Das Münchner Opernhaus wurde im Zweiten Weltkrieg total zerstört. Nach langen Diskussionen entschloss man sich, es so, wie es war, wieder aufzubauen. 1963 eröffnete es mit der Richard-Strauss-Oper «Die Frau ohne Schatten». Der damalige Intendant hätte lieber eine Mozartoper gehabt, doch da mit Strauss ein Komponist mit direktem Münchenbezug zur Verfügung stand, wählte er diejenige seiner Opern, die Mozart am ähnlichsten war: Mozarts «Zauberflöte» hatte Richard Strauss’ Oper auf allen wichtigen Kompositionsebenen geprägt. Allerdings hat «Die Frau ohne Schatten» ein so kompliziertes Libretto, dass ein Tenor klagte, er habe diese Oper nun schon x-mal gesungen, doch wisse er immer noch nicht, in welchem Stück er dabei auf der Bühne stehe.
Regie mit allen Registern
Das Regie-Ausnahmetalent Krzysztof Warlikowsy und seine Frau Malgorzata Szczesniak, zuständig für Bühnenbild und Kostüme, liessen sich dazu etwas einfallen. Im Grunde geht es bei dem Stück um zwei Paare, die jeweils zueinander finden müssen. Das eine lebt in der Feenwelt; ihm wurde die rechte Seite der Bühne zugewiesen. Das andere in der Menschenwelt; sie beleben die linke Bühnenseite. Dann gibt es da noch Fabelwesen, für sie teilweise sicht-, teilweise unsichtbar, sowie Stimmen, die wie aus dem All sprechen. Damit nicht genug, ist die Inszenierung in drei verschiedenen Zeitperioden angesiedelt.
Die erste ist die der Entstehungszeit des Stücks im Jahr 1919. Die Operndichtung von Hugo von Hofmannsthal steht unter dem Eindruck der Folgen des Ersten Weltkriegs und der beginnenden Psychoanalyse von Sigmund Freud. Die zweite Periode sind die sechziger Jahre, in denen die Oper neu eröffnet wurde. Sie sind vor allem im Stil des Bühnenbilds präsent. An die dritte Periode wird der Zuschauer immer wieder durch die bekannte Schweizer Bahnhofuhr erinnert, die präzise tickt und die Jetztzeit der Aufführung anzeigt. Doch dies sind nur einige der Elemente, die sich ständig vermischen. Das Bühnenbild dreht und setzt sich neu zusammen. Lichteffekte, Videoanimation und wechselnde Farben spiegeln die inneren Prozesse der Figuren.
Frauenleben in non-linearer Erzählweise
Videofilme von Denis Guéguins, bühnenfüllend oder nur auf einer Fensteröffnung spielend, nehmen das Thema «Frauenleben» in diversen Formen auf. Teile von Alain Renais’ schwarzweissem Spätzeitdrama von 1961 «Letztes Jahr in Marienbad» machen den Anfang und werden in der Folge auf kleinen Projektionsflächen wiederholt. Die bleierne Leere und depressive Langeweile eines inhaltlosen Frauenlebens im goldenen Käfig wird da direkt physisch spürbar.
Eines Frauenlebens ohne Kinder. Denn auch darum geht’s in dieser Oper: um die Fortpflanzungsfähigkeit. Die Kaiserin hat als Feengestalt keinen Schatten und kann auch keine Kinder bekommen. Ihre Amme findet deshalb eine Färberfrau, die keine Kinder will und ihr armes, arbeitsreiches Dasein verachtet. Sie ist deshalb für etwas Luxus bereit, der Kaiserin ihre Gebärfähigkeit zu überlassen.
Dies alles inszeniert der polnische Regisseur in einem grossen Wurf. Der «Skandalregisseur», als der er in Paris oft ausgepfiffen wurde, stösst auf Begeisterung beim Münchner Publikum. Sein non-linearer Erzählstil, durchsetzt mit Assoziationen und Traumbildern, die ein Kritiker von «Le monde» als Ausfluss eines Gehirns im Drogenrausch beschrieb, wurde in München als beeindruckend und phantasievoll gewertet.
Herausragend gesungen
Und die Musik! Die Münchner Staatsoper hat mit Kirill Petrenko einen neuen Generalmusikdirektor, der für diese Oper erstmals am Pult steht. Keine leichte Aufgabe auch für ihn, gilt doch «Die Frau ohne Schatten» als die kompositorische Summe aus den Strauss’schen Vorgängeropern «Salome», «Elektra», «Der Rosenkavalier» und «Ariadne auf Naxos». Strauss legte mit ihr den Grundstein für sein späteres Opernschaffen im Stil einer gemässigten, vielfältig ausdifferenzierten Moderne.
Dazu gehören auch die durch ihre Tonsprünge und Dissonanzen schwierig zu singenden Arien. Die Russin Elena Pankratova gestaltet ihre Rolle als Färberin in einer Intensität, überzeugenden Technik und schauspielerischer Ausdruckskraft, die einsichtig macht, dass sie in dieser Rolle ihren Durchbruch beim Maggio Musicale Fiorentino hatte. Allerdings ist sie von Figur und Ausstrahlung her nicht eine «palmenschlanke, scheue Jungfrau», sondern ein üppiges, sinnliches, sehr erfahrenes Vollweib.
Auch die aus Kanada stammende österreichische Kammersängerin Adrianne Pieczonka wirkt, obwohl hier ein Feenwesen, sehr bodenständig. Doch ihr silberner Sopran, differenziert phrasiert und vielschichtig moduliert, lässt ihre Zuhörer durchaus in höhere Sphären entschweben. Die Pieczonka lebt ihre Emotionen und teilt sie auf direktestem Wege mit. Es ist schwierig, beim Zuhören nicht atemlos zu werden.
Unterstützt von den tadellosen sängerischen Leistungen der Amme (Deborah Polaski), des Kaisers (Johan Botha), des Färber (Wolfgang Koch) und des Chors und Kinderchors der bayrischen Staatsoper sowie ihrem ausgezeichneten Orchester, kommt ein schattenloser Opernabend zustande.
Das Stück ist am 29. Juni und 3. Juli 2014 erneut auf dem Programm.