Von Daniel Woker
Ob Libero, CH-in-Europa.ch, Nomes oder Club Helvetique: Was zählt, sind aktiver Widerstand und fundierter Gegenstoss angesichts der rechtsnationalen Rumpelstilzchen und der politischen Euroangsthasen, welche die Diskussion um das schweizerische Verhältnis zu Europa bislang dominierten.
Weder bloss europhil noch naiv enthusiatisch sind jene Schweizer, die wissen und belegen können, dass unser Land nur mit, und in Europa überlebensfähig ist.
Negative Folgen
Eurorealisten sind sie vielmehr , da sie - offensichtlich wie eine Mehrheit aller Schweizer - wissen, was für eine Katastrophe der Wegfall der Bilateralen für die Schweiz wäre. Wie negativ für die schweizerische Wirtschaft sich ein Rückfall in alte Zoll- und Handelsregime innerhalb unseres Hauptmarktes Europa auswirken würde.
Sie realisieren, dass die Zugehörigkeit zu Schengen der Schweiz (europaweiter Markt) und den Schweizern (europaweiter Freiraum) grosse Vorteile bringt. Dass das Jahrzehnteproblem Immigration in und nach Europa nur im europäischen Verbund und nicht im nationalen Alleingang einigermassen in den Griff zu bekommen ist.
Dass der Euro längst zum schweizerischen Parallelgeld geworden ist - mit festemWechselkurs und als Präferenzwährung der Exportwirtschaft und des Tourismus.
Fortschritte und Rückschritte
Dass die Schweiz im 21. asiatisch geprägten Jahrhundert nur als Teil von Europa an grossen globalen Entscheiden aktiv teilhaben kann, welche auch, und gerade uns als mittelgrossen, auf internationalen Verkehr in allen Bereichen angewiesenen Staat betreffen.
Eurorealisten eben, wie viele in der Schweiz in einer nicht weit zurückliegenden Vergangenheit. So etwa der schweizerische Bundesrat, als er 1990 das Beitrittsgesuch in Brüssel deponierte. Und auch die damalige Freisinnige Partei der Schweiz, welche den EU-Beitritt in ihrem Programm verankerte.
Was ist seither geschehen? Sicher, der Weg zur europäischen Einheit ist lang, schwierig und ein Auf und Ab von Fortschritten: Bildung der Europäischen Union; Schaffung einer Einheitswährung; Einleitung einer Fiskal- und Bankenunion. Dazu kommen Rückschritte: zäher Demokratiefortschritt der Union; Eurokrise; nationalistischer Vormarsch in Teilen von Osteuropa (Ungarn!), Grossbritannien, Frankreich und anderen Schlüsselländern der Union.
Vereinfachung, nicht Bürokratie
Aber die drei Säulen der europäischen Einigung stehen und sind solide verankert. Europa als Friedensprojekt, zu Recht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, ist ebenso historisch relevant (deutsch-französische Einigung, Einfügung von Grossbritannien in Europa) als auch noch heute von grosser Bedeutung (Verankerung von Rechtsstaat und Menschenrechten in vor kurzem noch totalitären Staaten Osteuropas).
Europa als Plattform von Zusammenarbeit angesichts von Herausforderungen welche offensichtlich nur gemeinsam angegangen werden können, wie die bereits erwähnte Immigration. Zusammenarbeit auch bei der Vereinheitlichung von 28 - mit den EU-Aussenseitern Schweiz, Norwegen und Island 31 - Regeln welche von Lebensmitteln zum Transport gefährlicher Stoffe reichen. Dies ist nicht Bürokratie sondern bedeutet im Gegenteil Vereinfachung und besserer Schutz jedes einzelnen Europäers.
Die Kleinheit Europas
Die EU schliesslich als Vertretung von Europa am globalen Präsidialtisch. Im Zeitalter der Verschiebung der stategischen Gewichte vom Nordatlantik in den Grossraum Asien-Pazifik droht unsere Kontinent, mit 2% der Erdoberfläche und unter 5% fallendem Anteil an der Weltbevölkerung zum Anhängsel der asiatischen Landmasse zu werden. Bereits in mittelfristiger Zukunft wird allein die EU, als weiterhin grösste Wirtschaftsmacht der Welt europäische Interessen, und auch europäische Wertvorstellungen, mit genügend Gewicht und evidenter Tiefe global glaubwürdig ver treten können.
Das real existierende Europa ist indes nur zu einem kleinen Teil verantwortlich für Angst, Unwissen, Ignoranz und Herablassung gegenüber der EU, welche das Europaverständnis von vielen, zu vielen Schweizern prägt. Primär verantwortlich ist eine seit rund 25 Jahren laufende Kampagne, geführt vom Grossmaul aus Herrliberg und den Milliardenvermögen eines kleinen Kreises innerhalb der SVP, welche mit gleichgeschalteten Kohorten zunächst die knappe ablehnde Mehrheit anlässlich der EWR-Abstimmung gekauft hatten, dann immer weitergehendere Initiativen, allesamt xenophoben und europafeinfeindlichen Inhalts lancierten und finanzierten.
Ihren Höhepunkt erreichte diese Kampagne mit der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014, welche das für Europa fundamentale Prinzip der Freizügigkeit aushebelt. Ähnliche Angriffe auf schweizerische Grundwerte, wie den Vorrang von gültigem Völkerrecht vor neuem nationalem Recht sind bereits angekündigt.
Gefährlicher Nationalkonservatismus
Ja, die Mehrheit in unserer direkten Demokratie hat immer Recht, manchmal aber täuscht sich ‘das Volk’, was dann anlässlich weiterer Abstimmungen korrigiert werden muss. So passiert in zahlreichen Beispielen von der Sommerzeit bis zum Frauenstimmrecht. Es ist zu erwarten, dass auch die im aktuellen Europa der Freizügigkeit schlechthin unmögliche Neukontingetierung der europäischen Binnenwanderung durch die Schweiz mit einer Volksabstimmung korrigiert werden wird.
Gefährlich ist nicht nur die direkte Einwirkung der Nationalkonservativen auf die schweizerische Politik. Potentiell schlimmer ist der Versuch der erwähnten Kleingruppe, meinungsmachende Medien aufzukaufen und in ‘their master’s voice’ umzufunktionieren. So geschehen mit der ‘Weltwoche’, der ‘Basler Zeitung’ und Zürcher Regional-TVs; Angriffe auf die NZZ sind belegt.
Unsägliche Diskussionen
Höchste Zeit also, für jene die sich über den in der Europapolitik speziell evidenten Rechtsrutsch in der Schweiz Sorgen machen, aus Berufsleben, Ruhestand und Studium heraus, und in die politische Arena hinein zu steigen.
Höchste Zeit, wie sich anlässlich einer kürzlichen SRG-Areana zeigte, als allein der Europakenner Thomas Cottier und, ausgerechnet, BDP-Präsident Landolt mutig genug waren, zwingende europäische Pflichten auch der Schweiz, damit die Unsinnigkeit der Masseneinwanderungsinitiative, klar darzustellen. Ausgerechnet Landolt, oder vielleicht auch gerade Landolt, der als Präsident einer von der SVP abgespaltenen Partei deren innerparteiliche Mechanism genau kennt. Welche er, zusammen mit SP-Präsident Levrat, ja auch als braunem Gedankengut nahestehend bezeichnet hat.
Gegenpositionen
Wie der ehemalige TA-Redaktor Jürg Schoch in dieser Zeitung aufgezeigt hat, bedeutet dies nicht, dass die SVP eine faschistische Organisation ist, wohl aber teilweise faschistoides Gedankengut vertritt und sich entsprechender Methoden bedient.
Höchste Zeit auch, weil sich anlässlich der genannten ‘Arena’ zeigte, wie stark sich auch aufrechte Mittepolitiker zumindest in der Europapolitik in die Rolle des von der Schlange gelähmten Kaninchens haben hineindrängen lassen. So nachgewiesen vom scharfsinnigen Analysten der Schweizerseele Daniel Binswanger im TA-Magazin, der meisgelesenen seriösen Publikation der Schweiz.
Die eingangs genannten Vereinigungen von Eurorealisten - Club Helvetique, Operation Libero, CH-in-Europa, Nomes, (Darlegung der Intressenbindung: der Schreibende ist Mitglied rsp. Unterzeichner von allen 4) - bilden ein heterogens Ganzes und sind sich, auch intern nicht immer einig genau wann, was und wie vorgeschlagen werden soll: Absoluter Vorgang der Bilateralen, EU-Beitrit erwähnen und wenn ja wann, Fokussierung auf Europa oder weiterer Winkel auf eine global offene Schweiz.
Rechtsnationale Gefilde
Einig sind sie sich indes, dass mit der am 9.2. 2014 erfolgten Einschränkung der Freizügigkeit eine Grenze überschritten worden ist. Dass der aussenpolitische und speziell der europapolitische Diskurs der politischen Schweiz sich in gefährlich rechtsnationale Gefilde hat abdrängen lassen. Darum treten sie an.
Auf das an dieser Stelle zweifellos einsetzende Geheul der Europhobiker von einer europhilen und abgehobenen Elite, welche am Volk vorbei politisiert, kann mit einem simplen Satz geantwortet werden: Wer, wenn nicht die europhobe Rechte, wird wohl von einer Elite dirigiert? Einem kleinsten Kreis von Geldgebern und den nationalistischen Flötenklängen eines einzigen Rattenfängers von Herrliberg nämlich.