Frühling 1990. Schweizerinnen besassen seit neunzehn Jahren das Stimm- und Wahlrecht. Schon oft hatten wir Frauen unsere staatsbürgerlichen Pflichten freudig erfüllt und noch immer etwas skeptischen alten Männern unsere Stimmzettel überreicht. Manchmal vergällten wir sogar unseren Männern den Sonntag und lockten sie nur dank dem Versprechen anschliessender «Gipfeli» zum Stimmlokal im nächstgelegenen Schulhaus. Damals kannten wir die Abstimmung per Post noch nicht. Kindern erzählten die Mamis, dass sie lange für dieses Recht gekämpft hätten und dass deshalb alle abstimmen müssten.
Mit Säbel
Im April 1990 war im schmucken Städtchen Appenzell eine Landsgemeinde mit dem Haupttraktandum Frauenstimmrecht angesagt. Ein klares Nein der mit einem Säbel als Stimmrechtsausweis bewaffneten Innerrhödler war absehbar. Neunzehn Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts. Und neun Jahre, nachdem endlich ein Gleichstellungsartikel in die Verfassung aufgenommen worden war. Ich sollte und wollte einen Bericht über diese Landsgemeinde schreiben.
Wartet nur, Ihr Appenzeller, dachte ich und griff zum Telefon. Ich fragte beim Staatssekretariat an, ob ich mich für den Besuch der Landsgemeinde akkreditieren müsse. Nein, sagte ein freundlicher Mann, kommen Sie nur, wir freuen uns. Aber ich wisse sicher, dass ich als Frau den «Ring» nicht betreten dürfe. Klar, sagte ich und lachte, ich hätte ja auch gar keinen Säbel. Aber ich müsse jemandem zum Fotografieren mitbringen, fügte ich am Telefon hinzu. Diese Person müsse allerdings unbedingt den «Ring» betreten dürfen. Das sei gar kein Problem, beruhigte mich der freundliche Gesprächspartner.
Ohne Säbel
Der Sonntag der Landsgemeinde vom 29. April 1990 brach an, und ich war bald unterwegs nach Appenzell. Neben mir im Auto sass die Person, die fotografieren sollte und von mir genaue Instruktionen bekommen hatte. Es war dieser Person anfänglich gar nicht geheuer, denn sie war – eine Fotografin. Sie sah natürlich meinen Punkt. Wir führten vor Beginn der Landsgemeinde ausserhalb des «Rings» noch einige Gespräche mit besonders fotogenen Mannli mit der umgedrehten Tabakpfeife und dem goldenen Ohrring und hörten ihre ewigen Argumente gegen das Frauenstimmrecht an. Schliesslich nahte der Beginn des ehrwürdigen Anlasses und ich musste die «Person» beinahe in den «Ring» schieben. Statt eines Säbels trug sie Kameras und Fototasche. Niemand hielt sie auf, denn die Zusage mir gegenüber hielt offensichtlich. Ich stand draussen und freute mich diebisch über das Gelingen meines Tricks.
So war Marlis Frei, eine hervorragende Fotografin, ganz legal die erste Frau im «Ring». Sie wurde vielleicht anfänglich etwas scheel angeschaut, konnte sich jedoch frei bewegen und arbeiten.
Sieben Monate später, am 27. November 1990, hiess das Bundesgericht die Klage einiger Appenzeller Frauen gut und zwang damit den Halbkanton, seinen Widerstand zumindest formell aufzugeben.