„Gratuliere zu Ihren Träumen. Gute Reise“, schrieb Richard Wagner.
Sehr gross kann die Zustimmung des Meisters nicht gewesen sein. „Wir hören, dass zahlreiche Leute gehen, dass Eltern ihm ihre Söhne anvertrauen. Das beunruhigt R. doch sehr, da er kein grosses Vertrauen in ihn hat“, notierte Wagners Frau Cosima etwa zur selben Zeit.
"Stiefvaterland"
Glückwunsch und Misstrauen gingen an Bernhard Förster, glühender Wagnerianer und Ehemann von Nietzsches Schwester Elisabeth, der nur wenig später von Hamburg nach Paraguay aufbrechen sollte, um dort sein „Neu-Germania“ vorzubereiten. Es war die Zeit, in der die Deutschen von einer Art Kolonialfieber erfasst waren. Zu Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren bereits einige Hunderttausend Deutsche nach Lateinamerika emigriert, nach Brasilien, Argentinien oder Chile, aber auch nach Mexiko, Guatemala und Nicaragua. Der arbeitslose Lehrer Förster jedoch wollte nicht einfach auswandern. Er wollte ein neues, judenreines Vaterland schaffen, ein Spiegelbild des alten Deutschland, das infolge der üblen Einflüsse des Judentums zu einem „Stiefvaterland“ degeneriert war.
Zwei Jahre bereiste Bernhard Förster Paraguay und notierte alles, was eventuell von Interesse für zukünftige deutsche Siedler sein könnte: Pflanzen, Tiere, Flussläufe oder wie Maniokplantagen anzulegen seien. Über seine Beobachtungen und Erfahrungen schrieb Förster ein Buch „Deutsche Kolonien in dem oberen Laplata Gebiete mit besonderer Berücksichtigung von Paraguay“, das sich wie eine Werbebroschüre für seine Kolonie liest, angereichert mit Vorurteilen, Antisemitismus und Rassismus. In "Zur Genealogie der Moral" nannte Försters Schwager Friedrich Nietzsche eine solche Einstellung „Sklavenmoral“, die "zu allem, das fremd ist, verschieden, Nein sagt".
Antisemitismus und Paraguay
Nach seiner Rückkehr heirateten Bernhard und Elisabeth in Naumburg am 22. Mai 1885, Richard Wagners Geburtstag. Der Tag „möge die Herzen zweier Menschen binden, die unentwirrbar verflochten sind, nicht nur durch die Natur sondern auch durch den gemeinsamen Geist Richard Wagners“, schrieb Bernhard Förster an seinem Hochzeitstag. Nietzsche lehnte es ab, den Brautführer zu spielen oder auch nur an der Zeremonie teilzunehmen. Er fuhr stattdessen zu einem Picknick an den Lido. Anschliessend ging das Paar auf Deutschlandtournee, um vor Wagner-Gesellschaften, Kolonialvereinen und in Bierhallen arische Siedler anzuwerben, um, wie Nietzsche schrieb, „zwei Pferde zu reiten, den Antisemitismus und Paraguay“.
Der Erfolg war weniger als bescheiden. Ganze 14, verarmte, rassistische oder auch nur gutgläubige „arische“ Familien schifften sich am 15. Februar 1886 in Hamburg auf dem Dampfschiff „Uruguay“ mit ihnen ein. Mit dem schlechten Klima, seiner Seekrankheit, dem Mangel an Bibliotheken und einem allgemeinen Unwohlsein begründete Nietzsche seine Ablehnung, sich den arischen Pionieren anzuschliessen. Während er einerseits unter Elisabeths Abreise litt, äusserte er sich froh über Bernhard Försters Abfahrt. Er hoffe, alle anderen antisemitischen Agitatoren würden diesem Beispiel folgen, spottete er.
Auf briefliche Bitten um Unterstützung antwortete Nietzsche seiner in Paraguay in finanzielle Nöte geratenen Schwester: „Oh, mein gutes Llama, wie konntest Du nur in ein solches Missgeschick geraten... Aber wie ich meine Schwester kenne, würde sie lieber sterben, als ihr Projekt im Stich zu lassen. Aber das ist nietzscheanisch.“ Nach vielen Schwierigkeiten konnte das Paar im März 1888 sein Anwesen „Försterhof“ in Försterrode, wie es die zukünftige Hauptstadt Neu-Germanias nannte, eröffnen. Einheimische brachten Blumen und Gedichte dar. „Herr Enzweiler hielt eine Willkommensrede, hob sein Glas und rief 'Lang lebe die Mutter der Kolonie', was mein Herz erfreute... Begleitet von den Klängen des 'Deutschland, Deutschland über alles' fuhren und ritten wir zu unserem Haus“, schrieb Elisabeth an ihre Mutter. Das Gebäude sei „gross mit hohen Decken, geräumig und kühl. Du machst Dir keine Vorstellung, wie heiss es hier ist. Wir besitzen ein herrliches Anwesen.“
Komfort und Lehmhütten
Weil ihr Vertrag mit der Regierung in Asunción nur Gültigkeit erhielt, wenn die Siedlung von mindestens 140 deutschen Familien bewohnt würde, bombardierte Elisabeth Deutschland mit zahlreichen Pamphleten über den guten Fortschritt, den die Kolonie mache. Doch die Elegien von „einem gesunden Klima, billigem Essen und einer netten Umgebung“ waren pure Phantasie. Das Klima war alles andere als gesund, die Hitze wurde nur gelegentlich unterbrochen von Regengüssen, die dann die Strasse überschwemmten, die Zäune umwarfen, durch die Strohdächer flossen, reisen und arbeiten unmöglich machten und Schwärme fetter Malariamoskitos produzierten. Sandfliegen bohrten sich in die Füsse, die Erde war hart und unfruchtbar.
Zwar lebten die Försters im gewohnten Komfort, Elisabeth hatte all ihre Möbel und sogar das Piano mitgebracht, doch die meisten der Siedler lebten auch zwei Jahre nach ihrer Ankunft immer noch in primitiven Lehmhütten, auf einem tieferen Standard als selbst der niederste Bauer in Deutschland, wie der spätere Zuwanderer Julius Klingbeil aus Antwerpen schon kurz nach seiner Ankunft feststellte. Die einheimischen Peone und Diener waren nicht fleissig genug, was zu Streitereien und sogar Schlägereien zwischen den „Ariern“ und den Einheimischen führte. Zwar behauptete Bernhard Förster, inzwischen seien ein Bäcker, ein Schuhmacher, drei Schreiner, zwei Schmiede und ein Sägewerksbesitzer zu der Kolonie gestossen. Doch gleichzeitig musste er eingestehen, dass einige der ursprünglichen Siedler schon sehr bald nach ihrer Ankunft zu fruchtbareren Böden in Argentinien abgereist waren. Etliche widersetzten sich Elisabeths Diktat und heirateten einheimische Frauen. Den Genuss von Fleisch brandmarkte die angeblich eingefleischte Vegetarierin Elisabeth als Fehler, „weil es das Blut erhitzt, was in diesem Land vermieden werden muss.“
Doch während sich die Siedler an dieses Prinzip hielten und von Bohnen, Mais oder Reis lebten, assen die Försters ungeniert Fleisch. Milch und Käse gab es im einzigen Laden der Kolonie, der natürlich den Försters gehörte. Tatsächlich hatte das Paar jede Art von Handel in der Kolonie monopolisiert, um das Eindringen kapitalistischer „jüdischer Bräuche“ zu verhindern. Alkohol war ebenfalls verpönt unter Elisabeths striktem Regiment. Aber das einheimische Caña, ein hochprozentiger Zuckerrohrschnaps, drohte den strikten Moralcode, den sie unter ihren Siedlern durchsetzte, zu unterlaufen. Während der ersten zwei Jahre kamen 40 Familien in Neu-Germania an. Aber ein Viertel davon war bis 1888 schon wieder abgereist.
Nietzsches Spott und Wahnsinn
Langsam sickerte die Wahrheit über das neue Vaterland in Paraguay durch nach Deutschland. „Die Dinge sind so schlecht in Paraguay, wie sie nur sein können. Die Deutschen, die dorthin gelockt wurden, rebellieren und fordern ihr Geld zurück - und da ist keines mehr“, schrieb Nietzsche mit unverhohlener Häme. Als Klingbeil nach Deutschland zurückkehrte, löste er mit einem Enthüllungsbuch einen Sturm aus. Es war der Anfang vom Ende des ganzen Projektes. Mäzene distanzierten sich, erwartete Gelder blieben aus, Bernhard Förster begann zu trinken. Zwar wehrte sich Elisabeth in langen Traktaten und Briefen vehement gegen die Vorwürfe, Neu-Germania sei eine Lüge, die Försters seien Betrüger.
Doch mittlerweile bahnte sich 5000 Meilen entfernt eine andere Katastrophe an. Elisabeths geliebter Bruder Friedrich versank zunehmend in Wahnvorstellungen. Er habe eine Versammlung von Prinzen nach Rom einberufen, schrieb der Philosoph seinem gleichfalls in den Wahnsinn abdriftenden Briefpartner August Strindberg, „ich wünsche, dass der junge Kaiser erschossen wird.“ Und wenig später: „Ich habe gerade mein Königreich erobert und werfe den Papst ins Gefängnis und lasse Wilhelm, Bismarck und Stöcker (ein Freund Försters) erschiessen.“ Als sein Freund Franz Overbeck einen Brief erhielt, er habe „gerade alle Antisemiten erschiessen lassen“, holte ihn dieser aus Turin nach Hause zurück.
Schockiert von den Nachrichten, die sie aus der Heimat erreichten, schrieb Elisabeth an ihre Mutter von Rückkehr aus Paraguay - wenn sie nur das Geld dazu hätte. Und an ihren Mann Bernhard, der sich seit Monaten nur noch im Hotel del Lago in San Bernardino, der deutschen Kolonie bei Asunción, aufhielt: „Ich bin so einsam, ich wünschte, Du kämst nun zurück... Alles wird sich zum Besseren wenden.“ Einen Monat später fand ein Zimmermädchen Förster tot in seinem Hotelzimmer. Er hatte sich mit einem Gemisch aus Strychnin und Morphium vergiftet.
Angesichts des Schuldenberges verkaufte Elisabeth Neu-Germania an eine eiligst gebildete Gesellschaft von Geschäftsleuten. Ende 1890 reiste Elisabeth ab in Richtung Deutschland. Bis zu ihrer geplanten Rückkehr sollte Oskar Erck das Unternehmen als Verwalter leiten.
Scheitern und Ende
Nachdem sie die Aufbereitung des Nachlasses ihres Bruders in die Wege geleitet hatte, kehrte Elisabeth im August 1892 nach Neu-Germania zurück. Doch auch diesmal sollte sie mit ihrem Projekt glücklos bleiben. Während Elisabeth immer noch vom Sieg über den Urwald berichtete, zogen die Kolonisten einer nach dem andern ab. „Die Jubelbriefe, die Sie erhalten, sind alle falsch“, schrieb ein Siedler (Walter Glitza) an einen Mäzen. „Es gibt nicht einen einzigen Kolonisten, der mit seinem Los zufrieden ist. Und wer kann ihnen einen Vorwurf machen, denn das Leben hier ist elend.“ Ein Jahr später verkaufte Elisabeth Förster schliesslich ihr Haus und Land und kehrte endgültig nach Deutschland zurück: „Ich muss nun Lebwohl zu meinen kolonialen Angelegenheiten sagen... Eine andere grosse Lebensaufgabe beansprucht nun meine ganze Zeit und Energie: Die Pflege meines lieben Bruders und den Schutz und die Beschreibung seines Lebens und Denkens.“ - Sie begann mit ihrer Arbeit an einer der grössten Fälschungen in der Geschichte der Philosophie, die sie zu einer Kultfigur des Nationalsozialismus machte.
Ihre Unterstützung der Nazis brachte der inzwischen alten Dame persönlichen und materiellen Wohlstand. „Der Reichskanzler fühlt sich verpflichtet, Ihre grossen Verdienste um den Erhalt und die Verbreitung des Lebenswerks Ihres Bruders anzuerkennen und gewährt Ihnen darum ein lebenslanges Ehrenstipendium von 300 Reichsmark im Monat“, schrieb ihr des Führers Sekretär Anfang 1934. Am 8. Oktober 1935 schliesslich verstarb Elisabeth Förster-Nietzsche, wie sie sich seit ihrer Rückkehr aus Paraguay genannt hatte, in Weimar. Drei Tage später wurde sie in einem Staatsbegräbnis, dem Hitler, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel und zahlreiche andere Nazigrössen beiwohnten, beigesetzt.
Nazis und Revolutionen
Neu-Germania existierte zwar immer noch, befand sich jedoch in einem „erbärmlichen Zustand“. Um die Erinnerung an Deutschland wachzuhalten, sangen die Kolonisten - inzwischen in der Mehrzahl Nachkommen der ersten Siedler - alte Volkslieder, hissten die preussische Flagge, die Kinder sprachen nur deutsch. Die neuen Lehren aus dem deutschen Reich kamen gut an. Paraguay konnte sich der ersten Nazipartei in Südamerika rühmen, gegründet 1932. Sie wurde als letzte erst 1946 aufgelöst. Nur zögerlich hatte die Regierung in Asunción Hitler den Krieg erklärt - drei Monate vor dem Sieg der Alliierten. Auf Hitlers Geheiss erreichte ein grosses Paket voll deutscher Erde San Bernardino, die über Bernhard Försters Grab verstreut wurde.
Einst hatte Elisabeth Förster von der Eisenbahn geschwärmt, „die Neu-Germanien bald mit der Hauptstadt verbinden“ würde. Doch sie wurde nie gebaut. Heute, über 100 Jahre später, führt eine asphaltierte Straße in die ehemalige arische Kolonie, in der die meisten Ansässigen Guaraní sprechen, das Idiom der Einheimischen. 400 der 4000 Einwohner Nuevo Germanias sind deutschstämmig. Nur noch einige wenige Überreste stehen vom einstigen „Försterhof“, auf dessen Fliessen sich heute Schweine suhlen. Ein Blechschild erinnert an die einstige Besitzerin: "Luisa N. de Forster". 1947 noch hatte das Haus den aufständischen Blancos (die Liberalen) in einer der vielen Revolutionen Paraguays als Hauptquartier gedient, ehe sie von den Colorados (die Konservativen) nach einem zähen Gefecht wieder vertrieben wurden, nicht ohne Möbel, Bilder und Geschirr mitzunehmen. „Menschen, die wir seit Jahren kannten, unsere Nachbarn, alles Paraguayer, kamen einfach und nahmen alles mit“, erzählt Magdalena Fischer heute im nahegelegenen Tacaruty, die sich damals, während der Gefechte mit den Anderen im Wald versteckt hatte.
Eine Handvoll „reiner“ Deutscher
Sie bedauerte, keine deutschen Ehepartner für ihre Kinder gefunden zu haben, aber es gab nicht genug. Darum hatte sie den Nachwuchs flussabwärts zu einer Mennoniten-Siedlung geschickt, „um weiße Partner zu finden: Wir sterben aus, die reinen Deutschen." Bis zur Revolution (1947) habe „kein Deutscher eine Paraguayerin geheiratet, jetzt aber gehen einige andere Wege.“
Dann ist da noch Hermann Stern, dessen Großvater sich als 17Jähriger den Försters angeschlossen hatte. In den achtziger Jahren war ein gewisser Friedrich Ilg in Neu-Germania aufgetaucht, der Stern bezichtigte, ein Jude zu sein. Er glaubt, dass Ilg tatsächlich Dr. Josef Mengele war.
Magdalena Fischer widerspricht: „Ilg war ein Nazi, gut. Aber er war nicht Mengele. Mengele war kleiner und hatte eine Lücke zwischen seinen vorderen Schneidezähnen. Er war 1959 oder 1960 hier.“ Jeder in Neu-Germania hat seine eigene Mengele-Geschichte.
Falsche Versprechungen
Von den ursprünglichen 14 Familien leben immer noch sieben oder acht in der Gegend: die Fischers, Schuberts, Sterns, Schüttes, Kükes, die Schweinhardts. Sie erinnern sich noch an die alten Erzählungen. Ja, Bernhard hätte ihre Vorfahren mit falschen Versprechungen hierher gelockt. Darum hätten sie ihn verprügeln wollen, aber dann habe er sich zuvor umgebracht. Elisabeth sei anders gewesen, „eine tapfere und schöne Frau“.
Bis heute haben sie es nicht weiter gebracht. Sie sind immer noch einfache Bauern, ärmer sogar als ihre Vorfahren. Ihre Felder sind säuberlich angelegt, aber erbärmlich klein. Wie die Einheimischen haben auch sie sich an den Yerba Mate, den heimischen alkoholischen Tee, gewöhnt. Zwar weigert sich der Pastor heute, Paare zu verehelichen, die verwandt sind. Doch inzwischen, in der vierten und fünften Generation, sind ihre Gene dermassen ineinander verstrickt, dass kaum noch jemand weiss, wer mit wem verwandt ist. Sie ähneln sich alle, hier ein schlaffes Kinn, dort ein herunter hängendes Augenlid, andere sind geistig zurückgeblieben: Eine Handvoll alter „reiner“ deutscher Familien, die von ihrem schwindenden genetischen Kapital leben.
Zwar pflegen sie immer noch ihre rassistischen Vorurteile, dass Paraguayer faul seien, keine Disziplin kennten. Doch in der Abwesenheit von Juden ist der einstige Antisemitismus erstorben, und die anderen motivierenden Prinzipien Elisabeth Försters sind zu bedeutungslosen Idealen verkommen. „Wir essen nur Gemüse“, erzählt Magda Fischer stolz, „die Paraguayer essen nur Fleisch.“ Aber sie kann sich nicht erinnern, warum sie nur Gemüse essen. Sie klammern sich an ihre deutsche Sprache und ihre lutherische Religion wie an ein Rettungsfloss: Der kümmerliche Rest des einst als neues, reines deutsches Vaterland geplanten Projektes.