stilisiertes Ägypten, fern jeder Wirklichkeit und die politische Korrektheit strenger Observanz womöglich missachtend.
Sagen wir also, es sei nicht Ägypten, sondern ein üppig buntes, verschwenderisch schönes Irgendwo-Land. Einfach eine phantasievoll die Sinne verwöhnende Kulisse für die weder an eine Epoche noch an eine Kultur gebundenen miesen Intrigen, meuchlerischen Akte und leidenschaftlichen Gefühle. Das Drama Mensch. Den Rücken erschaudernd, das Herz bewegend.
Oper im Jetzt
Dieses Erlebnis schaffen italienische Künstler, allesamt an renommierten Theatern beschäftigt. Die St. Galler Inszenierung holt die Oper ins Jetzt. Darum trägt Cleopatra eine Brille, wird mit Pistolen geschossen, mit Regenschirmen gefochten, fotografiert, telefoniert und Benzin aus Kanistern auf Kleider geschüttet, um sie als Erinnerung an die Vergangenheit zu verbrennen. Die Bühne hat ihre eigene Realität.
Nein, eine verpönte und peinliche Modernisierung der Vorlage ist es nicht. Es handelt sich um elegante, witzige Drehungen mit der Botschaft, wie heutig, wie stark und lebendig Händels Oper ist. In der Tat. Eine grossartige Leistung.
Begeisternde Spielfreude
Auch erbracht vom musikalischen Leiter Rubén Dubrovsky, dem Sinfonieorchester St. Gallen, der Statisterie des Theaters St. Gallen und den Sängerinnen und Sängern. Die Namen müssen genannt sein: Raffaele Pe, Cesare, Tatjana Schneider, Cleopatra, Luigi Schifano, Tolomeo, Jennifer Panara, Sesto Pompeo, Sonja Runje, Cornelia, Samuli Taskinen, Achilla, Vasily Khoroshev, Nireno, und David Maze, Curio.
Spielfreude auf der Bühne und im Orchestergraben übertrugen sich aufs Premierenpublikum, das die sonst sprichwörtliche Ostschweizer Nüchternheit spätestens bei der Arie «Priva son d’ogni conforto» und beim Lamento-Duett ablegte und auf offener Szene und am Schluss begeistert applaudierte.
Erfolg auch für die zweite Premiere
Die Aufführung begann schleppend. Das kann bemängelt werden. Allerdings geriet die Beschleunigung der Geschehnisse zum furiosen Finale umso packender. Aus dem Einwand wird die lobende Unterstellung, die Regie habe präzis kalkuliert.
Mit der Premiere der Oper fiel jene der provisorischen Spielstätte zusammen, die während der Theater-Renovation genutzt werden muss. Der Praxistest war – mit leichten Einschränkungen bei der Sitzbequemlichkeit – erfolgreich. Die Corona-Dreifaltigkeit Maske-Abstand-Desinfektionsspender wurde problemlos respektiert.