Die 68er sind mit dem Verlangen nach mehr Autonomie angetreten, und fast alles, was an ihren Forderungen systemkonform war, ist später in den Mainstream eingesickert. Lebensverhältnisse wie Alltagswertungen werden heute mehrheitlich bestimmt durch individualistische und egalitäre Standards. Allerdings haben die entsprechenden Spielregeln auch zu neuen Ausschliessungen und damit zu sozialen Spannungen geführt. Das Aufkommen des populistischen Protests deutet an, dass fünfzig Jahre danach auch die post-68er Matrix wieder an ihre Grenzen stösst.
Das Ende der sichtbaren Autorität
Keine Frage, im Wertegenom der postindustriellen Gesellschaften finden sich ganz beträchtliche Sequenzen von 68er DNA. Die Gleichstellung der Geschlechter, Toleranz gegenüber Fremden bzw. Andersartigen, eine generelle Zukunftsorientierung: das alles ist heute Mainstream, auch wenn derzeit eine populistische Rechte dagegen bockt.
Nehmen wir nur einmal die Schulen. Natürlich sind sie nicht zu antiautoritären Kinderhorten geworden, wo jeder kann, wie ihm gerade ist; aber es wird da nicht mehr geprügelt. Den Launen und der Willkür der Lehrpersonen sind enge Grenzen gesetzt, weil sich der Respekt vor dem Kind als Maxime durchgesetzt hat.
Oder dann die Alltagsmoral; freie Liebe und permanenten Partnertausch gibt es zwar weiterhin nur in Nischen, doch es wird heute kein Konkubinatspärchen mehr von der Polizei aus dem sündigen Bett geholt. Geschiedene Frauen oder unehelich Schwangere sehen sich nicht mehr moralisch ausgegrenzt, Homosexualität – in männlicher wie in weiblicher Variante – kann in einer familienkompatiblen Vorabendserie zum Thema werden. Den Jüngeren mag das alles selbstverständlich scheinen, aber diejenigen, die 68 als Zeitgenossen bewusst erlebt haben, wissen, dass es einmal ganz anders war.
Und das ist noch längst nicht alles: Auch die Staatsgewalt kommt auf samtigeren Pfoten daher. In Amtsstuben, sogar bei der Polizei werden wir nicht mehr angeraunzt, weil auch Behörden sich mittlerweile als Dienstleister und allfällige Antragssteller somit als Klienten sehen. Selbst in der Wirtschaft hat sich die Inszenierung der Vorgesetzten von Grund auf verändert. Auch sie kehren nicht länger die Autoritätsperson heraus. Statt uns barsch zu zeigen, wo Gott hockt, beraten sie uns, wollen sie uns fördern, uns weiterbringen, wenn wir irgendwo nicht genügen sollten. Der saftige Zusammenschiss ist out, ebenso die symbolisch erhöhte Stelle, wie vormals Kanzel, Katheder oder Kommandobrücke, von denen aus direktiv verkündet wurde, wo’s lang geht. Die Hierarchien sind flach geworden, die Untergebenen eingebunden in Teams von grundsätzlich Gleichen, die erwarten, dass jede(r) sich kompetent und engagiert einbringt.
Der Aufstand von 1968 richtete sich nicht zuletzt gegen patriarchale Formen der Machtausübung, und in der Tat, die autoritären Zöpfe sind ab. Doch gerade an den neuen Inszenierungen in der Berufswelt zeigt sich deutlich, was bei der Übertragung der 68er DNA auf der Strecke geblieben ist, nämlich die kritischen Gene, die Gene der Rebellion. Der Wertewandel seit den Siebzigern hat die Individuen ohne Zweifel von autoritären Korsetts befreit und die persönlichen Spielräume um ein Vielfaches erweitert; doch dem Individualismus, der dabei zum Standard wurde, fehlt die scharfe Kante aggressiver Selbstbehauptung. Weil sich die sichtbare Autorität aufgelöst hat, fehlt dem Einzelnen ein Gegenüber, an dem er sich reiben könnte. Die Utopie von 68 wurde tatsächlich in vielem realisiert; dies jedoch auf Kosten ihrer gesellschaftspolitischen Neutralisierung.
Ganz offensichtlich hat sich die Wertematrix von 68 tief in unsere Alltagskultur eingesenkt. Für eine eindeutige Mehrheit reguliert sie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen den Generationen wie auch zwischen den Einzelnen und der Gesellschaft. Der egalitäre und individualistische Impuls, der damals die Bewegung antrieb, triumphiert auf der ganzen Linie, wenn auch gekürzt um die kritische Dimension. In der „Gesellschaft der Singulariäten“ (Andreas Reckwitz) ist das Einmalige, das Einzigartige und Unvergleichliche zum zentralen Orientierungspunkt geworden, zu dem hinstrebt, wer irgend kann. Niemand möchte Durchschnitt sein, keine(r) konfektionierten Mustern entsprechen; das blosse Aufgehen im Grau des Allgemeinen gilt fast schon als sozialer Tod. Doch nicht nur in unseren Alltagswertungen hat 68 seinen Niederschlag hinterlassen; der findet sich durchaus auch in der politischen Landschaft, dort selbst bei Fraktionen, die eine solche Verwandtschaft gewiss als peinlich empfinden und sie, darauf angesprochen, wohl zurückweisen würden.
Grün-rote Linke – die legitimen Erben
Eine direkte Filiation des grossen Aufstands stellt sicher die Umweltbewegung dar; in ihr haben sich ab den siebziger Jahren jene Protestler gesammelt, die sich von der totalen Verweigerung abkehrten und Realpolitik machen wollten. Als Kristallisationskerne fungierten dabei das inzwischen erreichte Mass an Umweltzerstörung, auch der Widerstand gegen die Atomkraft, in Deutschland zudem der Protest gegen die NATO-Nachrüstung.
Tatsächlich steht im grünen Bekenntnis immer noch ganz viel von dem, was damals in Kampfparolen auf den Transparenten gefordert wurde, – mittlerweile natürlich auf rechtsstaatliches Format gemildert. Zentral ist nach wie vor das Umweltthema, das ursprünglich primär der Abgrenzung gegen die linke Sozialdemokratie diente. Ein weiteres Charakteristikum bildet die Absage an die alten Ausschliessungen, die je nachdem moralisch, ethnisch oder national fundiert waren. Geblieben ist auch eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber der Staatsmacht, der man als wachsamer Linker eben auf die Finger zu schauen hat.
In ihren Programmen stehen die Grünen ein für eine offene, demokratische Gesellschaft, das heisst für Gleichstellung, für Toleranz und Integration, letztlich für den unverbrüchlichen Respekt vor jedem einzelnen Individuum. Damit sind sie natürlich nur ein Schrittchen entfernt von der jungsozialistischen Fraktion und bilden denn auch mit dieser zusammen die Antipoden einer Rechten, die den Umbruch von 68 als grosses Unglück beklagt und offiziell der konservativ-bürgerlichen Wertematrix wieder mehr Geltung verschaffen möchte. Weil die grün-rote Linke sich offen zu Grundorientierungen der damaligen Jugendrevolte bekennt, bietet sie sich an als Zielscheibe für Kräfte, die sich einer Revision des Wertewandels verschrieben haben. Aber sie sind schon sehr manierlich geworden, die legitimen Nachfolger von 68; wer ein dominantes Vorkommen der rebellischen Gene sucht, findet das höchstens noch in linksautonomen Szenen.
Die liberalen Kuckuckskinder
Neoliberale oder gar libertäre Haltungen lassen sich mit Sicherheit nicht auf die Rebellion der sechziger Jahre zurückführen; ihre Vertreter berufen sich auf ganz andere – im Übrigen wesentlich ältere – Ahnen: auf Ludwig von Mises (1881–1973) oder Friedrich von Hayek (1899–1992) bzw. allgemein auf die Österreichische Schule, der man diese Ökonomen zurechnet. Und dennoch zeigt sich aktuell eine überraschende Parallele zwischen den liberalen und den linken Denkwelten: Sie besteht in einem antiautoritären Drall, der sich generell gegen verfestigte Ordnungen wie gegen starre Institutionen richtet, allem voran aber gegen den Primat des Ganzen, den beide Seiten verkörpert sehen in der Staatsmacht – wobei die einen mehr den Sozial-, die anderen eher den Ordnungsstaat im Visier haben.
Herrschaft – so das gemeinsame Credo – soll nicht sein; den Individuen steht die grösstmögliche Freiheit bei der persönlichen Glückssuche zu. In der Folge gilt fast jede Beschränkung als illegitim, die eine zentrale Instanz im Namen des Allgemeinen auferlegt: Sperrzeiten für Nachtbars sind da genauso pfui wie Bauvorschriften oder die Transaktionssteuer. „Das Ganze ist das Unwahre“ – so tönte es einst von links (Adorno), doch etwas weniger gestelzt könnte dieses Motto locker auch im liberalen Stammbuch stehen. Wenn es auch keine Vererbung in direkter Linie gibt, es ähneln sich doch die anarchistischen Gene, die sich auf der linken wie auf der liberalen Seite finden.
Eine zweite Konvergenz ergibt sich aus dem Beitrag, welche die post-68er Linken beim grossen gesellschaftlichen Umbau geleistet haben: Sie vor allem portierten kulturliberale Forderungen, zielten somit auf den Abbau von moralischen, aber auch sozialen Schranken, welche letztlich einer Marktöffnung im Wege standen. Die kulturelle Liberalisierung spurte im Grunde der wirtschaftlichen den Weg, das heisst den Weg in jene ebenso individualisierte wie ökonomisierte Gesellschaft, in der wir gegenwärtig leben. Die Standards, die hier gelten, waren zu beträchtlichen Teilen in der rebellischen Wertematrix angelegt.
Doch diese Standards bilden derzeit auch den idealen Resonanzboden für marktliberales Gedankengut. Der entpolitisierte Individualist von heute hat es generell nicht so mit dem Staat und stimmt rasch zu, wenn dieser verschlankt werden soll. So findet der Marktliberalismus Widerhall in einer Öffentlichkeit, die, mehr als sie denkt, von der grossen antiautoritären Revolte geprägt ist. Die neoliberale Vision setzt heute den Trend für Wirtschafts- wie Sozialpolitik. Dieser Erfolg aber verdankt sich dem Umstand, dass ihre Vertreter sich ab den Achtzigern in ein kulturelles Nest setzen konnten, das sie nur zum kleineren Teil selbst gebaut haben.
Jenseits des Widerspruchs
Schliesslich haben wir noch das rechte Lager mit seinem breiten Spektrum vom gediegenen Wertkonservativen bis hin zur Fraktion der Wutbürger. Was hier die unterschiedlichen Strömungen verbindet, ist primär die Ablehnung von 68 sowie die Frontstellung gegen den Wertewandel, den die Bewegung angestossen hat. Diese Öffnung gilt rechts als ein Irrweg, der den Bestand der westlichen Gesellschaften gefährdet. Vor allem die Populisten neigen dazu, jeden Missstand – ob real oder herbeigeredet – aufs Schuldkonto der grossen Revolte zu buchen: Schulversagen, Drogenmissbrauch, Jugendkriminalität, hohe Scheidungsraten, Sozialhilfe-Inflation, jetzt auch noch die Zuwanderung – das alles gäbe es nicht ohne jene fatale Permissivität, die sich im Gefolge der linken Autoritätskritik in der Gesellschaft verbreitet hat. Da liegt die Lösung auf der Hand; sie liegt in schärferen Grenzziehungen, moralischen zuvorderst, aber auch räumliche Scheidungen bilden neustens wieder ein Thema.
An der Oberfläche bestimmt also klar die Distanzierung gegenüber 68 das Bild: Die linksliberale Wertematrix dient als Kontrastfolie, vor der sich die eigene rechte Identität möglichst kantig abheben lässt. Aufrechte bürgerliche Haltung profiliert sich vor dem Zerrbild eines verwaschenen Kulturliberalismus, dem wegen seiner Herkunft noch immer der Ruch des „Sozialistischen“ anhaftet.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn in vielem hat sich die neue Rechte Narrative wie Ausdrucksformen aus dem 68er Nähkörbchen angeeignet: Da ist etwa die Erzählung von der grossen Repression, vom Zwangszusammenhang, der sich jetzt freilich als linksalternativer darstellt. Einmal mehr ist Kampf gegen ein Establishment angesagt, das die Individuen flächendeckender Gleichmacherei unterwirft. Bloss sind an die Stelle von rigider Moral und traditioneller Autorität einfach Gleichstellungsgebote sowie die Spielregeln der Political Correctness getreten.
Statt gegen die Springer Presse geht es jetzt gegen die Medien überhaupt, in erster Linie natürlich gegen staatlich subventionierte, die angeblich links unterwandert seien. Der zünftige Rechte von heute gibt sich nicht mehr als Verteidiger einer althergebrachten Ordnung; da wäre er ja legitim und damit langweilig. Viel lieber tritt er im Gewand des Protestlers auf, um der Öffentlichkeit das Alte von gestern als das Neue von heute verkaufen zu können. Agitprop ist längst bei denen angekommen, gegen die es ursprünglich gerichtet war. Denn auch die Konservativen haben gelernt, wie man durch Provokation mobilisiert.
Wie weit das rechte Denken selbst mit dem Bekämpften kontaminiert ist, das zeigt sich noch ausgeprägter an einem weiteren Charakteristikum: an einer Fordermentalität nämlich, die ständig leicht frustriert daherkommt und in einer Weise um den eigenen Bauchnabel kreist, welche in der Tat an juvenilen Protest erinnert. Die neue Rechte bewegt sich in einem Märchenland. Sie bedient Hoffnungen und Wünsche, die kein Realitätsprinzip mehr auf ihre Vereinbarkeit prüft: Ihre Klientel hätte gern mehr Ordnung und Sicherheit, doch staatliche Bevormundung ist ihr ein Gräuel; sie fürchtet die eigene wirtschaftliche Prekarisierung, will aber nicht an der Marktfreiheit rütteln. Kurz: Sie wünscht sich die Stabilität zurück, die sie früheren Zeiten zuschreibt, ohne die Vorteile der gesellschaftlichen Öffnung anzutasten. Das ist ein Programm der Chimären, und dass den Populisten jeder Sinn für solche Widersprüche fehlt, macht deutlich, wie sehr sie einem Denken der Singularitäten anhängen, in dem Konsequenz als Wert ausgesetzt ist: Wird einmal jeder Wunsch isoliert für sich genommen, dann stört es keinen mehr, wenn das Wunschkonzert im Ganzen die pure Kakaphonie ergibt.
Die Kehrseite
68 war definitiv keine „randständige Episode“ (Reinhard Mohr), keine belanglose Fussnote der Geschichte. Selbstverständlich, das Spektakel der Strassenproteste oder der legendären Open-Air-Konzerte war bald einmal vorbei, und von der wilden Inszenierung der Revolte blieb nicht viel mehr als ein oberflächlicher Habitus zurück. Aber das war ohnehin nur die Schaumkrone. Die Welle selbst drang weit ins Land vor und gestaltete dieses tiefgreifend um. Heute findet sich die DNA von 68 praktisch überall. Sie prägt unsere Lebensgewohnheiten wie unsere Alltagswertungen, und nicht zuletzt wirkt sie sich auch auf aktuelle politische Haltungen aus: über direkte Vererbung bei der Linken, über eine parallele Entsprechung bei den Liberalen sowie durch verleugnete Anlehnungen auf der Seite der Populisten. Praktisch keiner kann behaupten, er sei davon unberührt.
Was da stattfand, war nicht weniger als eine Kulturrevolution, welche in den westlichen Gesellschaften einen ungeheuren Dynamisierungsschub auslöste, und das sowohl auf der kulturellen Ebene wie im Bereich der Wirtschaft. Die letzten fünfzig Jahre zeigen eine Geschichte der Beschleunigungen, in der alte Orientierungen und Bindungen hinweggefegt wurden, wobei sich der Temporausch gerade heute noch einmal deutlich akzentuiert.
Und genau da liegt die Kehrseite der Entwicklung. Denn viele können nicht mithalten und fallen zurück, wirtschaftlich sowieso, aber auch bezüglich der kulturellen Selbstdarstellung werden sie abgehängt. Die Mittelschichtsgesellschaft, einst die amerikanische Antwort auf den Kommunismus, ist in den USA schon seit bald vierzig Jahren ein Auslaufmodell. Mittlerweile erodiert sie – mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten – auch in europäischen Ländern. Die Öffnung innerer wie äusserer Grenzen hat allenthalben den Konkurrenzdruck verschärft, die individualistische Grundhaltung dazu eine Ellbogenmentalität erzeugt, die wenig Rücksicht auf Verlierer nimmt. Als Negativ der grossen Befreiung zeichnen sich so Gesellschaften ab, die sich zunehmend spalten, in denen Schichten, Subkulturen und Szenen auseinanderdriften.
In der „Gesellschaft der Singularitäten“ gibt es einen klaren Grundkonsens; ihm zufolge gilt das Allgemeine als das Falsche. Doch dieses Credo höhlt nicht nur gemeinsame Orientierungen aus, es lässt auch die Bereitschaft zum Ausgleich schwinden. So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht (Margaret Thatcher), jeder ist allein verantwortlich und darum auch sich selbst der Nächste. Bei diesem Spiel allerdings fallen eine ganze Menge Verlierer an, und die sind offenbar immer weniger gewillt, ihre Zurücksetzung hinzunehmen; nicht zuletzt deshalb, weil auch sie durch die individualistische Matrix geprägt wurden. In dieser Matrix ist fast alles enthalten, was an den Autonomieversprechen von 68 systemkonform war. Doch Selbstverwirklichung für alle, das scheint nicht aufzugehen, und so erwächst jenem Grundkonsens zunehmend Widerstand. Diejenigen, die zu kurz kommen, möchten den Verteilkampf eingeschränkt sehen. In der Folge verweigern sie sich dem liberalen Optimismus der Eliten und brüten autoritäre Träume aus.
Grenzen der individuellen Freiheit
Eine Lehre lässt sich mit Sicherheit aus dem Wertewandel ziehen, den die Jugendrevolte der Sechziger angestossen hat: Vorstellungswelten, die scheinbar festgefügt und mit Ewigkeitsanspruch auftreten, können über Nacht zusammenbrechen, wenn sich die Lebensbedingungen ändern.
Jetzt, fünfzig Jahre nach dem wilden Aufruhr, scheint einmal mehr die gültige Werteordnung in die Kritik zu geraten. Den Grund dafür bilden soziale Verwerfungen, zu denen die aktuellen Spielregeln geführt haben. Allerdings zeigt sich ein grundlegender Unterschied zwischen dem Jugendprotest von damals und dem populistischen von heute: Der letzte Wertewandel lag auf einer Linie mit der realen Entwicklung, er nahm die Beschleunigung auf, die von der Wirtschaft angetrieben wurde. Die Korrektur dagegen, welche den Populisten vorschwebt, versucht sich dem Zug der Zeit entgegenzustemmen. Und darum sind schon klare Fragezeichen zu setzen; schliesslich ist nicht anzunehmen, dass sich das „globale Dorf“ nach dem einfachen Muster regionaler Gemeinschaften wird ordnen lassen.
Die Konzepte der Populisten mögen realitätsfremd sein, doch das Aufkommen ihrer Bewegung macht deutlich, dass mittlerweile auch die post-68er Matrix an eine Grenze gestossen sein könnte. Der entfesselte Individualismus, zu dem sie anhält, führt real zu Ausgrenzungen und damit zu Konflikten, welche die Politik lähmen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen. Von einem Ganzen zu träumen, das alles wieder schön unter einen Hut bringt, dürfte abwegig sein. Aber vielleicht lässt sich im Hinblick auf die Zukunft das Modell einer Singularität denken, die nicht nur ausschliesslich um sich selber kreist, eine Individualität, die sensibel ist für andere Individualitäten und überdies bereit, sich im Dienste des Interessenausgleichs auch mal selbst zu beschränken.