Die internationale Raumstation ISS befindet sich seit mehr als 20 Jahren im All, wobei ihre Besatzungen wechseln. Der Bildband von Thomas Pesquet vermittelt die Faszination, die mit den Ausblicken auf die Erde verbunden ist – ein Staunen eigener Art.
Die Bilder entstanden während der 200 Tage, die Thomas Pesquet in der Raumstation verbrachte. Seine Hauptarbeit bestand in wissenschaftlichen Untersuchungen, die er als «Ausnahmeerfahrung» charakterisiert: «Ein hochmodernes Labor, so gross wie ein Fussballfeld, mit einem Innenraum wie ein Langstreckenflugzeug.» Tag und Nacht experimentiert die Besatzung. Von der Biologie über Chemie und Physik bis hin zu Experimenten mit neuartigen Materialien oder auch Impfstoffen reicht die schier unendliche Palette.
Alles geschieht auf einer Umlaufbahn im Abstand von 400 Kilometern zum Heimatplaneten «in der denkbar unwirtlichsten Umgebung». Und die Schwerelosigkeit erfordert ein tägliches zweieinhalbstündiges Fitnessprogramm. Dazu kommen die anspruchsvollen Aussenbordeinsätze. Den Rahmen für das Ganze bietet die «technologische Meisterleistung» der ISS, die «auch ein Modell für internationale Zusammenarbeit ist, bei der sämtliche Differenzen im Dienste der Weltraumforschung und der gemeinsamen Suche nach neuen Erkenntnissen ausgeblendet werden».
Neben dieser anspruchsvollen Arbeit hat Thomas Pesquet mit grosser Leidenschaft fotografiert. Man kann sich kaum vorstellen, wie er dabei auf über 245’000 Aufnahmen kam. Diese Zahl ist ebenso gigantisch wie die anderen Dimensionen des Raumfahrtunternehmens ISS. Aber es gibt noch einen anderen Punkt: Als Laie hat man die Vorstellung, dass es gar nicht so schwierig sein kann, von dem einzigartigen Ausblick im All Bilder von der Erde zu machen. Diese Vorstellung ist aber vollkommen falsch.
In seinem begleitenden Text berichtet Thomas Pesquet von den Herausforderungen, die mit den Aufnahmen verbunden sind. So gilt es, mit den zum Teil extremen, zum Teil sehr subtilen Lichtverhältnissen zurecht zu kommen. Manche Aufnahmesituationen erfordern sehr viel Übung, bis endlich zufriedenstellende Bilder gelingen. Die digitale Technik hilft dabei, aber sie macht das Können des Fotografen nicht überflüssig.
Dazu kommt, dass die Erde ständig neue Anblicke bietet. Bei der Umkreisung wechselt das Dunkel der Nacht in die Helle des Mittags und bietet auf diese Weise kontinuierlich neue Beleuchtungseffekte. Dazu kommen Phänomene wie das wechselnde Wetter auf der Erde, Stürme und andere temporäre Erscheinungen. Schon das Inhaltsverzeichnis bietet einen Einblick in die Vielfalt: Es beginnt mit dem Tagesanbruch, verweist auf die «Die Erdgebiete», geht weiter mit den Städten, Grenzen, Wolken, Stürmen, Wüsten, Gebirgen, Meeren, Küsten, Flüssen und endet mit der Nacht.
Der Reiz dieses Bandes besteht auch darin, dass zahlreiche Bilder eher abstrakten Kunstwerken ähneln als rein gegenständlichen Abbildungen. Da spürt man eine künstlerische Ader. Thomas Pesquet möchte mit seinen Bildern und Texten seine «Liebe zu unserer Erde zum Ausdruck bringen. Wir wohnen auf einer Insel des Lebens von einzigartiger Schönheit, fragil, gefährdet, verloren in der feindlichen Unendlichkeit des Kosmos».
Thomas Pesquet: 200 Tage auf der ISS. Die Erde in unseren Händen – Der blaue Planet in 300 faszinierenden Bildern.
Esa - Eac European Astronaut Centre, Sibylle Segovia, Übersetzung. 384 Seiten. Frederking & Thaler, München 2023, 67,90 CHF