Frankreich und vor allem Präsident Nicolas Sarkozy haben 2010 bei der Vergabe der Fussball-WM an Katar eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Seit drei Jahren ermittelt sogar der französische Finanzgerichtshof in dieser Angelegenheit wegen Korruption.
Je mehr Leaks zu Katar in den letzten zehn Jahren auftauchten, je länger Investigationsjournalisten tätig waren, je länger die Ermittlungen der französischen Justiz dauern und je mehr Einzelheiten nach und nach aus den Untersuchungsakten ans Tageslicht kommen, desto mehr darf man davon ausgehen, dass die Vergabe der WM 2022 an Katar letztlich bei einem Mittagessen im Pariser Elyséepalast, wenige Tage vor der offiziellen Abstimmung in Zürich entschieden wurde. Bei einem reichlich ominösen und inzwischen sagenumwobenen Déjeuner mit keinem Geringeren als Frankreichs Staatspräsidenten, Nicolas Sarkozy, als Gastgeber. Ein Esssen, bei dem sich Frankreich letztendlich zum Komplizen dieser Skandal-WM gemacht hat.
Aktion Umstimmung
Man schrieb den 23. November 2010. Neun Tage später, am 2. Dezember, fand in Zürich die Abstimmung über die Vergabe der Fussball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 im Rahmen der Sitzung des 24-köpfigen Exekutivkomitees der FIFA statt.
Wäre es nach Sepp Blatter gegangen – und normalerweise gingen die Dinge nach Sepp Blatter, das Exekutivkomitee war nur zum Abnicken da –, dann hätten Russland die WM 2018 und die USA die WM 2022 bekommen sollen. Blatter hatte sogar die Amerikaner davon überzeugt, ihre Bewerbung für 2018 zurückzuziehen und ihnen garantiert, im Gegenzug den Zuschlag für 2022 zu erhalten.
Doch vor dieser Abstimmung kam es zu dem berüchtigten Mittagessen im Pariser Elyséepalast. Anwesend, neben Gastgeber Sarkozy: Thamim Al Thani, damals noch Erbprinz, seit 2013 Emir und Herrscher über Katar, sein Erdgas und seine Billionen. Neben ihm Hamad Ben Jassem Al Thani, damals Premier- und Aussenminister in einer Person. Ausserdem der damalige Generalsekretär des Elysées, Claude Guéant, die Beraterin des Staatspräsidenten in Sportangelegenheiten, Sophie Dion und … UEFA-Präsident Michel Platini.
Unklar ist nach wie vor, auf wessen Wunsch dieses Treffen zustande kam. Immer klarer aber wird, dass an diesem Herbsttag 2010 im Grunde die Entscheidung fiel, dass die WM 2022 in Katar ausgetragen würde.
Die Anzahl der Indizien, die darauf hindeuten, dass dieses Mittagessen der Rahmen für einen unlauteren Handel, für das direkte Sich-Einmischen der höchsten politischen Sphären in den Sport und letztlich für ein gigantisches Tauschgeschäft war, werden immer erdrückender. Ein Handel nach dem Prinzip: Du hilfst mir, indem du die entsprechende Person dazu bringst, zu tun, was gut für mich ist, und ich bin bereit zu tun, was du von mir erwartest. Ein Prinzip, das etwas von Korruption an sich hat. Und deswegen ermittelt seit 2019 – reichlich spät, neun Jahre nach dem Geschehen – auch die französische Justiz in dieser Angelegenheit.
Bei Hausdurchsuchungen gefundene Dokumente und Notizen, unzählige SMS und Mails sowie abgehörte Telefongespräche im Rahmen dieser Ermittlungen lassen nur noch wenig Zweifel, dass Staatspräsident Sarkozy zu diesem Treffen gerufen hatte, um UEFA-Präsident Platini dazu zu bringen, neun Tage später in Zürich für Katar und nicht für die USA zu stimmen und noch drei weitere europäische Mitglieder des Exekutivkomitees, darunter den scheidenden Franz Beckenbauer, zu veranlassen, es ihm gleichzutun.
Michel Platini bestreitet das und behauptet, er habe von sich aus um ein Rendez-vous mit dem Präsidenten gebeten, habe sich schon lange zuvor entschieden gehabt, für Katar zu stimmen und sei völlig überrascht gewesen von der Anwesenheit der Gäste aus Katar bei diesem Mittagessen.
Doch zahlreiche Aussagen aus Platinis engstem Umfeld, Notizen von Sarkozys damaliger Beraterin in Sachen Sport und verschiedene Mails sowie ein Telefongespräch zwischen Platini und Blatter unmittelbar nach dem Déjeuner im Elysée machen die Aussagen des damaligen UEFA-Präsidenten mehr als unglaubwürdig.
Die gerichtlichen Untersuchungen haben inzwischen ausserdem hervorgebracht, dass Nicolas Sarkozys Lobbying bei UEFA-Chef Michel Platini für die Fussball-WM in Katar schon im Frühjahr 2010 begonnen hatte, also neun Monate vor dem ominösen Mittagessen im Elyséepalast am 23. November.
Die Sportberaterin des Präsidenten, Sophie Dion, hatte die Unvorsichtigkeit begangen, nach ihrem Ausscheiden aus dem Elysée ihre Aufzeichnungen aus dem Jahr 2010 zu Hause aufzubewahren, wo sie bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden. Aufzeichnungen, die eine klare Sprache sprechen und zeigen, dass das Elysée an einer Strategie arbeitete, Platini davon zu überzeugen, am 2. Dezember 2010 für Katar und nicht für die USA zu stimmen. Aufzeichnungen, in denen die Beraterin im Frühjahr 2010 unter anderem festgehalten hatte, dass Platini sehr abgeneigt sei gegen Katar als WM-Veranstalter. Die Beraterin Sophie Dion war nach ihrer Zeit im Elysée unter anderem Lehrbeauftragte an einem Lehrstuhl der Sorbonne zum Thema Sicherheit und Ethik im Sport, der von Katar mit jährlich 150’000 Euro kofinanziert wurde. Und wie zufällig war sie zwischen 2012 und 2017 als Parlamentarierin die Vorsitzende des französisch-katarischen Freundeskreises in der Nationalversammlung.
Der Deal: WM gegen Rüstungskäufe und Übernahme von PSG
Sarkozy, der spätestens als Innenminister 2005 begonnen hatte, mit den Machthabern im steinreichen Gasemirat Beziehungen zu knüpfen und auf gut Freund zu machen, hatte offensichtlich beschlossen, diesen Freunden dabei zu helfen, ihre längerfristig angelegte Strategie der «Soft Power durch Sport» mit der Austragung der Fussball-WM zu krönen.
Freilich tat er das nicht – so ist Sarkozy nun mal gestrickt – aus purer Freundlichkeit und ohne Gegenleistung. Für seine Unterstützung des Vorhabens, Katar die WM zuzuschieben, wollte Frankreichs Staatspräsident zwei Dinge. Zum einen, dass der Zwergstaat mit seiner Operettenarmee Frankreich möglichst viele teure Rüstungsgüter abkauft, was in den Jahren danach auch geschehen sollte: Rafale-Kampfflugzeuge für sechs Milliarden Euro. Und zum anderen, dass der damals schwer kriselnde Fussballclub Paris Saint-Germain, der jährlich zusätzliche 20 Millionen Euro Schulden anhäufte und nichts gewann, von Katar aufgekauft wird und mit den Gasmillionen zu einem europäischen Spitzenclub avanciert.
Nach diesem Essen, und das ist belegt, hat Michel Platini jedenfalls Sepp Blatter angerufen, um ihm zu verkünden, dass er für 2022 von seiner bisherigen Pro-USA-Haltung Abstand nehme, denn er müsse «französische Interessen berücksichtigen». Und der UEFA-Chef stellte dem FIFA-Chef die Frage: «Was würdest du denn machen, wenn dein Präsident so was von dir verlangen würde?»
Nicht ganz zu erklären ist allerdings, wie Platini es in der Folge geschafft hat, auch die drei anderen europäischen Mitglieder des Exekutivkomitees auf seine Seite zu ziehen, unter ihnen den scheidenden Franz Beckenbauer, so dass das Ergebnis am Ende 14 zu 8 für Katar lautete – zwei der 24 Mitglieder durften damals schon wegen Anschuldigungen, bestechlich zu sein, nicht mitstimmen.
Paris Saint-Germain
Zugegeben, Sarkozy ist ein Fussballfan, und er war schon immer Anhänger von Paris Saint-Germain. Das Schicksal des Clubs mag ihm wirklich am Herzen gelegen haben. Doch es gab noch einen anderen Grund für seine Bemühungen, Katar zur Übernahme seines Lieblingsvereins zu bewegen.
Paris Saint-Germain gehörte im Jahr 2010 noch dem milliardenschweren US-Investitionsfond Colony Capital, der bis dahin rund 70 Millionen in den französischen Hauptstadtclub, welcher 2008 fast abgestiegen wäre, gepumpt hatte, allerdings ohne grossen Erfolg. 2010 reichte es den amerikanischen Investoren und sie beschlossen, den französischen Hauptstadtclub abzustossen.
Frankreichchef dieses US-Fonds war zu jener Zeit ein gewisser Sébastien Bazin, seit Mitte der 90er-Jahre ein sehr enger Freund von … Nicolas Sarkozy.
Es hat eine gewisse Zeit gebraucht, doch sechs Monate nachdem Katar die Fussball-WM 2022 in die Wüste geholt hatte, übernahm es dann auch den Hauptstadtclub PSG für 76 Millionen Euro, weit über dem damaligen Marktwert. Sarkozys Freund Sebastien Bazin durfte aufatmen.
Katar hat seitdem fast zwei Milliarden Euro in den Verein gesteckt, die Stars mit immer neuen, historisch hohen Ablösesummen oder goldenen Verträgen zusammengekauft. Stars, die aber seit satten elf Jahren am Gewinn der Champions League meistens schon im Achtelfinale vorbeirasselten. Trotzdem wird der Wert von Paris Saint-Germain heute, laut Forbes, auf 3,2 Milliarden Euro geschätzt.
Alte Beziehungen
Es trifft sich, dass Frankreich mit dem Zwergstaat am Golf schon seit den 70er- und 80er-Jahren enge Beziehungen pflegt und vor Ort präsent war, als sich noch keine anderen Europäer oder die USA für diesen Flecken Wüste interessierten. Der Energieriese Total war von Anfang an dort, französische Firmen arbeiteten mit am Aufbau der Infrastruktur zur Ausbeutung der riesigen Gasvorkommen. Schon Präsident Chirac pflegte in seiner zwölfjährigen Amtszeit zwischen 1995 und 2007 die Kontakte mit dem jungen Staat, der gerade in jenen Jahren seinen schwindelerregenden Aufstieg begann.
Und als Nicolas Sarkozy im Mai 2007 zum Präsidenten gewählt worden war, wen empfing er da im Elysée als ersten Staatschef aus dem Ausland? His Highness, Emir von Katar, Hamad Ben Khalifa al Thani. Kaum hatte der Herrscher vom Golf den Innenhof des Elysée wieder verlassen, durfte sich der geschäftstüchtige Präsident damit brüsten, dass der Wüstenstaat gerade 80 Airbus-Modelle des Typs A 350 geordert habe. Marktwert: 16 Milliarden Euro.
Steuerfreiheiten
Schon im Januar 2008 erschien Sarkozy dann seinerseits zum Staatsbesuch in Doha und hatte für seine katarischen Freunde höchst Erfreuliches im Gepäck. Er bot dem Zwergstaat am Golf eine Konvention an, wonach Katar bei Investitionen in Frankreich keinerlei Steuern auf Gewinne zu zahlen habe.
Die Katari liessen sich das nicht zweimal sagen, kauften in den Jahren danach massenhaft Anteile an zahlreichen Konzernen, die den französischen Börsenindex schmücken und investieren bis heute in Luxusimmobilien. Die Tageszeitung «Le Figaro» zum Beispiel mietet ihren Sitz in einem Gebäude, das Katar gehört. Fast ein Dutzend Luxushotels in Paris und an der Côte d'Azur hat sich der 500 Milliarden schwere katarische Investitionsfond unter den Nagel gerissen, das berühmte Pferderennen «Prix de l'Arc de Triomphe» sowie das Pariser Luxuskaufhaus «Printemps» aufgekauft. Insgesamt 25 Milliarden Euro hat Katar inzwischen in Frankreich investiert. Unter anderem zehn Prozent der Anteile des Hotelkonzerns Accor übernommen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender inzwischen Sarkozys alter Freund Sebastien Bazin ist, der Mann, der den Fussballverein PSG absolut loswerden wollte.
Dazu passt, dass wenige Jahre, nachdem PSG von Katar gekauft worden war, ein gewisser Nicolas Sarkzoy von seinem Freund Bazin in den Aufsichtsrat des Hotelmultis Accor berufen wurde und für seine Präsenz dort jährlich das Taschengeld von 86’000 Euro kassiert.
Und fast zeitgleich stieg Katar mit zwölf Prozent beim Rüstungs- und Medienkonzern Lagardère ein. Auch da spielt ein Sarkozy-Freund eine Rolle. Der Ex-Präsident bezeichnet den Firmenchef Arnaud Lagardère als «seinen Bruder».
Bezeichnend für die besonderen Beziehungen zwischen Katar und Frankreich, ja für eine gewisse Abhängigkeit vom steinreichen Erdgasproduzenten, die sich im Lauf der Jahre eingestellt hat: Sarkozys Nachfolger im Elysée, der Sozialist François Hollande, wagte es schlicht nicht, nach 2012 an dieser Konvention zu rütteln. Auch unter Präsident Macron blieb sie bisher, fast selbstredend, weiter in Kraft.
Laut einem parlamentarischen Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2016 fehlten damals schon knapp 200 Millionen Euro im französischen Staatssäckel – heute wohl das Doppelte – auf Grund von Sarkozys Freundlichkeiten im Jahr 2008, von denen das Emirat jetzt seit 14 Jahren profitiert.
Und nun?
Sarkozy hat sein Ziel erreicht. Der Bling-Bling-Staat unter strenger Herrschaft und Überwachung durch 15’000 Kameras in Strassen und Stadien hat seine Fussballweltmeisterschaft, und die ist gleich von Anfang an historisch.
Noch nie hatte die Mannschaft des Gastgeberlandes im Auftaktspiel einer WM verloren. Katar hat es geschafft. 0:2 gegen Ecuador. Der spanische Trainer der Gastgebermannschaft scheint es geahnt zu haben. Schon vor dem Anpfiff sah er aus, als würde er die Peitschenhiebe fürchten, die ihn bei einer Niederlage erwarten.
Und noch etwas: Dass beim Eröffnungsspiel einer WM das heimische Publikum schon nach der Halbzeit in Massen das Stadion verlässt, ja geradezu flieht und sich mitnichten um seine Nationalmannschaft schert, auch das hat es bei einer Fussball-WM noch nie gegeben.
Von wegen Fussballfest und Begeisterung. Immerhin die wenigen mitgereisten Fans aus Ecuador haben spontan einen Schlachtruf erfunden. «Queremos cerveza!» hallte es von den Rängen, wo die Fans gelbe Trikots trugen. Ob der gastgebende Emir das wohl verstanden hat?
Und ob irgend jemand wohl gewagt hat, ihm zu sagen, dass es auch beim Fest in der Fanzone mit Platz für 40’000 Menschen und mit Bierausschank Ärger gab? Angeblich waren doppelt so viele Fans vor Ort wie erwartet. Es kam zu ersten Reibereien und die Super-High-Tech-Drohnen, die die Bewegungen der Massen analysieren sollen, damit man sie kanalisieren kann, haben offensichtlich nichts genutzt.
Wie wird es sein, wenn dann wirklich die Massen kommen, eingeflogen mit täglich 160 Flügen aus den Nachbarstaaten, weil Katar trotz aller Bauwut im letzten Jahrzehnt nicht genügend Übernachtungsplätze hat? Der unbezahlbare FIFA-Präsident Gianni Infantino hat die Antwort parat, und sie ist denkbar einfach: «Es wird die beste Fussball-Weltmeisterschaft aller Zeiten werden.» Das hat der Mann, der Kritiker dieser WM in Katar als Rassisten bezeichnet, wirklich gesagt.
Der Beginn dieser WM war aber schon mal gründlich verkorkst und zugleich einzigartig: Ein heimisches Publikum, das bei einem WM-Eröffnungsspiel vor der eigenen Mannschaft regelrecht flieht – wo hat man das schon mal gesehen!