In den Jugenderinnerungen der Rilke-Freundin Marie von Thurn und Taxis beschreibt die Schlossherrin von Duino ihre Mutter, eine aus Venedig stammende Gräfin: „Im Grunde gab es nichts Komischeres, als die Antipathie meiner Mutter gegen Bäume, wie überhaupt gegen alles Grüne. Darin zeigte sie sich als echte Venezianerin, die nur das Meer und den Marmor liebt . . . Ich sehe sie noch, wie sie angeekelt den Mund ein wenig verzieht: ‚Tutto questo verde!’“
Innige Liebe zu uralten Bäumen
Bei mir was das gerade umgekehrt. Ich hatte das Glück inmitten eines grossen Gartens aufzuwachsen, dessen uralte Bäume ich innig liebte. Sie waren Teil eines Landschaftsgartens, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem von der aufstrebenden Textilindustrie geprägten Dorf unweit von Zürich angelegt worden war. Um zwei Teiche herum wurde damals ein kleines Arboretum gepflanzt, wovon ein gutes Dutzend Laubbäume in meiner Kindheit noch stand.
Von der ursprünglichen Anlage war ansonsten kaum noch etwas zu sehen. Schon mein Grossvater hatte den grösseren Teich in den 1940er Jahren ausbetoniert und in ein Schwimmbad verwandelt. Das kleinere Becken lag im verwilderten Teil des Gartens und war über Jahrzehnte mit Laub und Rasenschnitt aufgefüllt worden. Meine ersten archäologischen Nachforschungen bestanden darin, den Wasserlauf zwischen den beiden Becken freizulegen und mit einem Schlauch wiederzubeleben.
Eine Eiche aus dem Dorfwald
Jeden Frühling wartete ich gespannt darauf, dass unsere Bäume wieder ausschlugen. Und es faszinierte mich, wie der braune Boden unter ihnen vor Baumkeimlingen ergrünte, deren erste Blätter so ganz anders aussehen als alle späteren.
In unserem Garten gab es mehrere Rosskastanien und Buchen, darunter eine dreistämmige, in deren Mitte man gerade noch stehen konnte. Ausserdem hatten wir eine Ulme, eine Linde und eine Silberpappel. Nur letztere steht noch heute, da ein Sturm die Linde und ein Pilz die Ulme zu Fall gebracht haben. In die Lücken versetzte ich Jungbäume, die ich an anderen Stellen des Gartens ausgrub.
Und weil ich es seltsam fand, dass wir weder eine Eiche noch eine Lärche hatten, holte ich mir je ein Exemplar aus dem Dorfwald. Den Ginkgo, den ich an den Rand der Rasenfläche setzte, hatte ich mir als Geschenk gewünscht, weil mich das Alter, die exotische Herkunft und die Zweigeschlechtlichkeit dieses Baumes interessierten.
Eine Birke wie der schiefe Turm von Pisa
Beim Schwimmbad stand eine mächtige Blutbuche, der Leitbaum vieler schweizerischen Gartenanlagen aus dem 19. Jahrhundert. Ihr gegenüber, am anderen Ende der Wasserfläche, stand völlig frei und niemals zurückgeschnitten eine Birke, ein Baum, der nur selten als Solitär eingesetzt wird.
Unser Exemplar überragte die fast zweihundertjährige Blutbuche deutlich, hatte einen Umfang von mehr als drei Metern und stand wie der Turm von Pisa schief gegen das Haus. Als die Birke, wie später auch die Blutbuche, aus Altersgründen gefällt werden musste, riss sie trotz der Berechnungen der Gartenspezialisten einige Ziegel und die Dachrinne vom Haus. Wie alt der Baum war, konnte ich anhand der Jahrringe nicht mehr ermitteln. Er war innen bereits hohl.
Immer den eigenen Blumenstrauss auf dem Schreibtisch
Blumen faszinierten mich noch früher als Bäume. Mit fünfzehn Monaten fotografierte mich meine Mutter bei der Bewunderung einer Tulpe. In ihrem Fotoalbum hielt sie fest, dass ich „schöne Blume“ sagen wollte und „schöni Bule“ dabei herauskam. Später habe ich nichts lieber getan, als meiner Mutter im Garten zu helfen. Dass sie mir mit fünf beim Versuch eine Stockmalve zu schneiden, die ich ihr halten sollte, aus Versehen in die Kuppe des kleinen Fingers schnitt, tat meiner Gartenbegeisterung keinen Abbruch. Beim Anblick einer Rosenschere verspürte ich indes noch jahrelang ein Surren unter der Narbe und bin im Umgang mit diesem Gartenwerkzeug bis heute ziemlich vorsichtig.
Als Teenager habe ich meinen ersten eigenen Garten angelegt. Ich nahm einen Spaten, stach ein Stück Wiese um und säte eine Blumenmischung aus. Später kaufte ich mir Stauden, im November steckte ich Tulpen- und Narzissenzwiebeln in den Boden. Bald war es mein Ehrgeiz, von Frühling bis Herbst immer einen Strauss aus meinem Garten auf dem Schreibtisch zu haben.
England, der hortikulturelle Nabel der Welt
So stolz war ich auf meine Bouquets, dass ich diese mit meiner Nikon fotografierte und, in ganz besonderen Fällen, an Freunde verschenkte. Als ich nach der Matur zum Studium nach Oxford ging, liess ich meinen Garten zurück. Einige Stauden gedeihen dort noch heute, darunter mehrere Phlox und eine inzwischen riesige Hosta.
England ist der hortikulturelle Nabel der Welt. In Oxford hat daher jedes College einen sorgsam gepflegten Garten, meines leider nur einen kleinen. Trotzdem liess ich mich ins gardening committee des Balliol College wählen und durfte einige Sträucher mitbestimmen, die ersetzt werden mussten.
Den schönsten Garten mit prachtvollen Rabatten vor hohen Steinmauern und einer steilen Rasenpyramide, deren Betreten strengstens verboten war, hatte das 1379 gegründete New College. Ihn pflegte der Historiker Robin Lane Fox, Biograph Alexanders des Grossen und Gartenkolumnist bei der Financial Times.
Gemüsegarten auf 1200 m.ü.M.
Seit einigen Jahren habe ich endlich wieder einen eigenen Garten. Er liegt im Sernftal im Kanton Glarus und umgibt ein kleines Bauernhaus mit Postadresse „Berg“. Mein Partner und ich mieten es ganzjährig und verbringen zusammen mit unserem Hund die Wochenenden dort. Einen Garten auf knapp 1200 Metern über Meer anzulegen war eine Herausforderung, die mich reizte. Als wir den Berg übernommen haben, gab es um das Haus herum nichts weiter als ein Stück Wiese. Inzwischen blühen dort oben nicht nur zahlreiche Blumen, sondern wir haben auch einen buchsumstandenen Gemüsegarten. Denn ein Bauernhaus ohne Nutzgarten ist wie eine Fabrikantenvilla ohne Blutbuche.