Wie eine mächtige, siegreiche Armada haben Hunderte Fischerboote im Hafen von Muncar, einer 65'000 Einwohner zählenden Stadt am äussersten Ende Ostjavas, festgemacht oder liegen in der Bucht auf Reede. Geschäftig balancieren Männer mit wettergegerbten Gesichtern barfuss über schmale Planken schwere Motoren, Ölfässer oder Trinkwasserkanister an Bord. Andere rollen grüne Fangnetze auf, prüfen die weissen, kugelförmigen Bojen oder die Gewichte an den Netzen.
Fische, die nicht ausgewachsen sind
Auf dem Kai hasten zahlreiche, kräftige Frauen mit dem muslimischen Kopftuch oder dem traditionellen konischen Hut geschäftig zwischen Fässern, Körben und Eimern, begutachten den Fang, den die Fischer entladen, werfen das Eis, das ihn bis hierher frisch gehalten hat, zur Seite, graben mit ihren Armen tief in die Fässer und lassen Hände voll der glitzernden Pracht in die bereitgestellten Eimer gleiten, schütten diese in andere Eimer mit frischerem Wasser und wiederholen den Prozess noch einmal, zweimal. Schliesslich richten sie sich zufrieden auf.
Ihre Schätze legen sie wenig später auf dem nahen Markt aus, auf ausgebreiteten Plastikplanen oder auf niedrigen Holzgestellen in rosafarbenen, gelben, weissen, hellblauen Plastikschüsseln: fette, über einen Meter lange Aale, Baronang, Bawal, Tongkol, kaum 30 cm lange Baby-Thunfische, gerade einen halben Meter lange Baby-Haifische und körbeweise Lemuru (Bali Sardinella). Auffallend viele noch nicht ausgewachsene füllen das Angebot.
Den grössten Teil des Fanges aber schütten junge Burschen, die noch nicht hinausfahren, aus den Eimern in hohe Körbe, die sie dann auf Lastwagen zur nahen Fischfabrik bringen, wo der Fang schliesslich zu Fischburger, Fischnuggets oder Konserven verarbeitet wird, Sardinen in Öl, Sardinen in Tomatensauce, Makrelen in Öl, Makrelen in Tomatensauce.
Doch der prächtige Anblick der sauber gestrichenen Boote mit ihren bunten Wimpeln, Fahnen und phantasievollen Schildern hoch oben am Mast mit kunstfertig gemalten Bildnissen von Ehefrauen oder Töchtern des Schiffseigners mit Namen wie „Geschenk Gottes“ oder „leuchtender Kumala“ (Kumala ist ein Stern), von nationalen Symbolen oder von Gottheiten, die vor den Gefahren der See schützen, täuscht. Zahlreiche dieser Schiffe sind seit Wochen nicht mehr ausgelaufen, weil es sich „nicht mehr lohnt“, wie Hartono sagt, ein dunkelhäutiger Madurese, den Wind und Sonne noch dunkler gebrannt haben. „Der hier“, deutet er auf ein schönes, 20 Meter langes Schiff, „der ist schon seit zwei Jahren nicht mehr ausgelaufen, weil es sich nicht mehr lohnt.“ Die Fischfabrik importiert inzwischen einen grossen Teil ihrer Fische aus Japan, und viele Fischer arbeiten heute auf den Kaffee-, Zuckerrohr- und Tabakplantagen in der Umgebung.
Gefährlich fragile Boote
Die Zeiten, als sie sich Häuser aus Ziegelsteinen oder gar richtigem Beton bauen liessen, als ihre Möbel von hervorragenden Schreinern geliefert wurden und die geräumige Eingangshalle von einem prächtigen Kristalllüster taghell erleuchtet wurde, sind längst vorbei. Am Rande des Fischmarkts wartet Darvina auf Käufer. Darvinas Mann ist Fischer, aber sie verkauft keine Fische. Auf dem Tischchen vor ihr, das ebenfalls im Angebot ist, hat sie ihren Schmuck ausgebreitet, ein paar Ohrringe mit hellem Quartz, einige Armreife aus Gold. „Der hier“, hält sie einen dem potentiellen Käufer entgegen, „hat 14 Karat, die anderen haben nur 8 Karat.“ Einen Smaragd, den ihr Mann vor Jahren aus Kalimantan mitgebracht hatte, hat sie mit der Hilfe des Lehrers ihres Sohnes im Internet versteigert.
Früher, ja, da hätten sie in den Gewässern um Bali, Lombok und Flores 200 Kilo schwere Haie gefangen, in Kalimantan die etwas kleineren Kejang (eine Haifisch-Art von 50 bis 60 Kilogramm Gewicht), bestätigt Hadschi Ahmad. „Heute bringen sie meist nur Sanget“ (ein Hai, der nur 3-4 Kilo gross wird). Zudem ist keine Fangsaison, Haie finden sie hier in der Bali Strait nur in den Monaten von Juli bis Dezember, und auch in dieser Zeit immer weniger. Ausserhalb der Saison müssen die Fischer in ihren zwar farbenprächtigen, aber für derart weite Fahrten gefährlich fragil wirkenden Booten bis Kalimantan, Sulawesi, Papua oder vor die australische Küste fahren.
Hadschi Ahmad kauft die Haifische auf, die er nach Tuban schickt, wo sie getrocknet und dann auf dem Markt verkauft werden. Die Flossen werden zuvor getrennt und an Händler in Tanjung Perak, dem Hafen von Surabaya verkauft, die sie nach Singapur, Taiwan, China und Japan exportieren. Das Fleisch wird zu Steaks oder Sate verarbeitet; die Haut, getrocknet und in Öl gebraten, als krupuk (cracker) verkauft. Sogar die Knochen finden ihre Abnehmer. Die Sanget eigneten sich hauptsächlich zur Ölproduktion, „aus zwei Sanget wird etwa ein Liter Öl gewonnen“, erklärt Hadschi Ahmad.
Vor einer Woche hatte er drei weisse Haie gekauft, die zusammen 250 Kilo gewogen hatten. Davor hatten ein paar Teams nach 15 Tagen auf See mit zwei Tonnen Kejang im Hafen festgemacht. Ein Hai von eineinhalb Metern Länge mit Flossen von 30 bis 40 Zentimeter Höhe und einem Gesamtgewicht von etwa 100 Kilo kostet zwei Millionen Rupiah (circa € 180). In Banyuwangi, der Bezirkshauptstadt, kann er ein Kilo Haifischfleisch für 90'000 Rupiah verkaufen, zumeist an Restaurants. Die Knochen bringen 35'000 das Kilo. Die Flossen sind das Wertvollste. Ein Kilo Flossen vom schwarzen oder vom weissen Hai bringt 1,2 Millionen Rupiah, schon getrocknete Flossen bringen sogar bis zu zwei Millionen Rupiah pro Kilo. Aber „erst wenn ich 50 Kilogramm Haifischflossen gekauft habe, schicke ich sie nach Tanjung Perak.“ In Hongkongs edlem Sun Tung Lok Restaurant kostet eine Schale Haifischflossensuppe leicht über HK$ 5000 (450 €).
Hochtechnisierte Fangflotten
Tatsächlich haben die Fischer von Banyuwangi und Muncar mit ihren schmucken, aber kleinen Schiffen und ihren veralteten Fangmethoden keine Chance gegen die hochtechnisierten Fangflotten aus China oder Thailand, die mit Sonargeräten und GPS ausgerüstet sind und denen Flugzeuge die Positionen von Fischschwärmen funken. Diese Flotten operieren bis zu drei Monate lang in den indonesischen Gewässern. Ihren Fang liefern sie regelmässig bei einem ihrer „supermodernen Tramper“ ab, wie Teuku Ali erklärt, der wie Hadschi Ahmad Fische aufkauft. So nennen sie hier einen Frachter, in dessen „Kühllasten du riesige Mengen Fisch stauen kannst“. Das sei „alles illegal“, behauptet er, „die dürfen hier gar nicht fangen.“ Die Chinesen und Thais würden die Offiziere der Patrouillenboote der indonesischen Marine einfach bestechen, so dass sie „ungestört unsere Meere leerfischen“ können.
Indonesien ist das einzige Land, dem das internationale Recht die Hoheit über alle von seinen 17'000 Inseln eingeschlossenen Meere einräumt. Während Indonesiens Landmasse 1,9 Millionen qkm ausmacht, bedecken Indonesiens Meere eine Fläche von 2,7 qkm. Die indonesischen Gesetze verlangen, dass in heimischen Gewässern gefangene Fische vor dem Export in einer lokalen Fabrik an Land verarbeitet werden.
Chinesische Kriegsschiffe
In Indonesien, dem Land der unbegrenzten Korruption, ist es allerdings nicht sonderlich schwierig, gegen ein wenig Bakschisch im Fischereiministerium in Jakarta eine Fanglizenz zu bekommen, auch wenn der Lizenznehmer nicht die geringste Absicht hat, seinen Fang in einer indonesischen Fabrik verarbeiten zu lassen. Der Fischer bringt seinen Fang einfach zu einem Tramper, der sich zumeist in sicheren, internationalen Gewässern aufhält. So umgeht er nicht nur sämtliche Fangvorschriften sondern auch den Zoll.
Kriminelle Organisationen haben die Fischgründe unter sich aufgeteilt. Bei den indonesischen Behörden sind die chinesischen und die siamesischen besonders berüchtigt. Die Thais operieren vor allem im Südchinesischen Meer, die Filipinos in der Celebessee und die Chinesen in der Banda- und Arafurasee. Seit zwei Jahren haben die Thais gelegentlich Probleme mit chinesischen Kriegsschiffen, die in letzter Zeit verstärkt im Südchinesischen Meer operieren, vor allem in der Nähe der von China, Malaysia, den Philippinen, Taiwan sowie Vietnam beanspruchten Spratly Islands und den zwischen China und Vietnam umstrittenen Paracelsus Islands.
Wilde Seegefechte
Seither wilderten die Thais auch in der Java- und besonders in der Arafurasee mit ihren reichen Fischgründen. Gelegentlich kam es darum zu blutigen Fischereikriegen zwischen den Syndikaten. „Da fanden wilde Seegefechte statt“, weiss Teuku Ali. Dabei geht es um immense Beträge. Regelmässig klagt das Ministerium für maritime Angelegenheiten und Fischerei in Jakarta, dass die jährlichen Verluste infolge des illegalen Fischfangs über drei Milliarden Dollar ausmachten. Damit lagen die Verluste gleichauf mit dem Bruttowert der Produktion der gesamten Fischindustrie des Landes, der sich 2004 nach Angaben der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) auf 3,13 Milliarden Dollar belief.
Die Fischer hier sind schon froh, wenn ihr Fang wenigstens etwas Gewinn abwirft, nur zu häufig bringt er nicht einmal die Kosten für die Ausfahrt ein. „Der spinnt“, meint Hadschi Ahmad und deutet zu einem flotten 12 Meter Schiff, das mit zwei Aussenbordmotoren ausgerüstet ist. „Der setzt fünf Millionen auf ein unkalkulierbares Unterfangen.“ Doch Hendarman will es heute Nacht wieder versuchen. 50 Mann bilden die Besatzungen der beiden Schwesterschiffe, die im Team fangen: Finden sie einen Schwarm, fährt das zweite Schiff mit dem Ringnetz, das zehn Meter in die Tiefe reicht, einen grossen Kreis. Sobald er geschlossen ist, ziehen sie das Netz immer enger und holen die darin gefangenen Fische ein. So zumindest hofft Hendarman.
Er hat für diese Ausfahrt fünf Millionen Rupiah investiert. Die Schiffe gehören ihm nicht, er ist nur der Kapitän. Sein Vertrag besagt, dass er die Hälfte des Fanges dem Schiffseigner liefern muss. Bringt er also einen Fang ein, den er für zehn Millionen Rupiah verkaufen kann, haben er und die beiden Bootsbesatzungen noch nicht einen Cent verdient. „Was der macht, ist Roulette“, schüttelt Hadschi Ahmad den Kopf und wendet sich wieder seinem Kartenspiel mit klügeren, weniger risikofreudigen Fischern zu.