Die SVP hat das Referendum gegen die vom Parlament beschlossene Asylrechtsreform ergriffen. Warum macht sie das eigentlich? Sie hat doch zuvor immer eine Beschleunigung der Asylverfahren gefordert, wie das die Reform bezweckt.
Ich denke, der SVP sind die Themen etwas abhandengekommen. Sie hat sich jahrelang auf die EU-Frage konzentriert. Dieses Thema hat sich heute insofern erledigt, als kaum noch jemand in der Schweiz an einen EU-Beitritt denkt. Die Ausländerfrage ist mit der Masseneinwanderungs-Initiative und der fehlgeschlagenen Durchsetzungsinitiative vorläufig auch nicht mehr so leicht zu aktivieren.
Bleibt das Thema Asylbewerber. Hier ist mit der Asylrechtsreform tatsächlich ein Weg geöffnet für eine von allen Seiten geforderte Beschleunigung der Verfahren. Die SVP setzt die Latte ihrer Forderungen einfach noch mal viel höher. Sie verweigert die Anerkennung der Tatsache, dass das Testzentrum in Zürich an der Förlibuckstrasse 110 bewiesen hat, dass die Asylbewerber-Situation in der Schweiz nicht chaotisch ist, wie SVP-Exponenten dauernd behaupten. Bewiesen wird mit diesem Testzentrum auch, dass die Verfahren über die Aufnahme-Entscheide rascher, daher günstiger und für die Asylbewerber gleichzeitig auch fairer abgewickelt werden können.
In der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde argumentiert, dass die SVP gar nicht an einer Entschärfung der Asylbewerber-Frage interessiert sei. Damit könne die Partei das Thema umso besser politisch bewirtschaften. Kann man das so zuspitzen?
Ja, das ist zwar eine scharfe Formulierung, aber sie trifft einen wahren Kern. Jedenfalls ist unverständlich, weshalb die SVP die Ergebnisse unseres Testzentrums in Zürich zur Rationalisierung und Beschleunigung der Asylverfahren einfach negiert oder gar negativ zu interpretieren sucht. Dies obwohl dieses Testzentrum von 80 Delegationen aus verschiedensten Ländern und von interessierten Organisationen besucht und als vorbildlich eingestuft wurde. Insofern ist das Schweizer Vorgehen, den Umständen entsprechend, ein Erfolgsmodell. Das soll nicht idealisiert werden – die Asylbewerber- und die Flüchtlingsfrage bleibt ein schwieriges Thema, da geht es auch um menschliche Tragik, um konkrete Entscheide über Aufnahme und Abweisung von Menschen in Not und um Grenzen des humanitären Engagements.
Die Gegner der Asylrechts-Vorlage kritisieren ja auch die sogenannten Gratisanwälte für Asylbewerber. Es heisst, dass diese Regelung erstens nur noch mehr Flüchtlinge anziehe. Und zweitens werde damit den Asylbewerbern eine Hilfe angeboten, die Schweizer Bürgern nicht zur Verfügung stehe.
Diese Behauptung ist gänzlich unverständlich. Jeder Schweizer, der in einem Strafverfahren nicht die nötigen Finanzmittel hat, um sich einen eigenen Verteidiger zu leisten, hat das Anrecht auf einen vom Staat bezahlten Pflichtverteidiger. Falsch ist die Behauptung der Gegner auch deshalb, als einem Asylbewerber nicht automatisch ein Anwalt zur Verfügung steht. Es handelt sich vielmehr um einen Rechtsbeistand. Der Rechtsbeistand erhält keine direkten Finanzmittel, sondern es ist die NGO, die diese Beistände zur Verfügung stellt.
Diese NGOs bekommen pro Fall 1361 Franken, egal ob dieser Fall sehr lange dauert oder in kurzer Zeit entschieden ist. Solche Organisationen sind unter anderen die Jüdische Fürsorge, das Arbeitshilfswerk und ähnliche soziale Vereinigungen. Die staatlichen Kosten für einen Asylbwerber belaufen sich pro Monat auf rund 1400 Franken. Jeder Monat, in dem das Verfahren verkürzt wird – gerade durch den Einsatz solcher Rechtsbeistände - bedeutet in vielen Fällen auch eine entsprechende Verkürzung der Kosten. Durch die Beratung akzeptieren Betroffene erstens einen Negativentscheid besser, denn sie fühlen sich ernst genommen und realisieren zweitens rasch, wenn keine Chance besteht, einen Rekurs für sich entscheiden zu können.
In der Zwischenzeit hat die Schweiz übrigens auch sogenannte Migrationspartnerschaften geschlossen, beispielsweise mit dem Kosovo oder mit Tunesien. Damit konnte ein sogenanntes Fast-track-Verfahren eingeführt werden, das heisst innerhalb von 48 Stunden werden Kosovaren und auch Tunesier wieder in ihre Länder zurückgeschafft und auch dort aufgenommen. Das spricht sich natürlich herum und hat damit eine gewisse präventive Wirkung. Zusätzlich hat die Schweiz in den vergangenen Jahren 14 neue Rückübernahmeabkommen abgeschlossen. Das heisst, wir unternehmen bedeutende diplomatische Anstrengungen, um die Rückschaffung von abgewiesenen Flüchtlingen praktisch möglich zu machen.
Aber man muss auch festhalten, dass es Länder gibt, die geflüchtete Bürger nicht mehr bei sich aufnehmen. Dieses Problem kennen wir mit Marokko. Das sind gravierende Herausforderungen. Wichtig ist aber die Tatsache, dass die Schweiz jenes Land ist, das am meisten von den Dublin-Verträgen profitiert – allen Unkenrufen zum Trotz! Wir konnten aufgrund dieser Abkommen in den vergangenen Jahren rund 50 000 Menschen zurück in ihre Ankunftsländer überstellen. Das grosse Drama in der gegenwärtigen europäischen Flüchtlingsfrage liegt gewiss nicht in der Schweiz, sondern in Ländern der Schengen-Aussengrenze, die tatsächlich völlig überfordert sind. Das ist beispielsweise der Fall in Griechenland, besonders auf den griechischen Inseln, oder teilweise auch in Italien. Wenn jemand also behauptet, wir hätten ein „Asylchaos“ in der Schweiz, so hat er überhaupt keine Ahnung, was sich in diesen Ländern abspielt.
Ein anderer Kritikpunkt der Gegner der Asylrechtsreform betrifft die Möglichkeit von Enteignungen als Ultima ratio beim Bau von Asylzentren. SVP-Nationalrat Roger Köppel hat in einer Diskussion behauptet, diese Enteignungsmöglichkeit sei eine „Säule“ dieser Gesetzesvorlage. Hat das einen realen Kern oder ist das einfach eine demagogische Verdrehung der Tatsachen?
Sämtliche geplanten Bundeszentren für Asylbewerber sind inzwischen mit den Kantonen ausgehandelt, es wurden in diesem Rahmen die bestmöglichen Lösungen gefunden. Die Einsprachemöglichkeit bleibt zudem bestehen. In keinem einzigen Fall steht irgendeine Enteignung von Privathäusern oder Wohnungen zur Diskussion. Ein solches Bundeszentrum soll künftig 300 oder 400 Asylbewerber aufnehmen, das ist sicher nicht in privaten Wohnhäusern oder Wohnungen realisierbar. Es ist also völlig irrwitzig zu behaupten, man würde private Häuser und Wohnungen enteignen. Es geht um die Umnutzung von Bundes- sprich von Zivilschutzanlagen. Ein gutes Beispiel zeigt Thun: Dort hat man eine Panzerhalle geräumt und es wurde dort ein Aufnahmezentrum installiert. Das funktioniert sehr gut.
Man kann auch noch hinzufügen: In den letzten 20 Jahren hat das VBS, also das Militärdepartment, im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten nicht ein einziges Mal solche Enteignungen durchgeführt. Es handelt sich bei der propagandistischen Aufblähung des Enteignungsarguments durch Gegner der Asylrechtsreform also um unseriöse Angstmacherei.
Das Enteignungsargument wird ja im laufenden Wahlkampf besonders aufwendig vom Hauseigentümerverband und dessen Präsidenten, SVP.Nationalrat Hans Egloff hochgespielt.
Dem Präsidenten des Hauseigentümerverbandes (HEV), Hans Egloff, den ich als Nationalratskollegen und Mensch schätze, kann man allenfalls zugutehalten, dass er als SVP-Mitglied und als Verbandsvorsitzender in einem starken Spannungsfeld steht und die Eigentumsrechte sicher ein wichtiges Thema für den HEV genauso wie für mich als Freisinnige darstellen. Das Spannungsfeld gilt grundsätzlich für alle Politiker, die gleichzeitig einen Verband repräsentieren und es ist eine der Herausforderungen unseres des Milizsystems. Ich bedaure nur, dass bei der Inserate-Aktion des HEV im Zusammenhang mit der Enteignungsfrage die Faktenlage nicht objektiv, sondern mit Halbwahrheiten dargestellt wurde. Und mit einem Augenzwinkern würde ich sagen, dass es diese Kampagne nicht gegeben hätte, wenn ein FDP- oder CVP-Vertreter an der HEV-Spitze stehen würde.
Auffallenderweise macht die SVP keine Inserate- und Plakatkampagne gegen die Asylrechtsänderung. Überlässt sie das bewusst und gezielt dem Hauseigentümerverband und ihrem SVP-Vorsitzenden?
Ich meine, dass manche SVP-Vertreter über das Referendum ihrer Partei gegen diese Asylrechtsvorlage nicht glücklich sind – weil sie erkannt haben, dass es sich dabei um ein ernsthaftes und sorgfältig durchdachtes Unternehmen zur Bewältigung des Asylbewerber-Problems handelt und dass die Bevölkerung ja 2013 bereits deutlich ja gesagt hatte zum Beschleunigungsgesetzt. Offenbar erkennen manche Geldgeber aus dem SVP-Umfeld auch, dass sich in dieser Frage die Befürworter durchsetzen werden und so hält man sich auch mit finanziellen Einsätzen zurück.
Aber nun sind ja gegen Ende dieses Abstimmungskampfes doch Plakate aufgetaucht und es werden Flugblätter in Haushalte verteilt, auf denen demagogisch die Behauptung verbreitet wird, wehrlose Schweizer Bürger könnten aus ihrer Wohnung geworfen werden, weil diese für Asylbewerber aus Afrika oder Nahost beschlagnahmt würden. Ich bin schockiert über diese hetzerische Kampagne, die einfach entgegen den Fakten als letzter Aufschrei daher kommt. Wer dahinter steht, ist nicht sofort klar erkennbar. Es sind insbesondere aber alt Politiker aus der SVP.
Man kann auch beobachten, dass Alt-Bundesrat Blocher in den letzten Wochen Leserbriefe an die NZZ schickt und Gastbeiträge schreibt, um gegen die Asylrechtsänderung zu agitieren. Ist das als Kompensation für den Verzicht auf die Finanzierung von Plakaten und Inseraten zu verstehen?
Zunächst erkennt man, dass alt Bundesrat Blocher diese Asylrechtsänderung mit persönlicher Energie bekämpft. Aber Leserbriefe sind auch billiger als Inserate. Was man allerdings nicht weiss, wer diese jüngste Plakat- und Flugblattkampagne mit den völlig verdrehten, tatsachenwidrigen Enteignungsbehauptungen finanziert.
Es gibt auch von ganz links, also links von der Sozialdemokratie, Opposition gegen die Asylrechtsreform. Gewisse NG0’s und die Gruppe Demokratische Juristen aus Zürich argumentieren, das Asylrecht werde durch diese Reform eingeschränkt und ausgehöhlt, deshalb müsse man dagegen stimmen. Arbeiten sich da Kräfte von Rechtsaussen und von Linksaussen gegenseitig in die Hände?
Ja, das könnte man so formulieren. Einmal mehr halten solche Kräfte an ihren Maximalforderungen fest. Sie sind nicht daran interessiert, den bestmöglichen Kompromiss für eine gangbare Lösung zu finden. Aber wenn Organisationen von Linksaussen diese Vorlage ablehnen, ist das ja eigentlich auch ein Argument gegen die Behauptung von SVP-Seite, dieses Gesetz sei ein linksromantisches, weltfremdes Unternehmen.
Und tatsächlich geht es ja bei dieser Vorlage nicht um einen sanften, weichen Kurs in der Asylfrage. Die damit angestrebte Beschleunigung der Verfahren kann man aus rein humanitärer Sicht auch mit einer gewissen Skepsis beurteilen. Aber es geht hier um einen gesetzlichen Weg zum gesellschaftlich Verantwortbaren und politisch Machbaren. Sollte der Flüchtlingsandrang im Sommer wieder anschwellen, so kann man – auch dank der vom Bundesrat ausgearbeiteten Notfallpläne – guten Gewissens sagen, dass die Schweiz heute auf solche Situtionen bestmöglich vorbereitet ist.
Ein anderer Knackpunkt ist auch die Frage, was geschieht mit den abgewiesenen Asylbewerbern? Wie erwähnt ist eine Ausschaffung in manchen Fällen nicht möglich ist, weil die zuständigen Länder nicht zur Aufnahme bereit sind.
Es gibt Anhaltspunkte, dass nicht so viele abgewiesene Asylbewerber bei uns untertauchen, wie gelegentlich behauptet wird. Ein Indiz dafür ist die Zahl der beantragten Nothilfen - das sind übrigens um 8.50 Franken pro Person und Tag. Aufgrund der vorhandenen Zahlen geht das Staatssekretariat für Flüchtlinge davon aus, dass in einer vergleichbaren Zeitphase (!) heute rund 5000 Abgewiesene untergetaucht sind, gegenüber der Zeit, als alt Bundesrat Blocher noch Justizminister war und damals eine doppelt so hohe Zahl Untergetauchte verzeichnet wurde. Auch solche Hinweise widersprechen der Behauptung, Justizministerin Sommaruga handle in der schwierigen Ausländer- und Asylantenfrage ineffizient oder lasse sich von romantischen Illusionen leiten.
Die hohe Zahl von Asylbewerbern aus Eritrea wird in der Öffentlichkeit immer wieder kritisch diskutiert. Gibt es neue Informationen zur Klärung oder Entspannung bei diesem Spezialproblems?
Ja, es handelt sich bei den Eritreern um die grösste Gruppe von Asylbewerbern in der Schweiz. Es gab mehrere Wellen von Flüchtlingen aus diesem Land. Einige von ihnen sind schon seit über zehn Jahren hier und haben einen Permis C. Dass Angehörige mit dieser Aufenthaltsgenehmigung auch ihre Verwandten in Deutschland und andern Ländern besuchen können, versteht sich von selbst. Manche aus dieser Gruppe haben auch eine Arbeit, es sind längst nicht alles Sozialfälle. Aber es gibt jährlich viele neue Asylbewerber aus Eritrea, nicht zuletzt, weil sie hier eben schon Verwandte oder Bekannte haben.
In der Schweiz wird Dienstverweigerung, den Eritreer häufig als Fluchtmotiv angeben, nicht als Asylgrund anerkannt. Doch da haben wir eine grosse Schwierigkeit: Wir dürfen Asylbewerber nicht zurückschicken, wenn die Gefahr besteht, dass sie in ihrer Heimat gefoltert, ins Gefängnis gesteckt werden oder dort einfach verschwinden. Eritrea aber muss als diktatorischer Unrechtsstaat bezeichnet werden.
Internationale Hilfsorganisationen wie das UNHCR haben nicht die Möglichkeit, in Eritrea die Gefängnisse zu inspizieren, um so herauszufinden, was dort tatsächlich geschieht. Und Menschen, die in Eritrea in den Nationaldienst eingezogen werden, müssen teilweise jahre- und jahrzehntelang Zwangsarbeit leisten, für rund 5 Franken im Monat. Deshalb kommen auch besonders viele junge Männer aus Eritrea in die Schweiz. Die meisten dieser Flüchtlinge sind übrigens Christen, sie haben also in religiöser Hinsicht ähnliche Werte wie wir. Die muslimischen Eritreer flüchten eher in den Sudan.
Gibt es Länder in Europa, die Flüchtlinge aus Eritrea in ihr Land zurückschicken?
Das ist meines Wissens nicht der Fall. Es gibt jedoch gewisse Unklarheiten in Bezug auf Dänemark und Israel. Aber grundsätzlich kann man festhalten, will man es mit kritischem Unterton sagen, dass alle europäischen Staaten sich gegenüber dem Flüchtlingsproblem aus Eritrea so verhalten, wie „das Kaninchen vor der Schlange“: Keiner wagt es bisher, einen ersten Schritt in Richtung Rückschaffung zu tun, weil man einfach nicht über Beweise verfügt, ob die Menschen dort nicht gefoltert und ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie in ihr Land zurückkehren. Im Zweifelsfall fühlt man sich deshalb der humanitären Tradition und dem zwingenden Völkerrecht verpflichtet.